Kraftwerk stilllegen? Übertragungsnetzbetreiber fragen!

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Kraftwerksbetreiber müssen sich auf einige bahnbrechende Änderungen im Energiewirtschaftsrecht vorbereiten. Wie aus Regierungskreisen zu hören ist, hat sich das Bundeskabinett auf einen Entwurf zur Ergänzung energiewirtschaftlicher Vorschriften in den §§ 12ff. EnWG verständigt. Danach sollen die Zugriffsmöglichkeiten der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) auf Speicher sowie bestimmte Kraftwerke (in Kaltreserve) gemäß § 13 Abs. 1a EnWG erweitert und gleichzeitig die hierbei bestehende Vergütungspflicht begrenzt werden. Außerdem sollen neue Vorgaben für die Stilllegung von Erzeugungsanlagen sowie besondere Festlegungen für sog. systemrelevante Gaskraftwerke eingeführt werden.

Worum geht es? Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat im Mai einen „Bericht zum Zustand der leitungsgebundenen Energieversorgung im Winter 2011/12“ veröffentlicht. Nahezu zeitgleich hatte E.ON angekündigt, in Süddeutschland mindestens drei große Gaskraftwerke zu schließen, weil diese nicht mehr rentabel betrieben werden könnten. Offenbar handelte es sich um Kraftwerksblöcke in Hessen und Bayern mit einer Leistung von insgesamt knapp 1.400 MW.

Weil aber gerade im süddeutschen Raum die Versorgungslage infolge der Energiewende nach wie vor äußerst angespannt ist, sprach sich die BNetzA schon damals offen gegen eine Stilllegung aus. Stattdessen kündigte Jochen Homann, Präsident der BNetzA, eine Prüfung an, „ob es sich um Kraftwerke handelt, die für die Netzsicherheit zwingend erforderlich sind“. Homann stellte zugleich klar, dass sich die Behörde in diesem Fall der „Frage nach einer angemessenen Entschädigung nicht verschließen“ könne.

Der jetzige Vorschlag, das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) zu ergänzen, versucht nun das (Versorgungs-)Problem zu lösen, indem er die Möglichkeiten des Zugriffs auf Erzeugungsanlagen deutlich erweitert. Im Einzelnen sind dabei folgende Änderungen vorgesehen:

Ausweitung des direkten Zugriffs der ÜNB auf Erzeugungsanlagen

Nach den Regierungsplänen wird das Eingriffsrecht des ÜNB nach § 13 Abs. 1a EnWG künftig auf Speicher und Erzeugungsanlagen mit einer Nennleistung ab 10 MW (statt bisher 50 MW) ausgeweitet. Gleichzeitig soll das bisherige Erfordernis wegfallen, dass die betreffende Anlage mindestens an die 110-kV-Netzebene angeschlossen sein muss. Wird der Kreis der „Fremdgesteuerten“ auf der einen Seite erweitert, möchte man auf der anderen Seite die angemessene Vergütung eingeschränkt definieren. Sie soll nur noch die notwendigen Auslagen umfassen. Die Entschädigung für Eingriffe in die Fahrweise des Kraftwerks soll also auf tatsächliche Mehrkosten der jeweiligen Maßnahme beschränkt werden. Über den Maßstab Marktwerte wird gar nicht mehr gesprochen.

Allgemeine Vorgaben für die Stilllegung von Erzeugungsanlagen

Der neue § 13a EnWG sieht vor, dass die Betreiber von Speicher- oder Erzeugungsanlagen mit einer Nennleistung ab 10 MW den systemverantwortlichen ÜNB sowie die BNetzA künftig mindestens 12 Monate im Voraus von einer geplanten vorläufigen (z. B. revisionsbedingten) oder endgültigen Stilllegung unterrichten müssen. Ohne eine solche Anzeige oder vor Ablauf der 12-Monats-Frist darf die Anlage nicht stillgelegt werden, wenn ein Weiterbetrieb technisch und rechtlich möglich ist.

Dessen ungeachtet soll eine endgültige Stilllegung von Anlagen ab 50 MW verboten sein, wenn

  • der systemverantwortliche ÜNB diese als „systemrelevant“ ausweist (dafür muss die Stilllegung der Anlage hinreichend wahrscheinlich zu einer Gefährdung oder Störung der Netzstabilität führen),
  • die BNetzA diese Ausweisung des ÜNB genehmigt (wobei die Genehmigung grundsätzlich fingiert wird, wenn die Regulierungsbehörde nicht binnen drei Monaten nach Antragstellung bescheidet) und
  • der Weiterbetrieb technisch und rechtlich möglich ist.

Die Ausweisung als systemrelevant ist dabei auf den erforderlichen Umfang und den erforderlichen Zeitraum (von jeweils maximal 24 Monaten) zu beschränken.

Sofern der ÜNB in diesem Sinne verlangt, eine Anlage betriebsbereit zu halten, soll der Anlagenbetreiber Anspruch auf Erstattung der Auslagen dafür haben, soweit er die Anlage für einen Zeitraum von fünf Jahren nach Maßgabe der angeforderten Systemsicherheitsmaßnahmen betreibt. Wird die Anlage nach dieser Zeit wieder eigenständig eingesetzt, sind die Auslagen allerdings wieder zurückzuzahlen. (Wirklich? Ja!)

Dazu kommt eine umfangreiche Ermächtigung für konkretisierende Festlegungen – u. a. zur Frage der angemessenen Vergütung – durch die BNetzA und für konkretisierende Rechtsverordnungen durch die Bundesregierung.

Spezielle Vorgaben für systemrelevante Gaskraftwerke

Darüber hinaus sollen in § 13c EnWG spezielle Vorgaben für systemrelevante Gaskraftwerke mit einer Nennleistung ab 50 MW festgelegt werden. Für die Einordnung und regulierungsbehördliche Genehmigung der Ausweisung eines Gaskraftwerks als systemrelevant gelten dabei im Wesentlichen die oben skizzierten allgemeinen Vorgaben.

Zu beachten ist, dass die regelverantwortlichen ÜNB eine Liste systemrelevanter Kraftwerke aufstellen, ggf. aktualisieren und der BNetzA unverzüglich, erstmals aber zum 31.3.2013, vorlegen müssen.

Nach Genehmigung einer Anlage als systemrelevant müssen die Betreiber solcher Gaskraftwerke die Leistung der Anlage – soweit technisch und rechtlich möglich sowie wirtschaftlich zumutbar – im erforderlichen Umfang absichern, indem sie die vorhandenen Möglichkeiten für einen Brennstoffwechsel ausschöpfen. Sofern ein Brennstoffwechsel nicht in Betracht kommt, sind Gasnetzbetreiber im Rahmen des technisch und rechtlich Möglichen sowie wirtschaftlich Zumutbaren verpflichtet, feste Gaskapazitäten im erforderlichen Umfang anzubieten. Die Kraftwerksbetreiber sind zwar verpflichtet, diese angebotenen Gaskapazitäten abzunehmen, allerdings hat der systemverantwortliche ÜNB die aus dem Brennstoffwechsel oder der Kontrahierung resultierenden Mehrkosten zu erstatten. Gegenüber der BNetzA ist zu begründen, wenn ein Brennstoffwechsel oder eine Gaskapazitätsbuchung in erforderlichem Umfang nicht möglich ist, und durch welche sonstigen Kapazitäts- oder Ausbaumaßnahmen der Kapazitätsbedarf gedeckt werden kann.

Die genannten Vorgaben können durch eine Festlegung der BNetzA konkretisiert werden, u. a. was die angemessene Erstattung von Mehrkosten betrifft, die auch pauschaliert erfolgen kann.

Fazit: Wollpulli und dicke Socken bereitlegen

Die Pläne der Bundesregierung dürften vielen Akteuren im Markt, aber nicht zuletzt auch den Netznutzern die Laune verderben. Einerseits können Betreiber unrentabler Anlagen nicht länger frei entscheiden, sie stillzulegen, und werden so erheblich in ihrem Eigentumsrecht und ihrer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit beschränkt. Andererseits werden die Kosten derartiger Eingriffe zwangsläufig die Netzentgelte in die Höhe treiben, und das in Zeiten ohnehin rasant steigender Energiekosten.

Doch damit nicht genug: Die Versorgung von Industriekunden und der Bevölkerung mit Erdgas könnte künftig bei Stromnetzengpässen sogar gefährdet sein, wenn Betreiber von Gasversorgungsnetzen verpflichtet sind, feste Kapazitäten im Gasversorgungsnetz zugunsten von Erzeugungsanlagen bereitzuhalten und die betreffenden Erzeugungsanlagen damit bei Engpässen nicht mehr vom Netz genommen werden dürften. Bildlich gesprochen käme es im Extremfall dazu, dass der Fernseher (weiter-)läuft, während die Gasheizung ausfällt. Aber auch für diesen Fall hat man sicherlich schon einen Notfallplan im Köcher: Eine Verpflichtung zum Tragen flauschiger Wollpullis und dicker Socken, nebst Ermächtigung zum Erlass einer gebrauchskonkretisierenden Rechtsverordnung.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau/Dr. Tigran Heymann

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