Auf 70 Jahre soziale Marktwirtschaft und noch mehr Jahre Kommunalwirtschaft

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Möchte man grundsätzliche Richtungsentscheidungen treffen, holt man den Erhard-Joker aus der Tasche: Seht her, ich bin auf dem richtigen Weg. So hat sich der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier jüngst auf den Vater der sozialen Marktwirtschaft berufen, als er „mehr Markt, weniger Staat“ und einen Bürokratieabbau proklamierte. Ludwig Erhard ist im deutschen Politikbetrieb und über Parteigrenzen hinweg der kleinste gemeinsame Nenner. Aber wieso eigentlich?

Die soziale Marktwirtschaft ist ohne Zweifel ein Erfolgsschlager. Mit dem unscheinbar klingenden „Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform“ führte Ludwig Erhard am 20.6.1948 nicht nur die Währungsreform ein, sondern gab auch die Güterpreise frei. Die soziale Marktwirtschaft war geboren; die anfängliche Skepsis gegenüber dem Wirtschaftsmodell schwand schnell angesichts dessen, was in den Folgejahren als Wirtschaftswunder in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

Dabei stellte sich heraus, dass die vermeintliche Schwäche der sozialen Marktwirtschaft gerade ihre größte Stärke ist: Das Konzept ist nur mühsam in eine wissenschaftliche Theorie zu bringen. Der Grundgedanke ist simpel: Eingriffe des Staates sind immer nur dann notwendig, wenn der freie Wettbewerb gefährdet ist, der Staat setzt lediglich den rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen sich das wirtschaftliche Handeln abspielt – durch wirtschafts-, konjunktur- und steuerpolitische Maßnahmen.

Gerade durch dieses unbestimmte Element wird ein breiter Gestaltungsfreiraum eröffnet, innerhalb dessen der Akzent auf realistische und pragmatische Lösungen anstelle von starren und womöglich weltfremden Idealen gesetzt wird. Die wirtschaftspolitische Entscheidungsfindung wird so in öffentliche Debatten eingebunden und ein Ergebnis durch demokratische Mehrheiten herbeigeführt. Wirtschaftspolitische Prämissen sind im marktwirtschaftlichen Verständnis keine starren Dogmen, sondern genauso wandlungsfähig wie der Markt selbst. So entsteht eine Dynamik und Adaptionsfähigkeit, die die Politik dazu befähigt, auf marktwirtschaftliche Entwicklungen individuell zu reagieren.

Ob die Vorgänge auf den Märkten den Ansprüchen eines fairen Wettbewerbs genügen, wird dabei durch das Bundeskartellamt (BKartA) überwacht. Rechtswidrige Absprachen unter Wettbewerbern bewirken in der Regel überhöhte Preise für die Kunden, da sie die normalen Wettbewerbsbedingungen außer Kraft setzen, sei es bei Hochspannungskabeln, LKWs oder Bier. Auch wenn Unternehmen fusionieren prüft die Behörde, ob die dadurch entstehende Marktmacht wirtschaftlich vertretbar ist.

Der grundsätzlich freien wirtschaftlichen Betätigung muss im Sinne der sozialen Marktwirtschaft auch dort mit stärkeren staatlichen Eingriffen begegnet werden, wo der Wettbewerb per se fehlt. In der Energiewirtschaft betrifft dies den Netzbereich. In einem Netzgebiet kann es immer nur einen (Betreiber) geben, der von der jeweiligen Kommune die Konzession für das Strom- oder Gasnetz erhalten hat. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) setzt den Netzbetreibern deshalb enge Grenzen, um die Unternehmungen in diesem natürlichen Monopol zu regulieren.

Eine wesentliche Komponente der sozialen Marktwirtschaft aber, die das Konzept von einem reinen kapitalistischen Ordnungsprinzip differenziert, ist der Zusatz „sozial“. Der freie Markt bekommt dadurch eine wichtige Einschränkung, indem negative Auswirkungen der marktwirtschaftlichen Prozesse vermieden oder aufgefangen werden. Dazu gehören z.B. die Sozialleistungen, die im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit aktiviert werden. Dahinter steht eine umsichtige Sozial- und Bildungspolitik, die bestenfalls ein breites Sicherheitsnetz für die Bürgerinnen und Bürger entfaltet.

Der freie Markt wird durch den Zusatz „sozial“ mit Nutzen für die Allgemeinheit ergänzt. Sozialstaat und funktionierende Märkte sind dabei keineswegs inhärent widersprüchlich, wie wir an 70 Jahren erfolgreicher sozialer Marktwirtschaft eindrucksvoll sehen. Die Herausforderung besteht freilich darin, die beiden Prinzipien in einem dynamischen Umfeld konstant im sinnvollen Gleichgewicht zu halten, um maximalen Wohlstand mit optimaler sozialer Absicherung in Einklang zu bringen. Zugegeben – das gelingt nicht immer zufriedenstellend.

Die Ausprägung der sozialen Marktwirtschaft zeigt sich u.a. in der Kommunalwirtschaft, also in der wirtschaftlichen Betätigung kommunaler Gebietskörperschaften. Im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung erbringen Städte und Gemeinden verschiedene Infrastrukturdienstleistungen mit Fokus auf das Gemeinwohl. Als Träger der öffentlichen Daseinsvorsorge engagieren sie sich in der Energie- und Wasserversorgung, der Abfallentsorgung oder dem Betrieb kommunaler Einrichtungen wie Schwimmbäder. In der freien Wirtschaft stellt die Kommunalwirtschaft damit das Pendant zur Privatwirtschaft dar – mit einer wichtigen Unterscheidung: Während private Unternehmen allein die Gewinnmaximierung im Blick haben, sind kommunale Unternehmen auch auf das Gemeinwohl ausgerichtet.

Wenn man so will, sind in der Kommunalwirtschaft die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft in einer Art Mikrokosmos vereint: Wir haben auf der einen Seite den Aspekt Markt, der sich z.B. darin zeigt, dass kommunale Unternehmen sich auf die Konzessionen in einem bestimmten Netzgebiet bewerben und bei erfolgreicher Vergabe die Netze rekommunalisieren, also in die kommunale Selbstverwaltung zurückführen. Wir haben auf der anderen Seite den Aspekt der Daseinsvorsorge, die den öffentlichen Zugang zu existentiellen Gütern und Dienstleistungen entsprechend den Bedürfnissen der Bürger zu sozial verträglichen Preisen sicherstellt.

In diesem Sinne: Ein Hoch auf die soziale Marktwirtschaft ist auch ein Hoch auf die Kommunalwirtschaft.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

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