Besondere Ausgleichsregelung im Kabinettsentwurf: Viel Bekanntes, einige Neuerungen

(c) BBH
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Die Befreiung energieintensiver Industrien von der EEG-Umlage ist seit langem ein heiß umstrittenes Thema. In den vergangenen Wochen hatten sich die Wogen bei der Diskussion um die künftige Ausgestaltung dieser so genannten „Besonderen Ausgleichsregelung“ schon geglättet. Recht zufrieden mit den Ergebnissen der zähen Verhandlungen in Brüssel, die schließlich in die von der Europäischen Kommission am 9.4.2014 beschlossenen Leitlinien für staatliche Umwelt- und Energiebeihilfen (wir berichteten) mündeten, wurde im stillen politischen Kämmerlein des Bundeswirtschaftsministeriums fleißig an der Formulierung der neuen Vorgaben gefeilt. In der Industrie erwartete man allenthalben, dass die Neuregelung weitestgehend ein Abbild der europäischen Vorgaben sein würde, ließen diese den Mitgliedsstaaten doch nur wenig Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung. Nun, mit dem Kabinettsbeschluss zur besonderen Ausgleichsregelung, ist die Katze aus dem Sack: Vieles war zu erwarten. Einiges kam neu hinzu.

Wer wird künftig unter welchen Voraussetzungen entlastet?

Der Kabinettsentwurf unterteilt die privilegierten Unternehmen – wie schon in dem Ende März veröffentlichten Referentenentwurf (wir berichteten) angelegt – in solche aus Branchen der Liste 1 (Annex 3 der Leitlinien) und solche aus Branchen der Liste 2 (Annex 5 der Leitlinien).

Liste-1-Unternehmen sollen nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 lit. a künftig nur noch privilegiert sein, wenn sie

  • im Antragsjahr 2014 (=Begrenzungsjahr 2015) eine Stromkostenintensität von mindestens 16 Prozent und
  • ab dem Antragsjahr 2015 (=Begrenzungsjahr 2016) eine Stromkostenintensität von mindestens 17 Prozent

vorweisen. Gegenüber dem geltenden Erneuerbaren-Energien-Gesetz ( EEG 2012), das bei Unternehmen des produzierenden Gewerbes eine Stromintensität von 14 Prozent verlangt, bedeutet dies eine Verschärfung. In den Leitlinien war eine solche unternehmensindividuelle Grenze für diese Branchen zwar nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Die Gesetzesbegründung rechtfertigt die Anhebung der Schwellenwerte jedoch damit, dass die EEG-Umlage zwischenzeitlich gestiegen sei, was ohnehin zu einer höheren Stromkostenintensität führe.

Unternehmen aus Branchen der Liste 2 müssen eine Stromkostenintensität von 20 Prozent vorweisen (§ 61 Abs.1 Nr. 2 lit. b). Dies wird durch die Leitlinien vorgegeben, führt aber dazu, dass viele Unternehmen – etwa aus der Lebensmittelbranche – künftig die Voraussetzungen für eine Privilegierung nicht mehr erfüllen. Für diese greift dann unter bestimmten Voraussetzungen die Härtefallregelung (dazu sogleich).

Im Zusammenhang mit der Anhebung der Schwellenwerte werden auch die Begriffe der Stromkostenintensität und der Bruttowertschöpfung in § 61 Abs. 6 neu definiert. Bei beiden soll – nach einer Übergangsfrist – auf Durchschnittswerte der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre abgestellt werden. Die Kosten des Stromverbrauchs, der künftig auch die eigenerzeugten umlagepflichtigen Strommengen erfassen soll, können in Zukunft auch anhand standardisierter Effizienzwerte berechnet werden. Zudem soll sich die Bruttowertschöpfung künftig zu Faktorkosten und ohne Abzug von Personalkosten für Leiharbeitsverhältnisse berechnen.

Für Unternehmen, die für das Jahr 2014 nur eine begrenzte EEG-Umlage zahlen und das künftig aufgrund der verschärften Anforderungen an die Stromkostenintensität nicht mehr können, soll durch die Härtefallregelung des § 99 Abs. 4 Abhilfe geschaffen werden. Danach kann zugunsten solcher Unternehmen die Belastung für den über eine Gigawattstunde hinausgehenden Stromverbrauch auf 20 Prozent begrenzt werden, sofern eine Stromkostenintensität von mindestens 14 Prozent besteht. Dies betrifft

  • Unternehmen aus Branchen, die weder in Liste 1 noch in Liste 2 der Anlage 4 zum EEG 2014 aufgeführt sind,
  • Unternehmen aus Branchen in Liste 1, deren Stromkostenintensität zwar 14 Prozent übersteigt, aber nicht 16 bzw. 17 Prozent der Stromkostenintensität beträgt,
  • Unternehmen aus Branchen in Liste 2, deren Stromkostenintensität zwar 14 Prozent übersteigt, aber nicht 20 Prozent der Stromkostenintensität beträgt.

Zu erheblichen Einschnitten könnte es auch bei selbständigen Unternehmensteilen kommen, die bislang von den Begrenzungsmöglichkeiten profitierten. Der Entwurf lässt nämlich – ohne dass ein plausibler Grund für eine Unterscheidung ersichtlich wird – lediglich eine Privilegierung von selbständigen Unternehmensteilen in Branchen der Liste 1 zu, nicht hingegen von jenen aus Branchen der Liste 2 (§ 61 Abs. 5 Satz 1). Im Ergebnis würde damit die Besondere Ausgleichsregelung gerade in der Lebensmittelbranche in weiten Teilen leer laufen. Die betroffenen Branchen dürfte es daher auch kaum trösten, dass der jetzige Kabinettsentwurf, anders als der viel kritisierte Vorentwurf, nicht mehr verlangt, dass selbständige Unternehmensteile ihre Erlöse „ganz überwiegend“ mit externen Dritten erzielen, und nunmehr nur noch eine „wesentliche“ externe Erlöserzielung verlangt.

Wie hoch ist die Entlastung?

Im Kabinettsentwurf wurden die Regelungen zur Reichweite und zum Umfang der Entlastung für privilegierte Letztverbraucher zum Teil um neue Vorgaben ergänzt.

Neu ist zum einen, dass die Begrenzung der EEG-Umlage für die gesamte, vom Unternehmen selbst verbrauchte Strommenge gilt (§ 61 Abs. 2). Dies schließt – wie die Definition der Stromkostenintensität in § 61 Abs. 6 Nr. 3 ausdrücklich zeigt – neben bezogenen auch selbst erzeugte umlagepflichtige Strommengen im Sinne von § 58 des Kabinettsentwurfs vom 8.4.2014 mit ein. Eine „Synchronisierung“ mit der im Kabinettsentwurf vorgesehenen Entlastungsregelung des § 58 Abs. 6 für bestimmte Eigenversorgungsmodelle ist aber noch nicht erfolgt.

Hinzu kommt zum anderen auch eine deutliche Anhebung der EEG-Kostenbelastung der privilegierten Unternehmen: Der Selbstbehalt für die erste Gigawattstunde, der im EEG 2012 für Unternehmen mit einem Stromverbrauch von weniger als 100 Gigawattstunden bereits verankert ist, wird ebenso unverändert übernommen wie die aus den Leitlinien bereits bekannte grundsätzliche Begrenzung der Belastung auf 15 Prozent der regulären EEG-Umlage nebst Cap (4 Prozent der Bruttowertschöpfung) und Super-Cap (0,5 Prozent der Bruttowertschöpfung). Vollkommen neu ist aber der Sockelbetrag, den die Bundesregierung im jetzigen Entwurf einführt. So soll die Mindest-Umlage, die die privilegierten Unternehmen jenseits des Selbstbehalts zu tragen haben, wenigstens 0,1 Cent je Kilowattstunde betragen (§ 61 Abs. 2 Nr. 4). Mit anderen Worten: Selbst wenn das auf Basis der Bruttowertschöpfung für das Unternehmen im jeweiligen Begrenzungsjahr ermittelte Cap niedriger als die auf die Gesamtstrommenge bezogene Mindest-Umlage ist, müssen die betroffenen Unternehmen die Mindest-Umlage zahlen. Ist die Mindest-Umlage geringer als das Cap, greift dagegen das Cap. Für zahlreiche besonders stromintensive Unternehmen wäre das – wenn es denn so kommt – eine gleichermaßen unerwartete wie bittere Pille, die schlagartig zu einer Verdoppelung der Kosten führt.

Apropos Kostenanstieg: Unternehmen, die unter dem geltenden EEG 2012 für das Jahr 2014 einen bestandskräftigen Begrenzungsbescheid erhalten haben, sollen sich bis zum Jahr 2019 auf einen etwaigen Anstieg der Belastung einstellen können. Zu diesem Zweck soll sich die zu zahlende EEG-Umlage für diese Unternehmen von Jahr zu Jahr höchstens verdoppeln dürfen (§ 99 Abs. 3).

Wie geht es weiter?

Der Zeitplan zur Novellierung des EEG sieht vor, dass der Gesetzentwurf – nach der heutigen ersten Lesung im Bundestag – am 23.5.2014 im Bundesrat beraten werden soll. Die Expertenanhörung ist hiernach auf den 2.6.2014 angesetzt. Am 26./27.6.2014 folgt dann planmäßig die zweite und dritte Lesung sowie die Verabschiedung im Bundestag. Das Gesetz soll schließlich nach Beschluss im Bundesrat am 11.7.2014 zum 1.8.2014 in Kraft treten.

Wer also noch Änderungsbedarf am Entwurf sieht, für den rennt die Zeit…

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Mar­tin Alt­rock/Andreas Große/Dr. Mar­kus Kachel/Dr. Tigran Heymann

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