Haftung der Kernkraftwerksbetreiber langfristig sicherstellen

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Die Chefs der drei großen Energieversorger E.ON, RWE und EnBW wollen ihr gesamtes deutsches Atomgeschäft inklusive der Atommeiler an den Bund übertragen. So ist es der aktuellen Presse zu entnehmen. Was beinhaltet der Vorschlag genau, und was steckt dahinter?

Dem Vorschlag zufolge sollen die Kernkraftwerke in eine öffentlich-rechtliche Stiftung des Bundes eingebracht werden. Diese soll die Kraftwerke bis zum endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie im Jahr 2022 betreiben und anschließend für den milliardenteuren Abriss der Kraftwerke und Entsorgung der radioaktiven Abfälle verantwortlich sein. Die Kernkraftwerksbetreiber wollen zudem Rückstellungen in Höhe von über 30 Mrd. Euro, die sie bislang für Abriss und Entsorgung gebildet haben, in diese Stiftung als Finanzpolster einbringen. Zudem wollen sie auf angebliche Entschädigungsansprüche (wir berichteten) gegen den Staat infolge des Atomausstiegs nach Fukushima und angebliche Ansprüche auf Rückerstattung der Kernbrennstoffsteuer verzichten. Im Gegenzug soll der Staat – und damit letztendlich der Steuerzahler – jedoch auch sämtliche zukünftigen Folgekosten der Kernenergienutzung übernehmen.

Die Vorschläge der Energiekonzerne sind parteiübergreifend überwiegend – aber nicht durchweg – auf Ablehnung gestoßen. Damit ist aber noch nicht gesagt, dass der Vorstoß wirklich vom Tisch ist. Doch selbst dann sollte man nicht wieder zur Tagesordnung übergehen. Denn in diesem Bereich besteht aus Sicht der Steuerzahler ganz erheblicher Handlungsbedarf. Der Reihe nach:

Fest steht, dass die Kernenergienutzung in den nächsten Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten Folgekosten in vielfacher Milliardenhöhe verursachen wird. Die bestehenden Kernkraftwerke müssen stillgelegt und rückgebaut werden. Der atomare Müll und die bislang angefallenen Brennstäbe müssen entsorgt und auf Dauer sicher endgelagert werden. Wie viel dies am Ende kosten wird, kann heute niemand verlässlich einschätzen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass es bislang weltweit kein Vorbild für ein dauerhaft sicheres Endlager (wir berichteten) gibt und auch in Deutschland die Endlagersuche gerade neu aufgerollt wird. Termin für ein Endlager: eher nicht vor 2080! Und dass sich solch langfristige technische Großprojekte immer im geplanten Kostenrahmen halten, widerspricht nicht nur in Berlin und Brandenburg der allgemeinen Lebenserfahrung.

Es besteht ferner Einigkeit darüber, dass die Kernkraftwerksbetreiber derzeit nach dem Verursacherprinzip verpflichtet sind, diese Folgekosten komplett zu tragen. Allerdings ist nach der geltenden Rechtslage keineswegs sichergestellt, dass die Kernkraftwerksbetreiber ihren Milliardenverpflichtungen auch in den nächsten Jahrzehnten mit Sicherheit werden nachkommen können. Zwar haben sie in ihren Bilanzen Rückstellungen gebildet, um für die zukünftigen Verbindlichkeiten einstehen zu können. Diese Rückstellungen sollen gegenwärtig etwa 36 Mrd. Euro betragen. Diese Gelder sind jedoch nicht insolvenzfest. Vielmehr haben die Betreibergesellschaften die Rückstellungen fast durchweg als Darlehen an ihre Konzernmütter weitergereicht, die die Gelder wiederum investiert haben. Zugleich werden die bislang sprudelnden Einnahmequellen der Kernkraftwerksbetreiber versiegen, wenn die Atommeiler bis 2022 schrittweise abgeschaltet werden. Es ist damit nicht sichergestellt, dass die Atomkonzerne auch in Jahrzehnten noch leistungsfähige Schuldner sind, wenn die Folgekosten der Kernenergienutzung zu einem Großteil erst anfallen.

Ein empfehlenswerter Weg wäre es aus staatlicher Sicht vor diesem Hintergrund, die bereits gebildeten Rückstellungen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds zu überführen, damit die Gelder auch in Zukunft zur Verfügung stehen und nicht dadurch verloren gehen, dass die Atomkonzerne zwischenzeitlich insolvent werden. Eine solche Zahlungspflicht an einen öffentlich-rechtlichen Fonds wäre als so genannte Sonderabgabe verfassungsrechtlich – auch gegen den Willen der Kernkraftwerksbetreiber – zulässig. Dies setzt allerdings voraus, dass die Gelder auf Dauer auch nur eingesetzt werden, um die Finanzierungsverpflichtungen der Kernkraftwerksbetreiber zu erfüllen. Ein öffentlich-rechtlicher Fonds könnte in unterschiedlichen Rechtsformen ausgestaltet sein. In Betracht käme insbesondere eine Anstalt, aber auch eine Stiftung öffentlichen Rechts. Soweit der Vorschlag der Kernkraftwerksbetreiber vorsieht, die Rückstellungen der Kernkraftwerksbetreiber in staatliche Obhut zu überführen, verdient die Idee also durchaus Zustimmung. Hier wäre durchaus schnelles Handeln angezeigt, um gesellschaftsrechtlich gestaltbare Schlupflöcher für die Atomkonzerne rasch zu schließen.

Muss dies heißen, dass darüber weit hinaus die Kernkraftwerksbetreiber zum jetzigen Zeitpunkt aus ihrer Finanzierungsverantwortung entlassen werden sollten? Keineswegs. Über Jahrzehnte hat bislang die Vereinbarung gegolten, dass die Kernkraftwerksbetreiber die immensen Gewinne aus der Kernenergienutzung behalten dürfen, dafür im Gegenzug aber auch die (Folge-)Lasten dieser Hochrisikotechnologie tragen sollen. Diese Vereinbarung ist bisher nur zur Hälfte eingelöst – nämlich im Hinblick auf die Privatisierung der Gewinne. Die Kernkraftwerksbetreiber zu einem Zeitpunkt, in dem noch gar nicht feststeht, ob ihre finanzielle Vorsorge auch nur annähernd ausreicht, aus ihrer Verantwortung für die Folgekosten zu entlassen, erschiene – am Allgemeinwohl orientiert – unvernünftig und grob fahrlässig.

Und schließlich kann man der Politik, im Hinblick auf das Angebot der Kernkraftwerksbetreiber, im Gegenzug auf anhängige Klagen im Zusammenhang mit dem Atomausstieg zu verzichten, nur zur Gelassenheit raten. Es erscheint mehr als nur zweifelhaft, dass die Kernkraftwerksbetreiber ihre überzogenen Milliardenforderungen vor den unterschiedlichen damit befassten Gerichten mit Erfolg werden durchsetzen können. Auch wenn die Mühlen der Justiz mitunter langsam mahlen: in einigen Jahren wird feststehen, ob überhaupt – und gegebenenfalls in welcher Höhe – der Staat wegen des schnelle Atomausstiegs nach dem Super-GAU in Fukushima Entschädigung zu leisten hat. Die Folgekosten der Kernenergienutzung bleiben hingegen auf Jahrzehnte unabsehbar.

Die Gretchenfrage wird aber bleiben, ob die Politik die Ruhe und Kraft entwickelt und das Eine tut, nämlich die Rückstellungen ohne Zuwarten in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt, ohne das Andere, nämlich die Atomkonzerne aus ihrer Finanzierungsverantwortung zu entlassen, unnötiger Weise damit zu verknüpfen.

Ansprechpartner: Dr. Olaf Däuper/ Dr. Roman Ringwald

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