Die billigste Flexibilität ist ein intelligentes Netz?

(c) Martin Beckmann
(c) Martin Beckmann

Im letzten Teil unserer losen Serie zum Thema Flexibilität und Stabilität soll das Netz selbst im Mittelpunkt stehen. Bisher stand, wie in Teil 1 schon eingeführt, dabei im Vordergrund, die Wege im Stromnetz zwischen Erzeugern und Verbrauchern kurz zu halten. Daher hat man in der Vergangenheit die großen Kraftwerke in die Nähe der Bevölkerungszentren gelegt. Nordrhein-Westfalen ist ein gutes Beispiel: Es ist das bevölkerungsreichste Bundesland und hat auch die meiste Stromerzeugung – Energieland NRW halt.

Der Zusammenhang aber wird aufgebrochen. Dezentrale Einspeisung floriert, ist jedoch wetterabhängig. Viele Menschen und Unternehmen wollen Eigenversorger sein und errichten daher kleinere bzw. mittelgroße Photovoltaikanlagen und Windparks. Damit dreht sich – bei entsprechendem Wetter –, die Flussrichtung im Verteilernetz um, aus Abnehmern werden Einspeiser, und in den vorgelagerten Netzen sinkt die Netzlast.

Diese Wetterabhängigkeit stellt die Stromnetze, auch und gerade die Verteilernetze, vor enorme Herausforderungen. Manche Netzbetreiber halten intelligente Netze, sog. Smart Grids, für die billigste Lösung für Netzstabilität – durch Netzflexibilität.

Lösungsansatz: Aufschlauen der Netze

Wenn die Erneuerbaren Energien insbesondere auf regionaler Ebene zunehmen, müssen die Verteilernetze flexibler und „intelligenter“ werden. Oberstes Ziel muss die finanzierbare Stabilität des Stromnetzes sein. Denn nur mit einem intelligenten Stromnetz ist ein flexibles Netzmanagement möglich; nur so werden sich in Zukunft die Erzeuger- und die Nachfrageebene in einem Netzgebiet zuverlässig und sicher steuern lassen.

Ein intelligentes Stromnetz vernetzt den Datenaustausch zwischen Stromerzeuger, Stromspeicher, Messstellenbetreiber, Verbraucher sowie den Netzeinrichtungen selbst und ermöglicht so die direkte Kommunikation untereinander. Daraus ergibt sich zum einen die Möglichkeit, die Erzeugungseinrichtungen in Echtzeit auf den Bedarf der Verbraucher abzustimmen und zu optimieren, zum anderen aber auch die interessante Möglichkeit, Stromnachfrage und -angebot einander anzupassen, indem man dazu bereite Letztverbrauchern hoch- oder runterregelt.

Dies setzt voraus, dass die Stromabnahme der Verbraucher über Smart Meter aus der Ferne nachvollziehbar ist – über Stromzähler also, die den Verbrauch in Echtzeit auslesen, anzeigen und die Daten durch entsprechende Kommunikationswege weiterleiten. Während ein reiner Smart Meter eigentlich nur Stromverbrauch protokollieren und damit „Stromfresser“ identifizieren kann, werden sie im Kontext eines Smart Grids richtig wertvoll. Denn damit kann man das Verbrauchsverhalten in die Datensammlung des Smart Grid mit einbeziehen und so netzstabilisierende oder aber auch marktbezogene Maßnahmen Dritter initiieren (was die Frage aufwirft, ob die vom Gesetzgeber aus Wettbewerbsgründen intendierte Trennung zwischen Netzbetrieb und Messstellenbetrieb überhaupt zeitgemäß ist …). Voraussetzung ist, dass die Stromerzeuger technisch in der Lage sind, die Daten anzunehmen und zu verarbeiten sowie anschließend Erzeugung und Stromeinspeisung zu steuern.

Die Rolle des Netzes

Das Stromnetz wäre dann nicht nur der Transporteur, sondern auch der Mediator zwischen Erzeuger und Verbraucher: Es kann die eigene Auslastung überprüfen, freie Kapazitäten zur Verfügung stellen und die optimale Lösung zwischen Erzeugungs-, Speicherungs- und Verbrauchssteuerung anbieten.

Der Vorteil von solchen Smart Grids liegt auf der Hand: Die Stromversorgung wird flexibler und somit stabiler. Es gibt nicht mehr einzelne Versorgungsabschnitte, die überlastet, und andere, die nicht ausgelastet sind. Zugleich senken Smart Grids auf Verteilernetzebene auch die Notwendigkeit, vorgelagerte Netzebenen auszubauen. Denn durch die nunmehr mögliche Netzsteuerung kann innerhalb des Verteilernetzes Stromerzeugung – auch der unstetigen aus Erneuerbaren Energien – und Verbrauch optimal ausgeglichen werden, was die Nutzung der vorgelagerten Netzebenen auf ein Minimum beschränkt.

Erhöhter Investitionsbedarf – Wer trägt die Kosten?

Die Vorteile von Smart Grids wirken aber langfristig und bedürfen erst einer Anpassung der Infrastruktur – und das kostet nun einmal viel Geld. Bei diesen Kosten stellt sich vor allem die Frage, ob und gegebenenfalls wie die Netzbetreiber sie in den Netzentgelten berücksichtigen können.

Dabei bieten sich grundsätzlich zwei Wege an:

Zum einen könnten die Kosten durch den Erweiterungsfaktor gemäß § 10 ARegV geltend gemacht werden. Der Erweiterungsfaktor ist anwendbar, wenn sich die Versorgungsaufgabe eines Netzbetreibers nachhaltig ändert. Der neue Anschluss einer Vielzahl von dezentralen Erzeugern in einem Verteilernetzgebiet wäre sicherlich eine Änderung der Versorgungsaufgabe (auch wenn es technisch eher um eine „Entsorgung“ geht). Aber ob auch die Aufgabe, die Netze für diesen Zweck umzustellen bzw. umzurüsten, darunter fällt, ist weniger klar. Denn formal gesehen wird die Versorgungsaufgabe durch Zählpunkte etc. definiert. Erst wenn man die Situation materiell betrachtet, sieht man, dass das immer komplexer werdende Zusammenspiel von Erzeugung und Verbrauch (vielleicht künftig auch noch mit viel mehr E-Mobilität und Wärmepumpen als Speicher) die Aufgabe der sicheren Versorgung für den Netzbetreiber neu stellt. So weit scheinen wir aber noch nicht zu sein.

Zum anderen könnten die Kosten als Investitionsmaßnahmen gemäß § 23 Abs. 1 ARegV geltend gemacht werden. Nach dieser Vorschrift kann die Bundesnetzagentur (BNetzA) einzelne Maßnahmen für Erweiterungs- und Umstrukturierungsinvestitionen sowie Investitionen in die Stabilität des Gesamtsystems genehmigen. Der Ausbau zum intelligenten Stromnetz könnte grundsätzlich eine auch für die Stabilität des Gesamtsystems notwendige Maßnahme darstellen. § 23 Abs. 1 ARegV gilt aber nur für die Ebene der Übertragungs- und Fernleitungsnetze. Für die Verteilnetzbetreiber eröffnet § 23 Abs. 6 ARegV davon nur einen Ausschnitt. Hiernach können Investitionsmaßnahmen genehmigt werden, die beispielsweise durch die Integration von Anlagen nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) oder Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) notwendig sind und nicht durch den Erweiterungsfaktor berücksichtigt werden. Das klingt gut, denn wie gesagt, entstehen die Probleme ja vor allem wegen des erwünschten Ausbaus dezentraler Energieerzeuger. Und doch bekommt man das Gefühl, dass § 23 Abs. 6 ARegV sehr punktuell zu begreifen sein soll und somit die komplette Umstrukturierung zu einem Smart Grid keine genehmigungsfähige Investionsmaßnahme wäre.

Der Präsident der BNetzA, Jochen Homann, deutete jedenfalls auf einem Kongress in Berlin am 19.3.2013 an, dass er grundsätzlich die beiden aufgezeigten Wege zur Berücksichtigung der Kosten für geeignet und ausreichend halte. Ob die Investitionskosten für die komplette Umgestaltung zum einem Smart Grid aber tatsächlich durch den Erweiterungsfaktor und Investitionsmaßnahmen im Rahmen der Netzentgeltregulierung in den Erlösobergrenzen genehmigt werden, ist – trotz der Aussage – äußerst zweifelhaft. Denn die BNetzA hatte noch in ihrem Eckpunktepapier zu „Smart Grid und Smart Market“ darauf verwiesen, dass der Finanzierungsbedarf zum intelligenten Ausbau der Verteilernetze zunächst aus den Kapitalrückflüssen der bestehenden Netze gedeckt werden könne, was sie unter den Begriff der „intelligenten Restrukturierung der Verteilernetze“ fasste.

Es ist also im Ergebnis offen, ob die Verteilnetzbetreiber nicht doch auf den Investitionskosten für ein Smart Grid sitzen bleiben werden – und das System damit eine billige (oder gar die billigste?) Lösung zur Stabilisierung verschenkt.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

PS. Falls der Artikel Ihr Interesse geweckt hat oder Sie generell interessiert, möchten wir Sie auf unseren Parlamentarischen Abend zum Thema „Stabilität durch Flexibilität – Was braucht das Energiesystem übermorgen?“ am 16.5.2013 hinweisen. Wir sind allerdings fast ausgebucht.

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