Die EEG-Anlage als mehrköpfige Hydra

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Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Spätestens seit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz 2009 (EEG) stellen sich auch viele Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien diese Frage – und rätseln über ihre Identität.

Was bei einer Windenergieanlage noch einfach zu beantworten ist, wirft gerade für Biomasseanlagen erhebliche Fragen mit entscheidenden Rechtsfolgen auf. Wie ist beispielsweise die folgende Situation zu beurteilen: In 2009 wird an einem Standort eine Biogasanlage, bestehend aus einem Blockheizkraftwerk (BHKW) und einem Fermenter, in dem das Biogas erzeugt wird, gebaut und in Betrieb genommen. Im Jahr 2011 wird ein weiteres BHKW an denselben Fermenter angeschlossen, es befindet sich aber 800 m entfernt von dem erstgebauten BHKW. Im Jahr 2012 kommt sogar noch ein weiteres BHKW hinzu. Von wo bis wo reicht hier die Anlage und – wie viele Anlagen sind es eigentlich?

Die „Anlage“ wird in § 3 Nr. 1 EEG 2009/2012 definiert als „jede Einrichtung zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien“. Klar ist damit: Strom muss sie erzeugen können. Die Stromerzeugungseinheit – der Generator – ist sozusagen der „Kopf“ der Anlage. Auch recht einig ist man sich, dass seit dem EEG 2009 ein „weiter“ Anlagenbegriff gilt, mit dem auch vor- und nachgeschaltete Einrichtungen, die zur Erzeugung von Strom notwendig sind, mit zum Anlagenbegriff zählen. Gerade auch der Fermenter ist damit Teil der Anlage.

Und dennoch: Wie steht es mit der beschriebenen Konstellation, bei dem mehrere BHKW an einem Korpus, dem Fermenter, hängen? Auf einmal steht sie vor einem, die vielköpfige Hydra aus der griechischen Mythologie – das freilich durchaus ein nützliches und possierliches Tierchen sein kann … Und auch bei der EEG-Anlage wachsen nicht selten noch neue „Köpfe“ hinzu. Ob mehrere Stromerzeugungseinheiten, die baulich-technisch miteinander verbunden sind, nach dem allgemeinen Anlagenbegriff in § 3 Nr. 1 EEG 2009/2012 als eine oder mehrere Anlagen zählen, gehört derzeit zu den umstrittensten Rechtsfragen zum EEG überhaupt.

Konfrontiert mit diesem Wesen aus der griechischen Mythologie entschied das OLG Brandenburg bereits in 2010: Ich erledige es auf einen Schlag. Alles, was baulich-technisch miteinander verbunden ist – Stromerzeugungseinheit und Fermenter, aber eben auch mehrere Stromerzeugungseinheiten untereinander – all das gehöre zusammen zu nur einer Anlage im Sinne des EEG. Nachdem das OLG Brandenburg diese Frage vergleichsweise kurz in einem Fall angesprochen hatte, der sich überwiegend noch mit dem EEG 2004 beschäftigte, kommt das OLG Stuttgart jüngst in einem Urteil vom 25.5.2012 zu einem ähnlichen Ansatz. Das OLG Stuttgart behandelt allerdings eine Wasserkraftanlage, bei der das durch ein Stauwehr aufgestaute Flusswasser auf jeder Flussseite von jeweils einer Stromerzeugungseinheit zur Stromerzeugung genutzt wird. In diesem Fall soll dem OLG Stuttgart zufolge ebenfalls eine einheitliche Anlage nach § 3 Nr. 1 EEG 2009 vorliegen. Auch stellt das OLG Stuttgart darauf ab, dass im Einzelfall ein „funktionaler und räumlicher Zusammenhang“ vorliege, was die Konstellation womöglich von anderen mehrköpfigen EEG-Anlagen unterscheidet. Dennoch tendiert die obergerichtliche Rechtsprechung nun offenbar dahin, die vielköpfigen Anlagenkonstellationen als eine einheitliche Anlage im Sinne des EEG anzusehen.

Die Clearingstelle EEG und ihr folgend die LG Duisburg und Regensburg gehen jedoch anders mit dieser Identitätsfrage von mehrköpfigen Anlagen um: Jede Stromerzeugungseinheit – jeder Kopf – sei eine eigenständige EEG-Anlage. Dabei könnten sich mehrere dieser Anlagen – wie im Fall der oben genannten Biogasanlage – einen oder mehrere Fermenter als gemeinsam genutzte Nebeneinrichtungen teilen.

Für die Sichtweise der Clearingstelle EEG spricht, dass das EEG 2004 bereits eine Vorschrift kannte, wonach mehrere baulich-technisch miteinander verbundene Einrichtungen zu einer Anlage zusammengefasst wurden. Diese Vorschrift wurde im EEG 2009 aber abgeschafft. Stattdessen findet sich dort und im EEG 2012 nun die Vorschrift des § 19 Abs. 1 EEG, nach dem mehrere Generatoren nur unter bestimmten Voraussetzungen für die Zwecke der Vergütungsermittlung zu einer Anlage im Sinne des EEG „verklammert“ werden sollen. Die leicht nachvollziehbare Idee der Clearingstelle EEG ist: Dann sollen mehrere Anlagen eben auch nur unter diesen Voraussetzungen zusammengefasst werden und nicht stets schon dann, wenn baulich-technische Verbindungen zwischen ihnen vorliegen.

„Weit“ wäre der Anlagenbegriff demnach für die Frage der vor- und nachgelagerten Einrichtungen zur Stromerzeugung. Bei diesem „horizontalen Anlagenbegriff“ gehört alles dazu, was zur Stromerzeugung notwendig ist. Über die Frage, ob in „vertikaler“ Hinsicht mehrere Stromerzeugungseinheiten zu einer Anlage verklammert werden, entscheidet hingegen § 19 Abs. 1 EEG. Diese Sichtweise wird erhärtet durch einen zweiten Satz, der in § 19 Abs. 1 EEG im Zuge der EEG-Novelle 2012 eingeführt worden ist. Darin heißt es nun, dass mehrere Anlagen auch dann zum Zwecke der Vergütungsermittlung für den zuletzt in Betrieb gesetzten Generator als eine Anlage gelten, wenn sie Strom aus Biogas erzeugen und das Biogas aus derselben Biogaserzeugungsanlage stammt. Eigentlich möchte man nach der Einführung dieses Satzes sagen: Der Gesetzgeber hat sich der Auffassung der Clearingstelle EEG angeschlossen. Denn diese Vorschrift sagt doch deutlich: Wenn mehrere Stromerzeugungseinheiten an eine Gaserzeugungseinrichtung angeschlossen sind, dann handelt es sich zunächst um mehrere Anlagen, die aber nach § 19 Abs. 1 Satz 2 EEG 2012 miteinander verklammert werden. Wenn diese unterschiedlichen Stromerzeugungseinrichtungen bereits nur eine Anlage im Sinne des § 3 Nr. 1 EEG 2009/2012 wären, dann hätte man diesen zweiten Satz gar nicht gebraucht. Viel spricht deshalb für die Position der Clearingstelle.

Die sich häufenden gerichtlichen Entscheidungen zu dieser Frage und zahlreiche Unsicherheiten in der Praxis zeigen, dass es sich hierbei keinesfalls um einen akademischen Streit handelt. Es macht für die EEG-Anlagen nämlich einen immensen Unterschied, ob sie bereits nach § 3 Nr. 1 EEG 2009/2012 zu einer Anlage zusammengefasst werden oder eben nur im Falle des Vorliegens der entsprechenden Vorraussetzungen nach der entsprechenden Vorschrift in § 19 Abs. 1 EEG 2009/2012. Diese Frage hat Bedeutung für das Inbetriebnahmedatum, die Vergütungssätze sowie die anzuwendenden Vergütungsvorschriften. Gerade wegen der erheblichen Änderungen der Vergütungsvoraussetzungen bei Biomasseanlagen macht es einen großen Unterschied, ob das Rechtsregime des EEG 2009 oder das des EEG 2012 auf die Anlage Anwendung findet.

Ob die Sichtweise des OLG Brandenburg/OLG Stuttgart oder die der Clearingstelle EEG für den Anlagenbetreiber von Vorteil oder von Nachteil ist, lässt sich keinesfalls allgemein sagen. Dies zeigen schon die bisher entschiedenen Fälle. Einerseits kann es für den Anlagenbetreiber attraktiv sein, zwei Anlagen zu betreiben und damit womöglich von der Einstufung in bessere Leistungsklassen zu profitieren. Auf der anderen Seite wäre es für Anlagenbetreiber aber oft wünschenswert, mit neu gebauten Stromerzeugungseinrichtungen noch in die alten Vergütungsbestimmungen und alten Vergütungssätze zu gelangen und dafür Teil einer Altanlage zu sein.

Mit einer „allgemeinen Missbrauchskontrolle“ lassen sich diese Fallkonstellationen nicht lösen. Vielmehr geht es darum, dass den mehrköpfigen EEG-Anlagen in ihrer Identitätskrise durch einen systematisch vernünftigen, allgemeinen Ansatz geholfen wird. Aus unserer Sicht liegt die Clearingstelle argumentativ vorn. Aber auch der Ansatz der Oberlandesgerichte könnte Basis eines in sich stimmigen Konzeptes für einen Anlagenbegriff sein. Das OLG Stuttgart hat die Revision zu seinem Urteil zugelassen, so dass zumindest für den Fall von Wasserkraftanlagen eine Entscheidung durch den BGH möglich ist.

Bis zu einer klärenden höchstgerichtlichen Entscheidung stehen die Akteure des EEG – Anlagenbetreiber und Netzbetreiber – indes mit relativ verwunderten Augen vor der vielköpfigen EEG-Anlagen-Hydra. Die Ausgangsfrage können sie nun präzisieren: Wer bestimmt darüber, wie viele Du bist – Dein Bauch oder Deine Köpfe?

Ansprechpartner: Dr. Martin Altrock/Jens Vollprecht

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