„Making the internal market work” – wie die Kommission den Binnenmarkt zum Funktionieren bringen will

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Bereits seit den 1990er Jahren hatte die Europäische Union mit verschiedenen Richtlinien die Weichen für die Realisierung eines einheitlichen europäischen Energiebinnenmarkts gestellt. Zuletzt wurde dazu im Jahr 2009 das sogenannte Dritte Binnenmarktpaket Strom und Gas verabschiedet. Neben gas- und stromspezifischen Themen beinhaltet dieses Paket umfangreiche Regelungen zum Verbraucherschutz, zur Entflechtung, zur Versorgungsqualität und Sicherheit sowie zu den Aufgaben nationaler Regulierungsbehörden und der daraufhin neu gegründeten Agentur für die Zusammenarbeit der europäischen Energieregulierungsbehörden (ACER).

Bei der Umsetzung dieses Pakets sind allerdings längst nicht alle Staaten vorbildlich. In Deutschland wurde das Dritte Binnenmarktpaket immerhin bereits im Sommer 2011 durch die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) umgesetzt und damit nur wenige Monate nach Ablauf der von der Kommission festgesetzten Umsetzungsfrist Anfang März 2011. In zahlreichen anderen Mitgliedstaaten ist jedoch auch nach mehrfachen Aufforderungen durch die Kommission noch keine oder zumindest keine vollständige Umsetzung in Sicht.

Daher ist es kein Wunder, dass die Kommission jetzt nachlegt. In dem Entwurf einer Mitteilung mit dem Titel „Making the energy market work“ stellt sie fest, dass sich die EU derzeit nicht auf dem besten Weg zur Verwirklichung des Energiebinnenmarktes bis 2014 befindet. Trotzdem gebe es aber auch einige positive Entwicklungen zu verzeichnen: So hätten sich in den vergangenen Jahren zunehmend Anbieter auf dem Markt etabliert, die Preise seien durch mehr Wettbewerb gesunken und insgesamt sei der Markt transparenter und die Energieversorgung verlässlicher geworden.

Oberste Priorität sei jetzt aber sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten die Vorgaben des dritten Binnenmarktpakets umsetzen und ihren Blick nach außen und damit weg von nationalstaatlichen Maßnahmen wenden. Zu diesem Zweck werden im Rahmen der Mitteilung Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV angedroht, sofern den Mitgliedstaaten ausstehende Umsetzungsmaßnahmen nicht alsbald vornehmen. Gleichzeitig werden aber auch Best Practice Guidelines in Aussicht gestellt, die die Mitgliedstaaten bewährte und praktikable Umsetzungsmethoden aufzeigen sollen.

Darüber hinaus hebt die Kommission einige Bereiche besonders hervor, in denen ihrer Ansicht nach dringender Handlungsbedarf bestehe, darunter die Liberalisierung des Energiemarktes, die in einigen Mitgliedstaaten noch weit zurückliege. So sei der Energiemarkt in sieben Mitgliedstaaten immer noch zu 80 Prozent von den historisch etablierten Betreibern beherrscht. Um diesem Zustand abzuhelfen müsse der Markt transparenter und der Zugang zu Netzinfrastruktur für Neueinsteiger vereinfacht werden. Es müsse ein für alle Beteiligten geltender Rechtsrahmen geschaffen und auch eingehalten werden, um Diskriminierungen insbesondere auch gegenüber neuen Marktteilnehmern zu vermeiden. Investitionen sollten vom Markt und nicht durch Fördermittel gesteuert werden. Außerdem seien in elf Mitgliedstaaten die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB/TSO) immer noch nicht entflochten.

Ein anderer Kritikpunkt der Kommission betrifft den Verbraucherschutz. Auch hier sollen Best Practice Guidelines helfen, Anreize zu setzen und das Bewusstsein der Verbraucher für Handlungsmöglichkeiten zu schärfen. Laut Kommission könne beispielsweise allein der Wechsel zum günstigsten verfügbaren Stromanbieter den Verbraucher um bis zu 13 Millionen Euro pro Jahr entlasten. Gleichzeitig setzt die Kommission aber auch auf die Förderung der Flexibilität des Energiesystems, das „smarter“ werden müsse. Gefördert werden sollen danach Demand-Response-Systeme, Smart Grids, Smart Meter sowie die Einbeziehung flexibler Erzeugungs- und Speichersysteme in das Energiesystem.

In diesem Zusammenhang werden Entscheidungsträger ausdrücklich dazu aufgefordert, sich über die zukünftige Rolle der Verteil- und Übertragungsnetzbetreiber Gedanken zu machen. Die Kommission tendiert dabei dazu, deren Rolle nicht nur in der eines natürlichen Monopolisten zu sehen, sondern für die Zukunft auf eine Wettbewerbssituation zwischen den Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern hinzuarbeiten, die dynamischere Preise, Investitionsanreize und stabilere Netze garantieren sollen. Dieses Thema sowie verschiedene in Frage kommende Modelle sollen ausführlich anlässlich des im November stattfindenden London Forums diskutiert werden.

Bemerkenswert ist außerdem, dass die Kommission  ausdrücklich vor der unter anderem in Deutschland diskutierten und in Frankreich und Großbritannien konkret geplanten Einführung von Kapazitätsmechanismen warnt. So heißt es, dass jedes Kapazitätssystem kontraproduktiv sei, das „schlecht durchdacht, und/oder voreilig beschlossen oder auf EU-Ebene nicht angemessen abgestimmt sei“. Es bestehe die Gefahr, dass nationale Kapazitätsmechanismen die bestmögliche grenzüberschreitende Nutzung von Erzeugungs- und Flexibilitätsmechanismen verhindern würden. Die Kommission warnt die Mitgliedstaaten deshalb vor Alleingängen, ohne vorher die Gründe für Investitionsmängel in zusätzliche Kapazitäten genau analysiert und die Auswirkungen auf benachbarte Staaten und den Binnenmarkt intensiv geprüft zu haben. Vorrangig sollten daher andere Möglichkeiten wie beispielsweise die Energieeffizienz und die Reduzierung der Nachfrage in Betracht gezogen werden. Dabei stellt die Kommission auch gleich klar, dass es sich bei den meisten derzeit diskutierten Kapazitätsmechanismen um Verpflichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge handle, die europarechtlicher Kontrolle unterliegen. Gleichzeitig kündigt sie ein Konsultationsverfahren zur Bewertung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Kapazitätsmechanismen und die Einrichtung einer „Electricity Cooperation Group“ an, die die nationalstaatlichen Maßnahmen zur Versorgungssicherheit an europarechtlichem Maßstab prüfen solle.

Keine Neuigkeiten enthält das Kommissionspapier demgegenüber zur Harmonisierung von Fördermaßnahmen zugunsten Erneuerbarer Energien. Hingewiesen wird lediglich auf die derzeitige Überarbeitung der Leitlinien für Beihilfen im Umweltschutz und die Ausnahmeregelung für Erneuerbare Energien. Auch hierzu sollen bald Best Practice Guidelines folgen.

Insgesamt soll die Mitteilung dazu dienen, der Entwicklung des Europäischen Binnenmarktes im Bereich Energie noch einmal neuen Schwung zu verleihen, eine Fragmentierung der Systeme zu verhindern, dabei aber Wettbewerb, Versorgungssicherheit, Verbraucherschutz und Dekarbonisierungsziele zu fördern. Mit der endgültigen Mitteilung kann wohl in den nächsten Wochen gerechnet werden.

Ansprechpartner: Dr. Dörte Fouquet

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