Aus der Traum vom Energiebinnenmarkt?

(c) BBH
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„Ein funktionierender Energiebinnenmarkt“: Unter diesem Titel steht die Mitteilung, die die EU-Kommission am 15. November 2012 veröffentlicht hat. Ein besserer Titel wäre allerdings „ein nicht funktionierender Energiebinnenmarkt“ gewesen. Denn genau das kam bei der Bestandsaufnahme mehr oder weniger heraus: Der Energiebinnenmarkt funktioniert nicht und wird, wie es aussieht, auch in 2014 nicht funktionieren. Damit wäre das – insbesondere von Energiegeneraldirektor Philip Lowe so oft deklarierte – Ziel also verfehlt.

In einem jedenfalls entspricht der Bericht der Realität – er geht eher statt  von „einem Markt“  von den  „Märkten“ aus, womit die nationalen Energiemärkte in den Mitgliedsstaaten gemeint sind. Und diese nationalen Märkte sehen sehr, sehr unterschiedlich aus, wie die 150 Seiten Länderbericht, die die Mitteilung begleiten und ihr als Basis dienten, deutlich machen.

Vorab: Deutschland kommt in der Bewertung recht gut weg. Der Strommarkt sei „relativ gut entwickelt“. Allerdings gebe es beim Infrastrukturausbau einen Rückstand, der durch den Ausbau der Erneuerbaren noch verstärkt wurde; Ausgleichsenergie müsse entsprechend oft Umwege über die Netze von Polen oder Tschechien machen. Auch was die Marktintegration mit unseren Nachbarn betrifft – und hier kommt wieder die Idee vom Binnenmarkt zum Tragen – sei mehr Kooperation gefragt. Mit einem Strommarkt, der – trotz der fusionsrechtlichen Bemühungen der Kommission – von vier großen Versorgern zu 82 Prozent kontrolliert wird, steht man im Vergleich zu anderen Ländern zwar nicht ganz so gut da, allerdings haben andere noch größere Probleme: In Frankreich hat beispielsweise ein einziges staatliches Unternehmen – die EDF – allein dieselbe Vormachtstellung. Auch in punkto Strompreise ist die Kommission recht zufrieden. Der deutsche Strompreis sei ziemlich konkurrenzfähig, was auch an den günstigen Konditionen für Windenergie und den technologischen Fortschritten auf diesem Gebiet läge. Allerdings wird angemerkt, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) dazu tendiert, Marktsignale abzuschwächen.

Was Gas betrifft, ist das Problem auch wieder die Infrastruktur. An den Hauptgrenzen herrscht immer noch Stau und der grenzüberschreitende Handel wird somit verhindert. Auch innerhalb Deutschlands gibt es Engpässe, heißt es, und insgesamt sollte Deutschland die Wechselbeziehungen zwischen Gas- und Stromverbrauch genauer analysieren.

Zum Thema Verbraucher wird angemerkt, dass Deutsche zwar den Anbieter wechseln und dabei auch durchaus bewusste Wahlen treffen – und damit zur Spitze Europas gehören. Andererseits gebe es aber keinen offiziellen Online-Vergleichsrechner, wenn auch einige inoffizielle.

Mit der Arbeit der anderen Mitgliedsstaaten ist die Kommission dahingegen weniger zufrieden. Insgesamt sind gegen 13 Länder Vertragsverletzungsverfahren anhängig, weil die Binnenmarktpakete nicht oder nicht richtig umgesetzt wurden. Dies betrifft insbesondere auch die deutschen Nachbarn Frankreich und Polen, wobei die Kommission gegen Polen und Finnland am 20. November 2012 neue Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH eingeleitet hat. Auch ist der Markt in den meisten Mitgliedsstaaten immer noch sehr konzentriert und wenig kompetitiv. Frankreich, wo ein zudem noch staatlich kontrolliertes Unternehmen rund 80 Prozent des Marktes kontrolliert, ist also kein Einzelfall. In Lettland sind beispielsweise nur drei der 32 zugelassenen Versorger überhaupt aktiv, und auch in Italien kommen drei Unternehmen auf 90 Prozent des Marktes. Auch werden in mehr als der Hälfte der Mitgliedsstaaten, darunter Nachbar Belgien, die Preise für Endkunden reguliert.

Ein ganz eigenes Kapitel ist der Frage der Kapazitätssicherung gewidmet. Dabei ist die Kommission eindeutig kein Anhänger der Ideen zu Kapazitätsmärkten, wie sie derzeit in aller Munde sind, und stellt klar, dass solche Instrumente wahrscheinlich sowohl mit den Bestimmungen zum Binnenmarkt als dem Beihilferecht Schwierigkeiten bekommen würden. Die Mitgliedsstaaten hätten also ganz konkret zu analysieren, ob es Probleme mit Investitionen in Erzeugungskapazitäten überhaupt gäbe, und wenn ja, warum. Weiter sei auch darzulegen, warum Kapazitätsmärkte nötig wären und warum es nicht weniger in den Markt eingreifende Methoden gebe, um angemessene Kapazität sicher zu stellen.

Insgesamt ist die Bilanz – insbesondere angesichts des Ziels, bis 2014 einen funktionierenden Energiebinnenmarkt zu haben – wohl doch eher ernüchternd und es ist eher von Abschottung als von Integration zu sprechen. Allerdings gibt die Kommission sich kampfbereit: Kommissar Günther Oettinger will die Leitlinien für Fördermechanismen für Erneuerbare Energien, zu Kapazitätsmechanismen und die Preisregulierung anpacken.

Schlussendlich, so das Fazit der Kommission, sei ein funktionierender Binnenmarkt der beste Weg, um dem Verbraucher nicht nur Versorgungssicherheit, sondern auch erschwingliche Preise zu garantieren.

Ansprechpartner: Prof. Christian Held/Dr. Dörte Fouquet

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