Der Countdown für das Verordnungspaket intelligente Netze (Teil 2): Der Projektplan zum Smart-Meter-Roll-Out für EVU

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Zu den Eckpunkten des Verordnungspaket haben wir kürzlich in unserem Teil 1 berichtet. Nun folgt der praktische Teil.

Nachhaltige Modernisierung statt genereller Roll-Out: das ist die neue Prämisse für die regulatorische Zukunft der intelligenten Netze in Deutschland. Das heißt, dass für reine Energieverbraucher die Pflicht, intelligente Messgeräte einzubauen, stufenweise kommt, was für die Netzbetreiber und Energieversorger die Frage, welche Technologie sie in welchen Mengen beschaffen und anbieten müssen, zeitlich deutlich entzerrt. Insbesondere müssen sie sich fragen, ob sie die so genannte Smart-Meter-Gateway-Administration selbst bzw. in Kooperation mit anderen entwickeln oder bei Dritten kaufen.

Wie werden sich die künftigen Verordnungen auf den technischen Roll-Out auswirken, auf Prozesse, Organisation und IT-Systeme? Was werden die Skaleneffekte sein? Was die Grenzkosten?

Um hier exemplarisch die Tragweite zu erläutern, lohnt sich ein Blick in unsere „Smart-Grid-Reifegrad-Checks“, die wir bei vielen Verteilernetzbetreibern bereits durchgeführt haben. Bei einem Verbrauch von größer 6.000 kWh/Jahr sind je nach Region und städtischer oder ländlicher Situation, etwa 8 bis 12 Prozent der Letztverbraucher von der Einbaupflicht betroffen, bei einem Verbrauch größer 10.000 kWh/Jahr sind es nur noch etwa 4 bis 6 Prozent und bei einem Verbrauch größer 20.000 kWh/Jahr vergleichsweise geringe 1 bis 2 Prozent.

Wenn die Roll-Out-Verordnung so kommt wie angekündigt, wird es bis zum Jahr 2017 erheblich weniger intelligente Smart-Meter-Systeme geben. Im Vergleich zu  dem in der Kosten-Nutzen-Analyse von Ernst & Young favorisierten Roll-Out-Szenario-Plus (ROS+) wird ihre Gesamtzahl nur  etwa ein Sechstel bis ein Achtel betragen.

Das heißt, dass bereits durchgeführte Wirtschaftlichkeitsberechnungen geprüft und auf das neue Mengengerüst angepasst werden müssen. Insbesondere folgende Aufgabenbereiche sind auf Grund ihrer Grenzkosten von der Änderung betroffen:

  • Beschaffung der Geräte
  • Roll-Out-Planung, Gangfolge und Zählermontage der iMSys
  • Personalkapazitäten
  • unterstützende IT-Systeme

Aufgrund des geringeren Mengengerüsts zum Roll-Out-Beginn müssen vor allem die Organisationseinheiten mit hohem Fixkostenanteil detailliert auf ihre Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Mit anderen Worten: Man muss prüfen, ob es günstiger ist, die notwendigen Leistungen selbst in einer Kooperation zu erbringen oder sie, zumindest in den ersten Jahren des Roll-Outs, von Dritten zu beziehen.

Auch die Vorgabe des Eckpunktepapiers des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) (wir berichteten), dass intelligente Messsysteme vom Messstellenbetreiber für unter 100 Euro pro Jahr betrieben werden müssen, kann durch die geringen Mengen zu Roll-Out-Beginn gerade für kleinere grundzuständigen Messstellenbetreiber (MSB) und Kooperationsgesellschaften zur Herausforderung werden. Auf den ersten Blick bietet das im Eckpunktepapier genannte Ausschreibungsmodell einen Ausweg für diese Misere. Allerdings sollte man sich das gut überlegen, denn: Hat man einmal einen dritten „intelligenten Messstellenbetreiber“ (iMSB) im Netzgebiet, wird der eigene grundzuständige MSB, salopp gesprochen, zum reinen „Ferraris-MSB“ degradiert.  Da die Anzahl an verbauten intelligenten Messsystemen naturgemäß zunehmen wird, ist das Ausschreibungsmodell als „Quasi-Austritt“ aus dem Messwesen anzusehen. Strategische Überlegungen und wirtschaftliche Berechnungen sind nötig, um sich nicht die Zukunft als grundzuständiger MSB zu verbauen.

Auch die potenziellen Smart-Meter-Gateway-Administratoren müssen ihr Geschäftsmodell anhand des neuen Mengengerüsts auf die finanzielle Tauglichkeit prüfen und gegebenenfalls ihre Strategie und/oder ihr Preismodell ändern. Gerade die Umlage der hohen fixen Investitionskosten  in IT-Systeme plus Zertifizierungskosten (nach ISO 27001 aus Basis GS bzw. kommender  TR-03109-06) auf die verringerten Messsysteme zu Beginn wird spannend. Hier gilt es zu prüfen,  ob die tatsächlichen Effektivkosten je intelligentes Messsystem richtig kalkuliert wurden.

Das Zahlen- und Kostengerüst und die damit verbundenen Grenzkosten aus der im Juli 2014 veröffentlichten Analyse der Deutschen Energie-Agentur (dena) setzt noch auf den alten Rahmenbedingungen auf – also einer Einbaupflicht für Verbraucher mit mehr als 6.000 kWh/Jahr. Das muss nun entsprechend neu betrachtet werden. So ging die Studie davon aus, dass die Zertifizierung nach ISO 27001 auf der Basis BSI-Grundschutz den Gateway-Administrator einmalig ca. 600.000 Euro und für die fortlaufende jährliche Zertifizierung ca. 87.000 Euro/Jahr kosten werden. Unter der vereinfachten Annahme, dass etwa 1,5 Prozent aller Zähler ab 2017 von der Einbaupflicht betroffen sein werden, müssen selbst grundzuständige Messstellenbetreiber mit einer hohen Anzahl an Entnahmestellen in der Sparte Strom für die Zertifizierung des Gateway-Administrators einmalig 40 Euro und für die jährliche Zertifizierung 5,80 Euro (fortlaufende Kosten) je Messsystem  ansetzen (Annahme: 15.000 iMSys).

Intelligente Messsysteme sollen auch dazu dienen, steuerbare Lasten verschieben zu können und so die Netze zu stabilisieren. Auch dafür kann man vorerst das Potential der Einzelhaushalte mit ihren Waschmaschinen und Kühlschränken vernachlässigen. Hier ist eher der Fokus auf die energieintensive Industrie bzw. größere Gewerbekunden zu legen.

Das technische Bauteil zur Kontrolle von steuerbaren Verbrauchern und Erzeugern, die sog. Steuerbox, ist aktuell nicht Gegenstand der technischen Richtlinie TR-03109 bzw. des Schutzprofils, jedoch hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) den Schutzbedarf erkannt und ein entsprechendes Schutzprofil angekündigt. Aktuell ist jedoch nicht mit einer Finalisierung unter 2 Jahren zu rechen. Ungeachtet dessen, dass bis zum produktiven Einsatz dieses wichtigen Bausteins des intelligenten Netzes noch einige Zeit vergehen wird, müssen die potenziellen Marktteilnehmer ihre Business Cases an dem neuen Mengengerüst des Eckpunktepapiers ausrichten und neue Strategien ableiten, denn: der Roll-Out kommt.

Ansprechpartner: Dr. Andreas Lied/Stefan Brühl

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