Netzentgeltbefreiung nach § 19 Abs. 2 StromNEV (2011) – Klagen gegen den Beschluss der Kommission?

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Wie wir berichteten, hat die Europäische Kommission am 28.5.2018 entschieden, dass die Befreiung von Netzentgelten, die in Deutschland bestimmten stromintensiven Unternehmen in den Jahren 2012 und 2013 gewährt worden war, gegen die EU-Beihilfenregeln verstieß. Die Kommission sah keine Gründe dafür, die Verbraucher von der Zahlung der Netzentgelte zu befreien und verpflichtete Deutschland – nach der in ihrem Beschluss festgelegten Methode – für jeden Begünstigten der Befreiung die Höhe der von ihm in den Jahren 2012 und 2013 verursachten Netzkosten zu ermitteln und diese illegalen Beihilfen, mindestens 20 Prozent der allgemeinen Netzentgelte, von den begünstigten Unternehmen zurückzufordern.

Die konkrete Rückforderungsbelastung und Zahl der betroffenen Unternehmen lässt sich laut Pressemeldung des BMWi nicht pauschal beziffern. Der konkrete Rückforderungsbetrag ist im Einzelfall zu bestimmen. Er ist abhängig vom Verbrauchsverhalten, von der Höhe des jeweiligen Netzentgeltes und vor allem davon, wie viel Netzentgelte die Unternehmen hypothetisch nach dem sog. physikalischen Pfad hätten zahlen müssen. Der Rückforderungszeitraum ist auf die Jahre 2012 und 2013 begrenzt.

So wird man davon ausgehen können, dass von den Unternehmen, die für 2012 und 2013 vollständig von den Netzentgelten befreit waren, Netzentgelte in Höhe der Differenz zu den Kosten eines physikalischen Pfades nachzuzahlen sind, jedoch mindestens 20 Prozent der allgemeinen Netzentgelte. Seit Ende Juni 2018 beginnen die Regulierungsbehörden, die Änderung der Genehmigungsbescheide der Jahre 2012 und 2013 und die Rückforderungen vorzubereiten.

Die konkrete Ausgestaltung des Rückforderungsverfahrens durch die Regulierungsbehörden unter Einbeziehung der Netzbetreiber und Betroffenen ist in Teilen noch offen. Rechtlich unklar sind insbesondere noch Fragen zur Berechnung der Kosten des physikalischen Pfades.

Betroffen sind generell alle Unternehmen mit einer genehmigten Netzentgeltbefreiung in 2012 und 2013. Diese könnten mit einer Nichtigkeitsklage zum Gericht der Europäischen Union (EuG) gegen den Beschluss der Kommission vorgehen. Die Frist für die Einreichung der begründeten Nichtigkeitsklage beträgt grundsätzlich zwei Monate. Die Frist beginnt ohne individuelle Zustellung 14 Tage nach Veröffentlichung des Beschlusses im Amtsblatt der EU. Die Nichtigkeitsklage kommt zunächst für alle Betroffenen infrage, bei denen die Kosten des physikalischen Pfades für 2012 und/oder 2013 mehr als 20 Prozent des allgemeinen Netzentgeltes betragen.

Darüber hinaus kommt die Nichtigkeitsklage auch für diejenigen Unternehmen in Betracht, bei denen die (voraussichtlichen) Kosten des physikalischen Pfades für 2012 und/oder 2013 weniger als das Mindestentgelt von 20 Prozent des allgemeinen Netzentgeltes betragen, wenn die Unternehmen in dem jeweiligen Jahr eine Benutzungsdauer von mehr als 7.500 oder mehr als 8.000 Stunden hatten. Es kann argumentiert werden, dass die Kommission bei entsprechenden Benutzungsdauern eine Absenkung des Mindestentgelts auf 15 bzw. 10 Prozent der allgemeinen Netzentgelte hätte zulassen müssen, wie etwa in § 19 StromNEV der seit 2014 geltenden Fassung vom 22.8.2013 vorgesehen.

Auch Letztverbraucher, denen aufgrund geringerer Kosten eines physikalischen Pfades für 2012 und 2013 (sowohl nach der Berechnungsmethode vor 2011 als auch nach der ab 2014) und einer Jahresbenutzungsdauer zwischen 7.000 und 7.500 Stunden in jedem Falle nur ein individuelles Entgelt in Höhe der Untergrenze von 20 Prozent zustünde, sollten die Chancen und Risiken einer Nichtigkeitsklage individuell abwägen. In der Sache könnten sie aber nur noch damit argumentieren, dass es sich bei der Netzentgeltbefreiung wie in 2011 auch in 2012 und 2013 schon um keine rechtswidrige Beihilfe handelt, unter anderem, weil es an der Staatlichkeit der Mittel fehlt.

Wir werden Sie über die Entwicklungen auf dem Laufenden halten.

Ansprechpartner: Dr. Dörte Fouquet/Dr. Thies Christian Hartmann/Dr. Markus Kachel

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