Fernwärme in Niedersachsen – wenig Anhaltspunkte für Missbrauch

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Bei sommerlichen Temperaturen und regem Badebetrieb an Nord- und Ostsee denkt noch niemand an die kalte Jahreszeit und die Frage, wo die Heizwärme herkommt. Gleichwohl hat erst vor wenigen Wochen die Landeskartellbehörde Niedersachsen ihren Abschlussbericht zur Sektorenuntersuchung Fernwärme vorgelegt. Dieser beruht auf einer Untersuchung aus 2014 (wir berichteten). Damals wurden 58 niedersächsische Fernwärmeversorger aufgefordert, Preise und Strukturdaten einzureichen. Grundlage waren die Verbrauchsmengen des Jahres 2013.

Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig die Fernwärme in Norddeutschland ist: Zwischen Elbe, Nordsee und Harz betreiben die teilnehmenden Versorger stolze 143 Fernwärmenetzgebiete, die mit 1.650 km Netzleitung beliefert werden. Zum Vergleich: Dies entspricht ungefähr der Route Flensburg – Neapel. An diesen Leitungen hingen insgesamt 34.009 Hausanschlüsse.

Wie die Landeskartellbehörde unterstreicht, will sie kontrollieren, ob Fernwärmeanbieter ihre Marktmacht missbrauchen (§§ 18 Abs. 1 in Verbindung mit 19 Abs. 1 und 2 Nr. 2 GWB). Danach gibt es möglicherweise Zwangsabsenkungen von Fernwärmepreisen, wenn ein Versorgungsunternehmen Entgelte fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei besser funktionierendem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden. Jedoch gibt die Landeskartellbehörde selbst zu, dass dies im Markt der Wärmeversorger schon wegen der natürlichen Monopolsituation eines Fernwärmeversorgers schwierig ist. Gleichwohl unterstreicht sie, dass sich eine Missbrauchsvermutung auch hier aus Preisen ergeben kann, die die Kosten erheblich übersteigen – hauptsächlich sind aber Vergleichsmärkte relevant. Um diese zu erforschen, hat die Landeskartellbehörde drei verschiedene Szenarien zugrunde gelegt und auf dieser Grundlage die jeweils geltenden Preise ermittelt.

Im zweiten Schritt wurden für alle drei erhobenen Preistypfälle die Abweichungen vom Mittelwert statistisch aufbereitet. Dabei erkannte die Landesbehörde bei 71 Preistypfällen Abweichungen von 20 Prozent und mehr über den jeweiligen Mittelwert. Allerdings räumt die Behörde selbst ein, dass die Kostenstrukturen sich je nach individuellen Gegebenheiten schon aus rein sachlichen Gründen erheblich unterscheiden müssen. Bekanntlich tragen allein die geografischen Gegebenheiten zu erheblichen Preisschwankungen bei. Schließlich ist eine Versorgung schwieriger und deswegen teurer, wenn verhältnismäßig kleine Abnehmer räumlich weit auseinander liegen. Zudem weichen auch die Erzeugungskosten drastisch voneinander ab: Wer günstige industrielle Abwärme nutzen kann, steht ganz anders da als jemand, der erst vor einigen Jahren ein neues, modernes Heizkraftwerk in Betrieb genommen hat und hohe Finanzierungskosten trägt. Für die Umwelt ist Fernwärme allemal etwas Gutes, für den Versorger und damit auch für die Anschlussnehmer vor Ort wird die Versorgung aber teurer. Ökonomie und Ökologie sind in diesem Fall nicht immer optimal unter einen Hut zu bekommen.

Vor diesem Hintergrund erläutert die Behörde selbst bei der Ankündigung ihres weiteren Vorgehens, dass die geplanten Nachfragen bei einzelnen Fernwärmeversorgern nicht bedeuten, dass hier tatsächlich missbräuchlich überhöhte Preise verlangt worden sind. Denn Preisunterschiede von Fernwärmeversorgern können ja durch eine Vielzahl von Gründen gerechtfertigt sein, die die Landeskartellbehörde bisher noch nicht kennt und der zwangsläufig schematischen Abfrage auch nicht entnehmen kann. Da die auffälligen 71 Preistypfälle sich insgesamt (nur) sieben Unternehmen zuordnen lassen, müssen nun diese sieben den Wettbewerbshütern in Hannover erklären, wie es zu ihren Preisen kommt.

Insgesamt lässt sich aber schon jetzt aus dem Abschlussbericht ableiten, dass der hohe Stellenwert der Fernwärme selbst in einem ausgesprochenen Flächenland wie Niedersachsen auch von den Kartellbehörden anerkannt wird. Abweichungen ergeben sich trotz der natürlichen Monopolsituation nur in verhältnismäßig wenigen Fällen, die obendrein womöglich ganz einfach zu erklären sind. Trotzdem kann dieser Befund nicht dazu führen, dass die Fernwärmeversorger in Niedersachsen oder andernorts sich nun entspannt zurücklehnen dürfen: Eine immer ehrgeizigere Klimapolitik, zunehmende Klagebereitschaft insbesondere rein wirtschaftlich motivierter Vermietungsgesellschaften und der nach wie vor schwache Strommarkt zwingen Fernwärmeversorger, ihre technischen und wirtschaftlichen Strukturen immer neu zu überdenken.

Ansprechpartner: Stefan Wollschläger/Ulf Jacobshagen

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