Emissionshandel in der 4. Handelsperiode: Was kommt auf uns zu?

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Allmählich lichtet sich der Nebel um die Reform des Emissionshandels in der 4. Handelsperiode 2021 bis 2030. Bereits in der Nacht zum 8.11.2017 hatten sich die Europäische Kommission, der Rat und das Parlament nach sechs Verhandlungsterminen (Trilog Verfahren) endlich auf einen hier einsehbaren Textentwurf geeinigt, den der Rat am 22.11.2017 verabschiedet hat. Nun hat am 28.11.2017 auch der Umweltausschuss (ENVI) des Europäischen Parlaments den Text angenommen. Im Februar soll vor der abschließenden Beschlussfassung durch den Rat das Plenum abstimmen. Der Beschlussvorlage ist zu entnehmen, zu welchen Punkten bereits konkrete Entscheidungen gefallen sind und in welchen Punkten die Europäische Kommission noch Durchführungsrechtsakte erlassen wird. Darüber möchten wir einen kurzen Überblick geben.

  Einstellungsrate für die Marktstabilitätsreserve verdoppelt

Die EU möchte bekanntlich entschlossener gegen die (zu) niedrigen Preise der Emissionshandelszertifikate vorgehen. Hierzu war bereits 2015 die sog. Marktstabilitätsreserve (MSR) eingeführt worden. Diese soll ab 2019 die Zertifikate künstlich verknappen, um die Preise in die Höhe zu treiben. Hierzu ist nach dem bisherigen Stand vorgesehen, bei einem festgestellten Überschuss im Markt oberhalb eines definierten Schwellenwertes 12 Prozent dieser Überschüsse vom Versteigerungsbudget abzuziehen und in die Marktstabilitätsreserve zu überführen.

Nun wurde sich darauf geeinigt, in den Jahren 2019-2023 die Einstellungsrate vorübergehend von je 12 auf 24 Prozent zu verdoppeln. Es ist durchaus möglich, dass sich diese Maßnahme bereits jetzt auf die CO2-Preise auswirkt. Denn die absehbare merkliche Verknappung wird viele Anlagenbetreiber darüber nachdenken lassen, zu den derzeit noch moderaten Preisen vorsorglich Long-Positionen für ihren künftigen Bedarf aufzubauen.

Eine weitere Bestimmung wird voraussichtlich das Angebot weiter verknappen. Danach sollen nach 2023 nicht mehr Zertifikate in der MSR verbleiben, als dem gesamten Versteigerungsbudget des Jahres 2022 entspricht. Wenn doch, sollen diese überzähligen Zertifikate ungültig werden.

Die Carbon-Leakage-Liste

Zu den Kriterien, nach denen Wirtschaftssektoren als abwanderungsbedroht (Carbon Leakage – CL) zu qualifizieren sind und dementsprechend auf eine zu 100 Prozent kostenlose Zuteilung hoffen können, gab es einige offene Fragen, die die Beschlussvorlage jetzt beantwortet.

Auf der CL-Liste stehen die Sektoren, bei denen die Formel: „Außenhandelsintensität * (Emissionsintensität / Bruttowertschöpfung)“ mindestens den Wert 0,2 erreicht. Umstritten war dabei aber, ab welchem Schwellenwert Sektoren unterhalb dieser 0,2-Schwelle sich doch noch für die CL-Liste qualifizieren, weil sie weitere qualitative Kriterien erfüllen. Hier lagen die Positionen zwischen 0,12 und 0,18. Laut der Beschlussvorlage haben sich die Verhandlungspartner in der Mitte, also bei 0,15 getroffen. Zu der Frage, wie die maßgeblichen qualitativen Kriterien methodisch einzugrenzen sind, läuft derzeit noch eine von der Europäischen Kommission initiierte Konsultation (wir berichteten), an der sich die betroffenen Sektoren noch bis zum Frühjahr 2018 beteiligen können und – im eigenen Interesse – auch sollten.

Weiter konnte sich der Rat mit seinem Anliegen durchsetzen, den CL-Nachweis nicht nur anhand des vierstelligen NACE-Codes – also bezogen auf den Sektor –, sondern auch produktscharf auf der sechs- bis achtstelligen Prodcom-Ebene zu ermöglichen.

Welche Sektoren und Produkte künftig auf der CL-Liste stehen werden, ist auf dieser Grundlage noch nicht abschließend zu sagen. Hier bleiben noch das angesprochene Konsultationsverfahren und die von der Kommission hieraus gezogenen Schlussfolgerungen abzuwarten. Endgültige Gewissheit wird dann erst die CL-Liste in Form eines Kommissionsbeschlusses bringen, der nicht vor Ende nächsten Jahres zu erwarten ist.

Zuteilung für Non-CL-Sektoren und Fernwärme

Unsicherheit bestand bis zuletzt in der Frage, welche Zuteilung die Non-CL-Sektoren zu erwarten haben. Der Kommissionsvorschlag wollte die Abschmelzung der kostenlosen Zuteilung nicht fortführen und für die gesamte Handelsperiode 30 Prozent der Zertifikate kostenlos zuteilen. Das Europäische Parlament bestand dagegen auf der Degression.

Hierzu enthält die Beschlussvorlage nun eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht betrifft die Fernwärme: Bei dieser bleibt es wohl dabei, dass die kostenlose Zuteilung nicht abgeschmolzen wird. Eine schlechte Nachricht gibt es hingegen für die nicht abwanderungsbedrohte Industrie: Hier soll nach 2026 die kostenlose Zuteilung schrittweise auf Null abgesenkt werden. Dabei werden wohl die aus der laufenden Handelsperiode bekannten jährlichen Kürzungsschritte fortgeschrieben.

Fortschreibung der Benchmarks

Auch bezüglich der Absenkung der Benchmarks gibt es neue gesicherte Informationen.

Hier war man sich zunächst darüber einig, die auf das Referenzjahr 2008 bezogenen Emissionswerte mit Blick auf den zwischenzeitlichen technologischen Fortschritt fortzuentwickeln und entsprechend der Entwicklung in dem jeweiligen Sektor abzusenken. Umstritten war allerdings, in welchem Korridor diese Absenkung erfolgen soll. Die Europäische Kommission hatte vorgeschlagen, mindestens um 0,5 Prozent bis maximal 1,5 Prozent pro Jahr zu kürzen. Das Europäische Parlament wollte den oberen Schwellenwert auf 1,75 Prozent anheben, der Rat den unteren auf 0,2 Prozent absenken. Der Beschlussvorlage ist nun zu entnehmen, dass der Kompromiss bei einem Korridor von 0,2 bis 1,6 Prozent gefunden wurde.

Auch hier gilt allerdings: Was dies für die einzelnen Wirtschaftssektoren konkret bedeutet, lässt sich anhand dieses Beschlusses noch schwer abschätzen. Denn welcher Absenkungswert für welchen Benchmark gelten wird, bleibt wiederum einem entsprechenden Durchführungsrechtsakt der Europäischen Kommission vorbehalten. Auch dieser wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Löschung von Zertifikaten durch Mitgliedstaaten

Eine Neuheit in der Richtlinie ist die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Zertifikate aus ihrem Versteigerungsbudget zu löschen. Dieser Vorschlag des Europäischen Parlaments hat nun auch Eingang in die Beschlussvorlage gefunden.

Ein Mitgliedstaat kann demnach die Menge an Zertifikaten löschen, die z.B. durch die Schließung eines Kohlekraftwerkes im Budget frei geworden sind. Die Menge der löschbaren Zertifikate beurteilt sich dabei nach den durchschnittlichen Emissionen der letzten fünf Jahre der Anlage. Mit dieser Maßnahme soll dem sog. Wasserbett-Effekt Rechnung getragen werden – die Sorge, dass die „eingesparten“ Zertifikate an anderer Stelle verwendet werden und somit der Einwand erhoben werden könnte, dass die Maßnahme im Kontext des EU-ETS keinen wesentlichen Zusatznutzen bringt. Diese Sorge müssen die Mitgliedstaaten nun bei innerstaatlichen Klimaschutzmaßnahmen – in der Diskussion sind hier bekanntlich Instrumente wie ein nationaler CO2-Mindestpreis, eine CO2-Steuer oder der Kohleausstieg – nicht mehr haben.

Neues vom Brexit

Die EU hat derweil – wie schon berichtet – bereits Maßnahmen für den Fall ergriffen, dass Großbritannien nicht im EU-ETS verbleibt. Danach verlieren die von Großbritannien nach dem 1.1.2018 ausgegebenen Emissionsberechtigungen faktisch ihre Gültigkeit und können nicht mehr zur Erfüllung von Abgabepflichten verwendet werden. Damit für alle Marktteilnehmer transparent ist, welche Zertifikate dies betrifft, hat die Europäische Kommission nun auch einen ersten Entwurf zur Änderung der Register-Verordnung veröffentlicht. Dieser sieht vor, dass künftig Zertifikate auch nach ihrer Herkunft gekennzeichnet werden müssen (Country Code). Anlagenbetreiber sollten deshalb künftig vor dem Erwerb von Zertifikaten genau auf Herkunft und Ausstellungsdatum achten.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Carsten Telschow

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