75 Jahre Energiewirtschaftsgesetz

Ein Dreivierteljahrhundert – nicht viele Gesetze können auf eine so stattliche Geschichte zurückblicken wie das Energiewirtschaftsgesetz. 75 Jahre Wirtschafts-, Rechts- und Energiepolitik bündeln sich in der wechselvollen Entwicklungsgeschichte dieses für Deutschland so wichtigen Stücks Gesetzgebung.

Brauner Jahrgang, technischer Inhalt

Der Geburtsjahrgang allerdings weckt schlimme Assoziationen: Das Energiewirtschaftsgesetz trat 1935 in Kraft, auf dem Höhepunkt des nationalsozialistischen Umbaus des deutschen Rechtssystems. Inhaltlich ist das Gesetz allerdings von brauner Ideologie weitestgehend unbefleckt: Wahr ist aber auch, dass das Gesetz damaliger Staatspraxis entsprechend zum Beispiel unter verwaltungsorganisatorischen Aspekten durch Führererlass geändert worden ist. Gleichwohl war es ein von Fachleuten konzipiertes, sicherlich auch von den damaligen Energiekonzernen beeinflusstes Gesetz.

Es sollte jederzeit eine ausreichend bereite, technisch sichere und möglichst billige Strom- und Gasversorgung gewährleisten. Von Umwelt- und Klimaschutz war natürlich noch keine Rede, auch nicht von Effizienz und Sparsamkeit; aber sparsam musste man damals ohnehin leben. Wettbewerb war nicht erwünscht.

Die Gesetzespräambel fasste das Ziel unmissverständlich im Kern wie folgt zusammen:

„ … im Interesse des Gemeinwohls die Energiearten wirtschaftlich einzusetzen, den notwendigen öffentlichen Einfluss in allen Angelegenheiten der Energieversorgung zu sichern, volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen des Wettbewerbs (wie z.B. Doppel- bzw. Parallelinvestitionen) zu verhindern …“

Staatsaufsicht in Gestalt einer Investitionskontrolle, die Möglichkeit, versagende Unternehmen vom Markt zu nehmen, Preiskontrolle sowie Rechtsvorschriften für Tarife und Versorgungsbedingungen waren der Weg, um eine flächendeckende Energieversorgung vorantreiben. Brancheninterner Wettbewerb war – wie gesagt – ausgeschlossen. Demarkationsabreden auf der Basis sog. Konzessionsverträge sicherten ausschließliche Leitungsverlegungsrechte.

Dies alles war geregelt auf der Basis von sage und schreibe 20 Paragraphen und etwa ebenso vielen im Rahmen von fünf Durchführungsverordnungen. Zur Nostalgie besteht kein Anlass; die rechtsstaatlichen Defizite und das Bruchstückhafte vieler dieser Regelungen liegen auf der Hand. Andererseits: Die Regelungsflut, der die Energieunternehmen heutzutage unterliegen – man kann schon fast von einer Springflut sprechen – ist nicht frei von der Gefahr, eigenverantwortliches Handeln über Gebühr zu erdrosseln. Auch dies und die nicht selten schwer nachvollziehbare Gesetzessprache können rechtsstaatliche Fragen aufwerfen.

Unter dem Grundgesetz

1949 trat das Grundgesetz in Kraft. Dass das Energiewirtschaftsgesetz 1935 wegen der Präponderanz des staatlichen Einflusses auf die Strom- und Gaswirtschaft in Gänze grundgesetzwidrig wäre, ist nie behauptet worden. Ebenso wie heute war unstrittig, dass Monopole staatlich zu kontrollieren und zu beaufsichtigen sind. Allerdings war das Gesetz zum Torso geworden. Seine Sprache wurde den neuen verwaltungsrechtlichen und verwaltungsgesetzlichen Anforderungen nicht mehr gerecht.

Ermächtigungen zu endgültigen staatlichen Entscheidungen, gegen die es keinen Rechtsweg geben sollte, oder Enteignungen ohne Entschädigungen konnten natu¨rlich keinen Bestand haben. Im Ergebnis ließ sich das Gesetz aber von den Energieaufsichtsbehörden der Bundesländer grundgesetzkonform administrieren.

Alles in allem hat das EnWG 1935 und seine Handhabung in der Nachkriegszeit die Grundlage für eine heute noch nachwirkende Versorgungsstruktur gelegt. Dies kann man, je nach Standpunkt, begrüßen oder bedauern.

Nicht mehr als ein Anfang

Über die Reform des EnWG 1935 gab es eine jahrzehntelange Diskussion, die von Groteske sowie von politischen Luft- und Sprechblasen nicht immer frei war. Bund, Länder und Wirtschaft haben schon in den frühen fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts das Bedürfnis erkannt, das Gesetz an die neuen verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Anforderungen anzupassen.

Dieses Bedürfnis wurde aber erst 1957 anlässlich der Verabschiedung des Kartellgesetzes auf politischer Ebene klar artikuliert. Es war nämlich deutlich geworden, dass das Nebeneinander von Preisaufsicht mit ihrer Kostenkontrolle und Investitionskontrolle auf der einen Seite sowie der neugeschaffenen, sich an Marktkategorien orientierenden kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht auf der anderen Seite nicht unproblematisch ist. (Ein Déjà-vue-Erlebnis an dieser Stelle wäre nicht überraschend).

Dieses Bündel verschiedener Staatseingriffe durch mehrere Behörden mit unterschiedlicher Zielrichtung sollte nach Auffassung des Deutschen Bundestags inhaltlich und organisatorisch überdacht werden.

Er forderte deshalb die Bundesregierung auf, den Entwurf eines neuen Energiewirtschaftsgesetzes mit größtmöglicher Beschleunigung vorzulegen.

Eine freilich allzu optimistische Erwartung! Die Bundesregierung interpretierte die Aufforderung zu größtmöglicher Beschleunigung des Gesetzesvorhabens ziemlich eigenwillig. Sie ließ sich mit dem Erfolg nämlich gute 40 Jahre Zeit.

Man darf allerdings nicht übersehen, dass Wirtschaft, Verwaltung und Politik noch lange von der traditionellen wettbewerbsfeindlichen energiewirtschaftlichen Denkweise geprägt waren.

Der erste Referentenentwurf

Im Fru¨hjahr 1973 legte das Bundeswirtschaftsministerium erstmalig einen Referentenentwurf fu¨r ein neues Energiewirtschaftsgesetz vor.

Anlässlich der Beantwortung einer großen Anfrage der CDU/CSU im Deutschen Bundestag zu den Strompreisen hatte der Bundeswirtschaftsminister eine breit angelegte Neuordnung des Energiewirtschaftsrechts angekündigt.

Dieser Entwurf wurde mit Vehemenz vorangetrieben. Die Zeit fu¨r ein neues Gesetz war aber noch nicht reif. So stieß er auf erbitterten Widerstand der gesamten Versorgungswirtschaft und scheiterte letztlich kläglich. Vor allem auch im politischen Raum, nicht zuletzt initiiert von der kommunalen Seite, gab es heftige Ablehnung.

Dabei verfolgte der Entwurf nicht etwa revolutionäre Ziele. Er sollte die Staatsaufsicht präzisieren und einengen, d.h. sie auf eine verwaltungsrechtlich moderne Basis stellen. Freilich war auch angestrebt, im Interesse einer eher vorsichtigen Annäherung an den Wettbewerbsgedanken Monopolstrukturen tendenziell aufzulockern und die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht zu verschärfen. Dies war der eigentliche Kern des Anstoßes.

Die Kritik artikulierte sich vor dem Hintergrund, dass mächtige Interessen aus der Energiewirtschaft es auch in den Jahren zuvor immer wieder verstanden hatten,

  • sich als „beati possidentes“ entweder fu¨r unangemessene einseitige und deshalb nicht konsensfähige Lösungen einzusetzen, oder
  • sich die weit verbreiteten Beharrungskräfte in Bund, Ländern und Kommunen zunutze zu machen.

Ebenso wie die zuständigen Aufsichtsbehörden, d.h. die Länderwirtschaftsministerien, und letztlich die Politik ganz allgemein konnte die Versorgungswirtschaft mit dem in die Bundesrepublik gewissermaßen hineingewachsenen rechtlichen Torso ganz gut leben; bot er doch allen Beteiligten ausreichend Spielraum zur Durchsetzung ihrer Interessen, bestenfalls i.S. einer Ausbalancierung.

Dass der Drang, strittige Fragen auf dem Rechtsweg zu klären, angesichts der engen wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen der Beteiligten nicht gerade sehr ausgeprägt war, sei nur am Rande erwähnt.

Kein Wunder, dass unter diesen Rahmenbedingungen die Absicht, das Gesetz auf den Prüfstand zu stellen, zu einem Aufschrei führte. Der Protest war nicht zuletzt auch deshalb sehr wirksam, weil er mit düsteren Hinweisen auf die Verschlechterung von Versorgungssicherheit und Versorgungsqualität gepaart war. Dies fiel in Zeiten der Ölkrise auf fruchtbaren Boden. Da die Bundesregierung erklärtermaßen bemüht war, die Ölkrise möglichst mit marktwirtschaftlichen Mitteln in den Griff zu bekommen, wurde der Entwurf schließlich auch mit dem Hinweis gebrandmarkt, es handle sich um Dirigismus pur.

Das Ganze endete ziemlich unspektakulär: Die Arbeit am Gesetzentwurf wurde letztlich auf Druck der SPD-Zentrale eingestellt. Der wohl entscheidende politische Hintergrund war, dass die Elektrizitätswirtschaft gedroht hatte, die Verstromung teurer deutscher Steinkohle zu drosseln, falls der energiewirtschaftsrechtliche Ordnungsrahmen verändert werde. Dies hat gewirkt, denn kohlepolitische Fragen waren in Nordrhein-Westfalen und im Saarland jedenfalls damals immer auch Fragen der politischen Macht.

Gleichwohl ist die Diskussion u¨ber eine grundlegende Neuordnung des Energiewirtschaftsrechts nicht mehr verstummt.

In den achtiger Jahren des letzten Jahrhunderts war dieses Thema auf einmal auch für politische Profilierung geeignet. Im Vordergrund standen Umweltschutz, diskutiert am Beispiel der Einbeziehung der Fernwärme in das Energiewirtschaftsgesetz und die Rekommunalisierung der Energiewirtschaft. Im Übrigen hatte sich die Monopolkommission mehrfach für Veränderungen in Richtung Wettbewerb ausgesprochen. Auf der anderen Seite allerdings wurden auch Horrorgemälde über staatlich regulierte Versorgungswirtschaften – wie etwa in den USA – gezeichnet.

Dass es den von unterschiedlichsten Interessen geleiteten Kräften aus Wirtschaft und Politik immer wieder gelang, Reformansätze im Keim zu ersticken, ist kein Ruhmesblatt fu¨r erfolgreich gestaltende Politik. Ein erfolgreicher Zwischenschritt

Zwischen dem Entwurf von 1973/74 und dem neuen Aufgalopp mit einem Referentenentwurf im Jahre 1994 lagen immerhin rund 20 Jahre.

Es gab allerdings einen erfolgreichen Zwischenschritt. Dies war die 4. Kartellgesetznovelle von 1980. Sie war das Ergebnis einer zunehmend kritischen Diskussion in Wissenschaft und Politik u¨ber die ordnungspolitische Vertretbarkeit von Versorgungsmonopolen. Im Ergebnis war sie ein gelungener Kompromiss zwischen einem „aufgeklärten“ energiewirtschaftlichen Denken, das von „Ewigkeitsmonopolen“  (Gebietsschutzvereinbarungen von 50 Jahren und mehr) Abschied genommen hatte und Wettbewerbsinitiativen, die nicht Maximalziele anstrebten, sondern sich mit schrittweisem Vorgehen begnügten. So wurden im Wesentlichen

  • die Laufzeiten von Gebietsschutzverträgen auf 20 Jahre begrenzt,
  • der Wettbewerb um Versorgungsgebiete intensiviert,
  • die Missbrauchsaufsicht durch Beispiele, die auch die Durchleitung erfassten, konkretisiert und verschärft.

Schub aus Europa

Bis zum Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom April 1998, mit dem das Energiewirtschaftsgesetz 1935 endlich aufgehoben wurde, vergingen dann nochmals 18 Jahre.

Die entscheidende Schubkraft fu¨r die Reform kam aus Europa, und zwar im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes. Schon zu Beginn der neuziger Jahre des letzten Jahrhundert hatte die EU mit einer Reihe von Richtlinien Initiativen ergriffen, von denen nachhaltige Impulse auf die Strom- und Gaswirtschaft mit dem Ziel ausgingen, zu wettbewerbsorientierten Marktverhältnissen zu gelangen.

Entscheidende Bedeutung kam schließlich der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie von 1996 sowie der sich abzeichnenden Gasbinnenmarktrichtlinie 1998 zu. Die Bundesregierung konnte sich weiteres, letztlich alle Beteiligten frustrierendes Taktieren nicht mehr leisten.

1998 war es dann soweit. Das Neuordnungsgesetz brachte endlich den lang ersehnten Durchbruch. Die alte Welt war untergegangen: Auch wenn sie noch gewisse Spuren hinterlassen hat, war das entscheidend Neue:

  • dass die kartellrechtliche Freistellung der Gebietsschutzverträge mit ihren Ausschließlichkeitsbindungen beseitigt und damit brancheninterner Wettbewerb ermöglicht wurde,
  • dass ferner ein weiteres Wettbewerbsinstrument, die Durchleitung von Strom und Gas auf der Grundlage des von wenigen gesetzlichen Rahmenbedingungen flankierten verhandelten Netzzugangs eingeführt wurde und die entsprechenden wirtschaftlichen und technischen Einzelheiten auf der Grundlage sog. Verbändevereinbarungen vonstatten gehen sollten.

Hier lag allerdings ein Problem, das letztlich zum Scheitern eines Konzeptes führte, das die damals noch traditionelle Auffassung des Bundeswirtschaftsministeriums, von ins Detail gehenden technisch-wirtschaftlichen Vorschriften möglichst abzusehen, widerspiegelte. Man vertraute darauf, dass die beteiligten Wirtschaftszweige auf Grund ihres praxisbezogenen Sachverstandes sachgerechte Ergebnisse erzielen, hat also nicht selbst geregelt, sondern die Wirtschaft – auch die Verbraucherseite – mit ihren unterschiedlichsten Interessen an einen Tisch „gezwungen“. Verbändevereinbarungen, statt gesetzliche Details hieß die Losung.

Dabei hat man den Verbändeegoismus, der sich auf der Gasseite besonders hervortat, und die sich daraus entwickelnde Eigendynamik wohl unterschätzt. Es lief – jedenfalls zunächst – weder inhaltlich, noch zeitlich so, wie sich das Bundeswirtschaftsministerium dies vorstellte.

Von Brüssel verstärkte sich der Druck auf die Einfu¨hrung der Regulierung. Die deutsche Seite konterte mit dem Hinweis auf die ihrer Meinung nach „marktwirtschaftlichere“ Lösung eines Deals mit der Wirtschaft.

Das Nachliefern der Verbändevereinbarung Gas und eher unwürdige parlamentarische Schauspiel um die gesetzliche Verankerung der Verbändevereinbarungen Strom und Gas als „gute fachliche Praxis“ in der absehbar gerade mal ein halbes Jahr gültigen Novelle von 2003 konnten die Regulierung allerdings nicht mehr aufhalten.

Die Bundesregierung, die die Regulierung – ohne sie im Kern zu favorisieren – gegenüber der Versorgungswirtschaft als Drohmittel verwendet hatte, hat sich derweil in Brüssel für die eigene Position wohl nicht stark genug gemacht und wurde am Ende ziemlich kalt erwischt.

Immerhin hat das Energiewirtschaftsgesetz 1998 mit seinen 19 Paragraphen (20, wenn man noch die Änderung des Kartellgesetzes dazu nimmt) ordnungspolitische Türen aufgeschlagen und der Versorgungswirtschaft im Interesse von Effizienz und Verbraucherfreundlichkeit endlich neue Spielregeln vorgegeben hat.

Allerdings setzte sich auch im Energierecht der Grundsatz „nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz“; oder vielleicht „das Bessere ist der Feind des Guten“ durch.

Nach den Brüsseler Beschleunigungsrichtlinien Strom und Gas aus 2003 hatte das EnWG 1998 keine Chance mehr. Im – verglichen mit dem EnWG 1935 – zarten Alter von sieben Jahren musste es den Geist aufgeben. An seine Stelle trat das heute noch gültige EnWG 2005.

Ansprechpartner: Dr. Wolfang Danner

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag von Herrn Dr. Danner im Rahmen des Festaktes „75 Jahre Energiewirtschaftsgesetz – 5 Jahre Energieregulierung“ (dieser veranstaltet von Bundesnetzagentur und C.H. Beck Verlag im Februar 2011).

Sie interessieren sich für die Entwicklung des Energierecht? Dann schauen Sie z.B. hier und hier.

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