Atomstrom als Ökostrom: Jetzt prüft die EU-Kommission

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Ende des vergangenen Jahres hat die britische Interessengruppe Energy Fair Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht wegen des Verdachts nicht notifizierter Beihilfen Großbritanniens an den britischen Atomsektor. Der Vorgang fand große Beachtung in der britischen und internationalen Presse.

Damit liegt der Kommission direkt ein ganzes Paket von Maßnahmen der britischen Regierung vor, von dem es heißt, dass es als „Geschenk“ für große Atominvestoren schnell noch geschnürt wurde, bevor diese sich womöglich anders entscheiden: Steuerbefreiung, Zuschuss zur Abfallentsorgung, Haftungsbeschränkung und Feed In Tariff.

Im Fokus der Beschwerde steht insbesondere der sog. Carbon Price Floor: Dieser soll nach dem Willen der britischen Regierung als Korrektur für einen eventuell zu geringen Preis für Emissionszertifikate fungieren. Mit dieser Maßnahme wird eine bis vor kurzem bestehende Steuerfreistellung für den Energiesektor aufgehoben und somit de facto eine neue Steuer auf emissionsstarke, fossile Energieträger auch in der Energieerzeugung eingeführt.

In der mit dem Finance Act 2011 eingeführten Regelung ist ein Mindestpreis von 4.94 £/Tonne CO2 vorgesehen, der auf den Energiepreis draufgeschlagen wird. Wie auch in vielen anderen Mitgliedsstaaten, in denen ähnliche Beiträge erhoben werden (beispielsweise der „Kyoto“-Aufschlag in Belgien) sind Erneuerbare Energien von der Zahlungsverpflichtung befreit. Ebenso sind jedoch in Großbritannien Atomkraftwerke von der Erhebung ausgenommen – und das ist ein Grund der Beschwerde: Immerhin gibt es auch bei der Atomenergie signifikante „Life Cycle Emissionen“. Angesichts der mangelnden Akzeptanz in anderen Mitgliedsstaaten der EU, Deutschland mit seinem Atom-Ausstieg allen voran, ist eine solche De-facto-Steuerbefreiung aus beihilferechtlichen Gründen zumindest zu hinterfragen.

Auch die für die Atommüllentsorgung zur Diskussion stehenden festgesetzten Höchstpreise hält die Interessengruppe Energy Fair für beihilferechtlich unwirksam. Die genauen Kosten für entsprechende Entsorgung sind unklar und schwer abzuschätzen. Dementsprechend plant die britische Regierung, dass erst mit dreißigjähriger Verzögerung entsprechende Preise festgelegt werden. Zwar ist noch nichts Konkretes verabschiedet, jedoch wird aus den Regierungsvorschlägen deutlich, dass sie in Betracht ziehen, die Preise festzulegen und auf einem Niveau unterhalb des anzunehmenden Marktpreises zu „kappen“. Somit erhielten die Betreiber von Kernkraftwerken nicht nur einen finanziellen Vorteil, für den die Regierung keinerlei Gegenleistung bekäme und der somit marktunüblich ist, sondern es wird ihnen auch von vornherein Finanzierungssicherheit verschafft, was diesen wichtigen Kostenpunkt betrifft. Beides könnte potentiell wettbewerbsverzerrende Folgen auf dem Strommarkt haben – insbesondere wenn man sich den relativ hohen Anteil an Atomstrom im britischen Mix vor Augen führt.

Dahingegen ist der sog. Liability Cap in der Haftung im Falle von Unfällen schon lange in Kraft und auf internationales Vertragsrecht zurückzuführen, das auf die Zeit vor dem Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Union zurückdatiert. Die Beschwerde richtet sich weiter dagegen, dass Großbritannien bislang nach wie vor ein Liability Cap in der Haftung im Falle von Unfällen aufrecht erhält.

Großbritannien plant, im Rahmen der Implementierung der letzten Änderungen der Brüsseler/Pariser Konventionen von 2004 den Cap anzuheben: Statt mit bisher 140 Mio. £ sollen Betreiber von Kernkraftwerken mit bis zu 1,2 Mrd. £ haften müssen. Damit wäre Großbritannien zwar nicht das EU-Land mit der niedrigsten Haftung. Jedoch haben andere Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, die direkte Haftungsbeschränkung mittlerweile abgeschafft. Da die Konventionen – und die Umsetzung in Großbritannien – mit der Haftungsbeschränkung ein System vorsehen, dass einerseits der Atombranche Finanzierungssicherheit gibt und es ihnen ermöglicht, günstigere Versicherungen abzuschließen, andererseits aber auch direkt oder indirekt dafür sorgt, dass im Falle eines Vorfalles wie in Fukushima, wo die Kosten zumindest auf das Vierfache des Caps geschätzt werden, in letzter Instanz doch der Staat mit eigenen Mitteln für die Reparatur und Wiedergutmachung aufkommt, ist die Regelung aus europarechtlicher Sicht auch vor dem Hintergrund der Fairness im Wettbewerb bedenklich.

Als vierten Punkt weist die Beschwerde auf das geplante neue Fördersystem für Erneuerbare Energien hin. Die „Feed-In Tariffs with contracts for difference“ sollen nämlich nicht nur für Energie aus erneuerbaren Quellen gelten, sondern sehen auch Förderung für Atomstrom vor. Dies ist mit der EU-Definition von Erneuerbaren Energien klar unvereinbar.

Insgesamt werden also mit der Beschwerde Punkte angesprochen, die nicht nur für Großbritannien relevant sind, sondern die generell mit der Frage zusammenhängen, wie die europäische Energieversorgung der Zukunft aussehen sollte und müsste. Gerade Erneuerbare Energien werden oft als „zu teuer“ dargestellt. Ob das angesichts der immer noch bestehenden, und teilweise steigenden Subventionen für fossile Energie bzw. Atomstrom tatsächlich so ist, daran kann man mit guten Gründen zweifeln.

Ansprechpartner: Prof. Christian Held/Dr. Dörte Fouquet/Dr. Olaf Däuper

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