„Die Preisfindung für Flexibilität gehört nicht in den Netzbereich.“ – Ein Interview mit Thomas Gollnow von der Syneco Trading GmbH

(c) syneco
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Wie geht es weiter mit dem Energiehandel? Diese Frage haben wir uns Anfang dieses Jahres gestellt und damit nicht nur das Startsignal für eine Studie zum Energiehandel gegeben, sondern auch eine Inter­view­reihe (hier, hier, hier, hier und hier) mit namhaften Experten aus der Branche eingeläutet. Die Ergebnisse unserer Studie stellen wir heute im Rahmen unserer Energiehandelskonferenz vor. Unsere Interviewreihe beschließen wir ebenfalls heute, und zwar mit Thomas Gollnow als Gesprächspartner.

Thomas Gollnow ist seit 2008 Vorsitzender der Geschäftsführung der Syneco Trading GmbH, das führende kommunale Unternehmen im Energiehandel in Deutschland und die Energiehandelsplattform innerhalb der Thüga-Gruppe. Davor war Thomas Gollnow viele Jahre in unterschiedlichen Unternehmen der Finanzbranche tätig. Wir haben Herrn Gollnow gebeten, uns seine Sicht auf den Energiehandel zu beschreiben.

BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Gollnow, ein entscheidender Aspekt der Energiewende in Deutschland, aber auch der weltweiten Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten, ist die wachsende Einspeisung von Erneuerbaren Energien. Wir wird der Energiehandel darauf reagieren?

Gollnow: Unter der derzeitigen Regulierungslast wird niemand freiwillig auch noch Finanzinstrumente in großem Stil an Bord nehmen wollen. Wir denken daher, dass sich eher positive und negative Leistungsvorhaltungsprodukte entwickeln, die aber den derivativen Charakter meiden und somit keine Finanzinstrumente sein werden.

BBH-Blog: Wird die Grünheit des Stroms künftig über Herkommensnachweise bzw. andere Guarantees of Origin gehandelt werden oder werden wir sogar einen Splitt in einen grünen und einen grauen Strommarkt erleben?

Gollnow: Im allgemeinen Shift in Richtung Erneuerbarer wird ein Restgrauanteil weitgehend akzeptiert werden. Nichtsdestotrotz wird es Verbraucher geben, die weiterhin Wert auf 100 Prozent Grünzertifizierung legen. Diese Nachfrager werden aber besonderen Wert auf die Qualität der dahinterliegenden Projekte legen, sodass wir eher von Einzelzertifizierungen ausgehen.

BBH-Blog: Werden wir den seit rund einem Jahrzehnt erwarteten Durchbruch von Wetterderivaten jetzt sehen, wenn die Stromeinspeisung und damit auch der Strompreis so extrem von Wetterphänomenen abhängen?

Gollnow: Ein wirklich passendes Derivat (für jede Viertelstunde der Einspeisung) wird schwer zu finden sein, und der allgemeine Trend spricht eher gegen Derivateeinsatz. Es wird vielmehr darauf ankommen, die eigenen Prognosen mindestens stündlich nachzufahren und die Anlagen nach entsprechenden Preissignalen zu steuern.

BBH-Blog: Wie viele Meteorologen werden künftig in den Handelshäusern beschäftigt sein?

Gollnow: Wetterprognosen sehen wir als Teil des Big Data Problems, bei dem wir versuchen, diese von professionellen Partnern einzukaufen und schnellstmöglich in Steuerungssignale umzusetzen. Eine Live-Vor-Ort-Deutung sehen wir eher als Systembruch, der eine effiziente Verarbeitung erheblich erschwert. Daher werden wir auch weiterhin ohne eigene Meteorologen auskommen, auch wenn diese Daten verstärkt in unsere Analyseprozesse einfließen.

BBH-Blog: Je mehr Volatilität in der Einspeisung, desto wichtiger wird die Vorhaltung von Flexibilität. Ist das Flexibilitätsproblem ein Thema allein für die Netzebene
oder muss auch der Markt mit eingebunden werden?

Gollnow: Die Flexibilität aus dem Transportnetz spielt hier eine untergeordnete Rolle und die Preisfindung für Flexibilität gehört nicht in den Netzbereich. Das Problembewusstsein gehört definitiv in die Sphäre der Consumer/Prosumer. Dort muss erst die Vorstellung reifen, dass Flexibilität ein Wert mit dazugehörigem Preisschild ist. Über die dortige Make-or-Buy-Entscheidung entsteht auch endlich ein Wettbewerb zwischen Erzeugungs- und Verbrauchsflexibilität. Nur so entsteht ein Markt, der am Ende die volkswirtschaftliche effizienteste Lösung herbeiführen kann.

Die alte Idee, Flexibilität ausschließlich über den Erzeugungspark herzustellen, sollte nicht durch zusätzliche Reservevorhaltung im Netzbereich verschlimmert werden. Der Energy Only Market sollte durch einen möglichst simpel ausgestatteten (positiven und negativen) Leistungsmarkt ergänzt werden, sodass der geforderte Wettbewerb zwischen Erzeugungs- und Verbrauchsflexibilität entstehen kann.

BBH-Blog: Neben der Tatsache, dass Strom künftig mehr und mehr aus erneuerbaren Quellen stammt, ist ein weiterer großer Umbruch der Energiewende der Wechsel von großen zentralen Anlagen zu dezentralen Erzeugungsanlagen. Was bedeutet die Entwicklung der Dezentralität überhaupt für den Energiehandel als Großmarkthandel?

Gollnow: Der Trend zu Dezentralität und damit einem starken Bedeutungsverlust des klassischen Großhandels ist unaufhaltsam. Dennoch wird es weiterhin hohe Volumen im Abwicklungshandel zur Portfolioglattstellung geben.

BBH-Blog: Auf der anderen Seite ist es ja so, dass sich große IT-/Internetunternehmen immer mehr für den Energiemarkt interessieren. Werden Google, Apple und Telekom bald zu Energiehändlern?

Gollnow: Die physische Abwicklung der Energielieferungen ist für Branchenfremde weiterhin eine hohe Eintrittsbarriere mit wenig Kompatibilität zu anderen Geschäftsbereichen. Sobald sich jedoch vernünftige Bezahlmodelle für andere Teile der Wertschöpfungskette jenseits der eigentlichen Energielieferung realisieren lassen, werden diese Unternehmen sicher dabei sein.

BBH-Blog: Wenn man das alles zusammen denkt: Wer wird sich künftig einen „richtigen“ Energiehandel noch leisten können? Wo sehen Sie also den „Numerus Clausus“ für eine eigene Handelsabteilung und wo erwarten Sie über Kooperationen oder Dienstleister wie Ihr Haus den Markt abgedeckt zu sehen?

Gollnow: Wir sehen derzeit einen Trend zu Re-Insourcing von Handelsfunktionen bereits ab einer Portfoliogröße von ca. 10 TWh. Dies wird oft mit einer besseren Durchgängigkeit der eigenen Prozesskette begründet. Vor dem Hintergrund eines Großstadtwerks, in dem viele Querschnittsfunktionen auch durch andere Geschäftsbereiche ausgelastet werden, mag dies rechtfertigbar sein. Als reines Handelshaus werden künftig auch 100 TWh zu wenig sein, um das volle Sortiment ohne Kooperationen abzudecken.

BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Gollnow, ganz herzlichen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben, wir wissen das sehr zu schätzen!

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