Kartellrechtliche Entflechtung: Geregelt wird, was eh schon gilt

Es war eines der Lieblingsprojekte von Ex-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle – die Entflechtung von Unternehmen nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Brüderle ist nicht mehr im Amt, sein Nachfolger heißt Philipp Rösler. Und das bleibt auch bei der GWB-Reform nicht ohne Konsequenzen.

Zur Erinnerung: Bereits im Koalitionsvertrag der bürgerlich-liberalen Regierungskoalition vom 26. Oktober 2009 war vereinbart worden, im GWB die Entflechtung von marktbeherrschenden Unternehmen zu ermöglichen. Schon im Januar 2010 lag ein erster Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) vor, der unplanmäßig an die Öffentlichkeit gelangte. Dort war die missbrauchsunabhängige, also objektive Entflechtung vorgesehen. Entscheidend bei dieser Variante ist die Anknüpfung an die Größe eines Unternehmens. Vereinfacht gesagt: Ist die Größe eines Unternehmens schädlich für die Marktstruktur im Allgemeinen, soll eine Entflechtung möglich sein, ohne dass dieses Unternehmen der Vorwurf eines kartellrechtlichen Verstoßes trifft.

Im Koalitionsvertrag war auch vereinbart worden, eine 8. Novelle des GWB mit weiteren Änderungen am kartell- und wettbewerbsrechtlichen Rahmen in Angriff zu nehmen. Um die Eile zu verstehen, mit der die missbrauchsunabhängige Entflechtung sogar noch vor einer 8. GWB Novelle eingeführt werden sollte, ist ein weiterer Blick zurück angebracht. Noch gut in Erinnerung dürfte der Branche der Vorschlag des damaligen hessischen Wirtschaftsministers Alois Rhiel sein, die Entflechtung von Energieversorgern einzuführen. Diesen Vorschlag hat der damals als wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion fungierende ehemalige Minister Brüderle zur Vorlage genommen. Im März 2008 brachte die FDP-Fraktion deshalb einen eigenen Entflechtungsvorschlag in den Bundestag ein (BT-Drs. 16/8405 vom 5.3.2008). Im Gegensatz zum Rhielschen Vorschlag sah der der FDP-Fraktion die objektive Entflechtung vor.

Mit dem Durchsickern des ersten Referentenentwurfes, dem ein zweiter im Mai 2010 folgte, begann die öffentliche Diskussion. Auch das Bundeskartellamt (BKartA) griff das Thema in seiner jährlichen Arbeitskreissitzung Kartellrecht auf (Hintergrundpapier Kartellamt) und äußerte sich im Übrigen zurückhaltend. Schließlich nahm auch noch die Monopolkommission in einem Sondergutachten Stellung. Die Monopolkommission ist dabei wohl eine von nur ganz wenigen Stimmen, die die Einführung einer missbrauchsunabhängigen, objektiven Entflechtung dem Grunde nach unterstützt. Im Übrigen scheinen doch die Bedenken überwogen zu haben. Vielfach wurden Zweifel an der Vereinbarkeit einer objektiven Entflechtung mit der Konzeption und dem Leitbild des GWB geäußert. Hiernach sei internes Wachstum von Unternehmen bis zum Monopol zulässig; eine Entflechtung allein wegen der Größe eines Unternehmens passe nicht zu diesem Leitbild. Auch die Praktikabilität eines solchen Instruments wurde aufgrund der erforderlichen hohen Nachweisanforderungen und zu erwartenden langen Verfahrensdauer kritisch betrachtet. Schließlich wurden verfassungsrechtliche Bedenken in Hinblick auf Art. 14 GG und eine möglicherweise erforderliche Entschädigung des betroffenen Unternehmens vorgebracht.

Offenbar haben u.a. die verfassungsrechtlichen Bedenken den neuen Bundeswirtschaftsminister Rösler dazu bewogen, die Entflechtung fortan an das Erfordernis eines festgestellten Missbrauchs i.S.d. §§ 19, 20 GWB knüpfen zu wollen (FAZ v. 1.8.2011). Der Weg läuft damit mal wieder in Richtung Brüssel. Die Europäische Kommission ist schon länger, und zwar expressis verbis (Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln)  für Entflechtungen als Sanktion gegen eine Verletzung des Kartell- und/oder Missbrauchsverbotes in Art. 101, 102 AEUV. Dabei handelt es sich um sog. strukturelle Auflagen, die allerdings auch das BKartA im Rahmen von § 32 GWB schon bislang für möglich hält.

Mit Shakespeare ist man geneigt, „Viel Lärm um nichts“ zu rufen, denn in der Tat wäre die jetzt vorgesehene Entflechtung nur eine Kodifizierung der nach Ansicht des BKartA schon jetzt geltenden Rechtslage. Klar ist auch, dass die ausdrückliche Verankerung einer Entflechtungsbefugnis als struktureller Maßnahme in § 32 GWB in Zukunft nicht zu einer Vielzahl von Verfahren führen wird und kann. Schon der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zwingt zu einer äußerst vorsichtigen Anwendung im Sinne einer ultima ratio. Die Europäische Kommission hat hier allerdings ebenfalls vorgemacht, wie solche Anforderungen umgangen werden können. E.ON, RWE und Eni haben ihre Netze ganz freiwillig im Rahmen von Verpflichtungszusagen abgegeben (siehe dazu hier und hier).

Ansprechpartner: Prof. Dr. Christian Theobald

Weitere Ansprechpartner zum Kartellrecht finden Sie hier.

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