Die neuen Leitlinien für Energie und Umwelt – Ante Portas … Teil 2: Die Vorgaben für Industrieentlastungen

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Die neuen Leitlinien der Europäischen Kommission zu staatlichen Umwelt- und Energiebeihilfen sind verabschiedet. Sie haben bestimmt bereits unseren Blog (wir berichteten) zu den neuen Rahmenbedingungen für die Förderung regenerativer Energien gelesen. In diesem zweiten Teil beschäftigen wir uns nun mit der Frage, welchen Rahmen die Leitlinien nun der Entlastung der deutschen Industrie stecken.

Worum geht es?

In den Mitgliedstaaten der EU existieren bekanntlich sehr unterschiedliche Fördersysteme, mit denen die energieintensiven Industrien entlastet werden sollen. Mit einem eigenen Abschnitt (3.7.2) und dazugehörigen Übergangsbestimmungen (3.7.3) schaffen die Beihilfeleitlinien nun einen einheitlichen beihilferechtlichen Rahmen für solche Regelungen zugunsten der Industrie. Überschreitet ein Mitgliedstaat die Grenzen dieses Rahmens, riskiert er daher die Eröffnung eines Beihilfeprüfverfahrens.

In verschiedenen Entwürfen einer EEG-Novelle und „geleakten“ Zwischenentwürfen der Beihilfeleitlinien konnte man in den vergangenen Wochen bereits schemenhaft erkennen, was die EU-Kommission insoweit im Schilde führt (wir berichteten). Weil aber beim Kabinettsbeschluss zum Entwurf des EEG 2014 die neuen Beihilfeleitlinien noch nicht feststanden, sparte die Bundesregierung die relevanten Paragraphen zur besonderen Ausgleichsregelung aus und wartete zunächst auf Brüssel.

Der nun veröffentlichte Kompromiss lässt sich für den Großteil der Industrie sicherlich sehen, auch wenn da und dort noch einige Sachen zu verbessern sind.

Wer darf künftig Entlastungen in Anspruch nehmen?

Mit großer Spannung blickte die deutsche Industrie in den vergangenen Wochen nach Brüssel, als es um die Bestimmung der entlastungsfähigen Branchen ging.

Die neuen Leitlinien bieten die Möglichkeit, die Belastung mit den Kosten aus der Förderung Erneuerbarer Energien – hierzulande in Form der EEG-Umlage – für eine begrenzte Zahl stromintensiver Wirtschaftszweige und Unternehmen zu verringern (Rz. 182 ff.).

Sie listen dabei die begünstigungsfähigen Sektoren bzw. Branchen für die gesamte EU in Annex 3 der Leitlinien auf. Maßgebliches Ziel und zugleich Auswahlkriterium war es dabei, zu verhindern, dass die Unternehmen einen erheblichen wettbewerblichen Nachteil erleiden und womöglich abwandern (Rz. 186). Dieses Risiko wurde anhand der Stromkosten- und Handelsintensität der Wirtschaftszweige bestimmt. Im Ergebnis schafften es somit Branchen auf die Liste, die entweder auf EU-Ebene eine besonders hohe Handelsintensität mit Drittstaaten oder eine besonders hohe Stromkostenintensität aufweisen. Zudem wurde z.B. die Kunststoff-Recycling-Branche im Hinblick auf ihre Substituierbarkeit mit Primärkunststoffen sprichwörtlich in letzter Sekunde aufgenommen, was sicherlich auch als ein Zugeständnis an die große klima- und umweltpolitische Bedeutung der Recyclingwirtschaft zu werten ist. Ergänzt wurde zudem an versteckter Stelle (Fußnote 7 des Annex 3) eine Klarstellung, dass die Kommission die Liste überprüfen kann, wenn Hinweise vorliegen, dass sich die zugrunde gelegten Branchendaten verändert haben. Industrien, die sich also zu Unrecht nicht auf der Liste sehen, können hier auf Nachbesserung in der Zukunft hoffen.

Um der Uneinheitlichkeit mancher Sektoren Rechnung zu tragen, dürfen die Mitgliedstaaten auch solche Unternehmen von den Kosten zur Förderung Erneuerbarer Energien entlasten, die nicht einer der Branchen des Annex 3 angehören, die aber unternehmensindividuell eine Stromkostenintensität von mindestens 20 Prozent und eine Handelsintensität des Sektors auf EU-Ebene von mindestens 4 Prozent aufweisen (Rz. 187). Im Vorentwurf der Beihilfeleitlinien war an dieser noch eine Stromintensität von 25 Prozent gefordert worden. Dennoch dürfte das gegenüber den 14 Prozent, die nach § 41 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b) EEG 2012 bislang verlangt werden, auf eine deutliche Verschärfung der Anforderungen hinauslaufen. In Annex 5 der Beihilfeleitlinien sind die Sektoren aufgelistet, von denen die Europäische Kommission offenbar im Grundsatz annimmt, dass die genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Leitlinien lassen aber offen, ob diese Liste als abschließend zu begreifen ist.

Welche Vorgaben gelten für die Berechnung der Bruttowertschöpfung und der Stromkostenintensität?

Die Beihilfeleitlinien enthalten in Annex 4 nunmehr auch Regelungen, wie die Bruttowertschöpfung und die Stromkostenintensität zu berechnen sind, und diese führen im Vergleich zur bisher geltenden Praxis zu einer deutlichen Verschärfung. Diese strengen Vorgaben sollen erkennbar verhindern, dass Unternehmen auf die Berechnung dieser beiden für die Entlastungsberechtigung und den Entlastungsumfang bedeutsamen Kriterien Einfluss nehmen können.

Für die Berechnung der Bruttowertschöpfung, bei der künftig auf den Durchschnitt der letzten drei Jahre abgestellt wird, dürfen nach Ziffer 1 und Fußnote 9 des Annex 4 Personalaufwendungen für (externe) Dienste nicht mehr abgezogen werden. Im EEG-Referentenentwurf vom 31.03.2014 war dies konkret auf Personalaufwendungen für Leiharbeitsverhältnisse und Werkverträge begrenzt (wir berichteten). Hier bleibt die nationale Umsetzung abzuwarten.

Zwar ergibt sich die Stromkostenintensität auch weiterhin aus dem Anteil der Stromkosten an der Bruttowertschöpfung. Jedoch definiert die Kommission in Annex 4 die Stromkosten und die Bruttowertschöpfung abweichend zu den Vorgaben des Statistischen Bundesamtes, die bisher im Rahmen der besonderen Ausgleichsregelung relevant waren:

Bei der Berechnung der Stromkosten soll nämlich anstelle der individuellen, tatsächlichen Stromkosten des betreffenden Unternehmens in Zukunft auf „genormte“ Stromkosten abgestellt werden. Zum einen sollen hinsichtlich des Stromverbrauchs in Zukunft Benchmarks für effiziente Stromverbräuche aus der Industrie herangezogen werden, soweit vorhanden (Ziffer 5 des Annex 4). Zum anderen sollen durchschnittliche Industriestrompreise aus den jeweiligen Mitgliedsstaaten maßgeblich sein (Ziffer 6 des Annex 4). Auf welcher statistischen Basis die relevanten Stromkosten konkret berechnet werden sollen, ist dabei offen. Unverändert sollen aber auf die Stromkosten die fiktiven vollen Kostenbelastungen aus der Förderung Erneuerbarer Energien aufgeschlagen werden.

Angesichts dessen verwundert es kaum, wenn aus dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu hören ist, dass hier völlig neue Fragen bzw. erhebliche Probleme bei der Umsetzung der Berechnungsmethoden auf die Wirtschaftsprüfer und das BAFA zukommen werden.

In welchem Umfang soll entlastet werden?

Entlastungsfähige Unternehmen sollen künftig im Grundsatz mit mindestens 15 Prozent der regulären EEG-Kosten belastet werden (Rz. 189).

Hinzu kommt aber ein unternehmensindividueller Deckel, der die konkrete Belastung für die Unternehmen in erträglichen Grenzen halten soll:

  • So darf die Gesamtbelastung eines begünstigten Unternehmens grundsätzlich nicht mehr als 4 Prozent der Bruttowertschöpfung des Unternehmens betragen (so genanntes „Cap“).
  • Bei Unternehmen mit einer Stromkostenintensität von mehr als 20 Prozent darf die Gesamtbelastung nicht mehr als 0,5 Prozent der Bruttowertschöpfung betragen (so genanntes „Super-Cap“).

Die Fördermaßnahme kann in Form von Belastungsminderungen, als jährliche Ausgleichszahlung oder als eine Kombination dieser beiden Formen gewährt werden (Rz. 193).

Welche Übergangsvorschriften sind vorgesehen?

Die oben dargestellten Vorgaben zu Industrieentlastungen werden durch einen eigenen Abschnitt mit besonderen Übergangsvorschriften flankiert. Dieser verpflichtet die Mitgliedsstaaten, die Kriterien der Beihilfeleitlinien bis zum 1.1.2019 umzusetzen. Sofern allerdings Entlastungen vor diesem Zeitpunkt gewährt werden, müssen sie die Kriterien der Leitlinien grundsätzlich bereits erfüllen, um beihilferechtlich zulässig zu sein (Rz. 194). Andernfalls können Entlastungen vor dem 1.1.2019 nur als Bestandteil eines nationalen Anpassungsplans gewährt werden (Rz. 195), der seinerseits der Genehmigung durch die Kommission bedarf (Rz. 200).

Einige besondere und besonders komplizierte Regelungen finden sich auch für den Umgang mit Entlastungen, die bereits vor dem Inkrafttreten der Beihilfeleitlinien gewährt wurden und mit diesen vom Umfang her nicht im Einklang standen, sowie für frühere Entlastungen von Unternehmen, die künftig nach den Beihilfeleitlinien überhaupt keine Entlastungen mehr erhalten dürfen (Rz. 197 und 198). Danach werden – vereinfacht gesagt – solche Entlastungen in der Vergangenheit von der Europäischen Kommission akzeptiert, wenn und soweit in dem nationalen Übergangsplan eine sukzessive Eigenbeteiligung jener Unternehmen nach den Vorgaben der Beihilfeleitlinien vorgesehen ist. Wer nach den Beihilfeleitlinien fortan gar nicht mehr zu Entlastungen berechtigt ist, soll künftig in steigendem Maße mit einer Mindestbelastung von anfänglich 20 Prozent der regulären Förderkosten bis hin zu einer 100-Prozent-Belastung ab dem 1.1.2019 herangezogen werden (Härtefall).

In diesem Zusammenhang werden (rechtswidrige) Entlastungen aus der Vergangenheit nach den Beihilfeleitlinien (Rz. 249) nur noch für die Jahre ab 2011 betrachtet und sollen demgemäß Eingang in den nationalen Übergangsplan finden. Den Zeitraum davor will die Kommission unangetastet lassen (siehe Fußnote 108 zu Rz. 249). Was das laufende Beihilfeprüfverfahren der Kommission gegen das EEG 2012 (wir berichteten) und die besondere Ausgleichsregelung betrifft, so dürften hierzulande somit faktisch nur die Jahre 2013 und 2014 im Raume stehen.

In welcher Form die dargestellten Übergangsvorschriften und insbesondere die nationalen Übergangspläne für Härtefälle in Deutschland konkret umgesetzt werden, ist noch weitestgehend unklar. Hier wird es aber angesichts der Genehmigungspflicht in jedem Falle eine enge Abstimmung zwischen der Kommission und der Bundesregierung geben müssen.

Fazit

Im Grundsatz sind die Regelungen zugunsten der Industrie in den Beihilfeleitlinien durchaus positiv ausgefallen. Wenngleich aber die Beihilfeleitlinien zahlreiche entlastungsfähige Branchen auflisten, wird in Zukunft vieles letztlich davon abhängen, wie die betroffenen Unternehmen die strengen Vorgaben zur Berechnung der Bruttowertschöpfung und der Stromkostenintensität nachweisen können. Interessant wird natürlich auch, wie der deutsche Gesetzgeber und danach das BAFA die Entlastungskriterien und die Übergangsvorschriften umsetzen werden.

Hier gilt wie so oft die altbewährte und oft bemühte Weisheit: Der Teufel steckt im Detail!

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Mar­tin Alt­rock/Andreas Große/Dr. Mar­kus Kachel/Dr. Tigran Heymann

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