BGH entscheidet über Netzentgeltbefreiung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011

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Die Netzentgeltbefreiung nach der StromNEV 2011 ist nichtig. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 8.10.2015 (Az. EnVR 32/13) letztinstanzlich entschieden. Das Gericht setzt damit einen Schlussstrich unter einen knapp dreieinhalb Jahre dauernden Rechtsstreit eines Netzbetreibers gegen einen von den Netzentgelten befreiten Letztverbraucher.

Es geht dabei um § 19 Abs. 2 StromNEV (in der am 4.8.2011 in Kraft getretenen Fassung – StromNEV 2011). Diese Norm sieht für unterschiedliche Formen der Netznutzung Entlastungen von den Netzentgelten vor. Davon profitieren Netznutzer, die entweder aufgrund eines Strombezugs außerhalb der allgemeinen Hauptlastzeiten des Netzes (sog. atypische Netznutzung, § 19 Abs. 2 Satz 1) oder aber aufgrund eines sehr gleichmäßigen (bandlastförmigen) Bezugsverhaltens (sog. intensive Netznutzung, § 19 Abs. 2 Satz 2) stabilisierend auf das Elektrizitätsversorgungssystem wirken.

Ursprünglich war im Rahmen der intensiven Netznutzung zunächst nur vorgesehen, die vom Letztverbraucher zu zahlenden Netzentgelte gegenüber dem veröffentlichten Netzentgelt anteilig herabzusetzen. Die Novellierung des § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV im August 2011 befreite die Netznutzer aber vollständig von den Netzentgelten.

Im Anschluss daran legte die Bundesnetzagentur (BNetzA) Ende 2011 fest, wie die entgangenen Erlöse der Netzbetreiber weitergewälzt werden (sog. §-19-StromNEV-Umlage). Zudem erteilten die BNetzA und die Landesregulierungsbehörden den begünstigten Letztverbrauchern auf Antrag entsprechende Netzentgeltbefreiungen, die zudem rückwirkend für 2011 gewährt wurden, wenn der Antrag seitens des begünstigten Unternehmens noch in jenem Jahr gestellt worden war.

Sowohl die Netzentgeltbefreiungen als auch die Wälzung wurden teilweise von einzelnen Netzbetreibern auf dem Beschwerdeweg vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf und anderen Oberlandesgerichten angegriffen. Nachdem das OLG Düsseldorf die Festlegung der BNetzA bereits per Beschluss am 6.3.2013 (wir berichteten) für rechtswidrig (Az. VI-3 Kart 65/12 (V)) erklärte und deshalb verworfen hatte und nachdem die Europäische Kommission noch am selben Tage ein Beihilfeprüfverfahren bzgl. des § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 eröffnet hatte, reagierte der Verordnungsgeber im Laufe des Jahres 2013 (wir berichteten).

Er überarbeitete den § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 eingehend:

  • Bei noch offenen Verfahren zur Netzentgeltbefreiung wurde die Entlastung bis Ende 2013 auf eine gestaffelte, anteilig pauschale Herabsenkung des Netzentgelts in Abhängigkeit von der Vollbenutzungsstundenzahl beschränkt (§ 32 Abs. 7 Satz 1 StromNEV aktuelle Fassung).
  • Bereits erteilte Netzentgeltbefreiungen wurden auf Basis von § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 bis Ende 2013 befristet (§ 32 Abs. 7 Satz 3 StromNEV aktuelle Fassung).
  • Die vorgenannten Regelungen sollten entsprechend gelten, wenn eine erteilte Netzentgeltbefreiung durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung nachträglich aufgehoben wird (§ 32 Abs. 7 Satz 3 StromNEV aktuelle Fassung).
  • Für den Zeitraum ab 2014 wurde die gestaffelte Reduzierung zusätzlich vom individuellen Netzentlastungsbeitrag des Letztverbrauchers abhängig gemacht, der anhand des sog. physikalischen Pfades berechnet wird. Diese Entlastung trat damit an die Stelle der zuvor pauschalen Staffelung der Netzentgeltreduzierung (§ 19 Abs. 2 Sätze 2 und 3 i.V.m. § 32 Abs. 8 StromNEV aktuelle Fassung).

Ungeachtet dieser regulatorischen Änderungen liefen einzelne Beschwerdeverfahren gegen erteilte Netzentgeltbefreiungen parallel weiter. Bereits im Mai 2013 hatte das OLG Düsseldorf im nun vom BGH entschiedenen Fall entschieden, dass das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) eine vollständige Befreiung nicht hergebe und § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 daher nichtig sei. Auf die Rechtsbeschwerde des betroffenen Letztverbrauchers hin hat der BGH diese Entscheidung abschließend bestätigt.

Wie geht es weiter?

Die Entscheidung des BGH sorgt in noch anhängigen Verfahren über Netzentgeltbefreiungen nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 für abschließende Klarheit: Eine vollständige Netzentgeltbefreiung scheidet aufgrund der Nichtigkeit jener Regelung grundsätzlich aus, soweit die Befreiungsbescheide noch nicht bestandskräftig sind. In diesen Fällen kommt jedoch für den Zeitraum bis 2013 – wie erwähnt – eine gestaffelte Netzentgeltreduzierung in Betracht.

Soweit Befreiungsbescheide hingegen bereits bestandskräftig sind (also nicht durch Beschwerde angegriffen wurden), sind sie nachträglich nur schwer korrigierbar. Erstens stellt sich im Rahmen des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts bei der rückwirkenden Aufhebung von Bescheiden, die eine monetäre Vergünstigung mit sich bringen, immer die Frage nach dem Vertrauensschutz Betroffener. Dies gilt vorliegend umso mehr, als der Verordnungsgeber 2013 regulierungsrechtlich verankert hatte, dass erteilte Netzentgeltbefreiungen erst nach Ende des Jahres 2013 unwirksam werden. Zweitens sind für die Aufhebung von Bescheiden Fristen zu beachten, die der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden dienen. Die Regulierungsbehörde hat für die Rücknahme rechtswidrig erteilter Netzentgeltbefreiungen grundsätzlich nur ein Jahr Zeit, nachdem ihr die Tatsachen bekannt werden, die eine Aufhebung rechtfertigen. Da sich das OLG Düsseldorf aber bereits im Frühjahr 2013 zu § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 geäußert hat, scheinen diese Fristen verstrichen. Auch wenn im Markt in den vergangenen Tagen vereinzelt Gerüchte die Runde machten, einzelne Landesregulierungsbehörden hätten sich einen nochmaligen kritischen Blick auf bestandskräftige Bescheide vorbehalten, ist der rechtliche Spielraum hierfür denkbar klein.

Auf einem anderen Blatt steht freilich, wie die Sache beihilfenrechtlich aussieht. Bislang hat sich die Europäische Kommission noch nicht abschließend dazu geäußert, wie das anhängige Beihilfenprüfverfahren gegen § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 – gerade mit Blick auf die zwischenzeitliche umfassende Novellierung der Regelung – ausgehen wird. Sähe die Europäische Kommission in individuellen Netzentgeltbefreiungen einen (teilweisen) Verstoß gegen das Beihilfenrecht, wären insoweit Gesichtspunkte des Bestands- und Vertrauensschutzes jedenfalls weitestgehend ausgeschlossen.

Wie bei so vielen Themen gilt also auch hier: Fortsetzung folgt….

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Thies Christian Hartmann/Dr. Markus Kachel/Dr. Tigran Heymann

 

 

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