Netznutzung gratis: Große Stromkunden werden von Netzentgelten befreit

Stromkunden, die die Netze besonders intensiv nutzen, müssen womöglich schon für 2011 kein Netzentgelt mehr zahlen. Am 4.8.2011 ist ein Gesetz in Kraft getreten, das die Voraussetzungen ändert, unter denen stromintensive Letztverbraucher nicht das allgemeingültige Netzentgelt zahlen müssen (§ 19 Abs. 2 StromNEV). Das Ergebnis: Kostenlose Netznutzung ist künftig möglich.

Was hat sich geändert?

Bislang konnte ein individuelles Netzentgelt immerhin schon bis auf 20 Prozent des veröffentlichten Netzentgelts reduziert werden. Seit dem 4.8.2011 können die betroffenen Letztverbraucher nun sogar vollständig von den Netzentgelten befreit werden, müssen also für die Netznutzung überhaupt nichts mehr bezahlen. Hiervon ausgenommen sind lediglich Entgelte für den Messstellenbetrieb, die Messung und die Abrechnung sowie für mögliche vom Kunden in Anspruch genommene Netzreservekapazitätsleistungen.

Auch die Abwicklung wurde vereinfacht: Erforderlich für eine Befreiung von der Netzentgeltzahlung ist nicht mehr eine Vereinbarung mit dem jeweiligen Netzbetreiber, sondern es genügt ein Antrag bei der zuständigen Regulierungsbehörde. Eine flankierende Abwicklungsvereinbarung zwischen Netzbetreiber und Netznutzer ist aber im Regelfall dennoch sinnvoll.

Die Netzbetreiber müssen sich indessen nicht sorgen, auf ihren Kosten sitzen zu bleiben. Bisher wurde der Ausfall auf die Schultern aller übrigen Netznutzer dieser und der nachgelagerten Netz- und Umspannebenen verteilt (§ 19 Abs. 2 Satz 8 StromNEV a.F.). Künftig landet der „Schwarze Peter“ erst einmal bei den Übertragungsnetzbetreibern (§ 19 Abs. 2 Satz 6 StromNEV n.F.). Die vier Übertragungsnetzbetreiber sind verpflichtet, die Zahlungen gemäß dem Mechanismus aus § 9 KWKG untereinander zu verteilen und an die nachgelagerten Netzebenen weiter zu wälzen.

Was sagt die Bundesnetzagentur zur Neuregelung?

Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat in einem neuen Leitfaden aus September 2011 kundgetan, wie sie mit den Änderungen umgehen wird. Zunächst hält sie daran fest, dass der Antrag auf ein individuelles Netzentgelt entweder im Kalenderjahr vor dem Genehmigungszeitraum, spätestens aber in dem Kalenderjahr zu stellen ist, für das die Genehmigung beantragt wird. Das bedeutet: Für das Jahr 2011 kann noch eine vollständige Befreiung von Netzentgelten beantragt werden, obwohl die Neuregelung erst seit dem 4.8.2011 gilt!

Außerdem stellt die BNetzA klar, dass es für die Erreichung der maßgeblichen Benutzungsstundenzahl auf die „Abnahmestelle“ (und nicht auf eine „Entnahmestelle“) ankommen soll. Als Abnahmestelle definiert die BNetzA „alle räumlich zusammenhängenden elektrischen Einrichtungen des Unternehmens auf einem Betriebsgelände, das über einen oder mehrere Entnahmepunkte mit dem Netz des Netzbetreibers verbunden ist“.

Die Unterscheidung zwischen Abnahme- und Entnahmestelle ist neu und hat folgenden Hintergrund: Bislang hatte die BNetzA eine gemeinsame Antragstellung für mehrere Zählpunkte zugelassen, was aber dem von der BNetzA angekündigten Pooling-Verbot widersprechen würde, wonach künftig eine gemeinsame Bewertung mehrerer Entnahmestellen nicht mehr möglich sein soll (hier im Blog berichtet). Im Hinblick auf individuelle Netzentgelte jedenfalls hält die BNetzA ein Pooling-Verbot offensichtlich für verfehlt. Sie nimmt deswegen eine künstliche Abgrenzung zwischen einer Abnahmestelle einerseits und einer Entnahmestelle andererseits vor. Dadurch soll im Ergebnis beim individuellen Netznutzer ein Pooling zulässig sein, beim allgemeinen Entgelt für die übrigen Netznutzer dagegen nicht.

Viele offene Fragen

Klar ist, dass stromintensive Letztverbraucher, soweit die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV vorliegen, schnellstmöglich und rückwirkend für das Jahr 2011 eine Befreiung von den Netzentgelten beantragen werden. Die Abwicklung ist jedoch beispielsweise in den folgenden Punkten offen:

  • Wie lässt sich eine rückwirkende Befreiung mit den Netznutzungsverträgen vereinbaren, die zwischen Netzbetreibern und strominensiven Letztverbrauchern bestehen und auf deren Basis die gültigen Netzentgelte bereits geleistet wurden?
  • Werden die entgangenen Erlöse durch die Übertragungsnetzbetreiber im Rahmen der Netzentgelte übergewälzt oder gibt es wegen des Verweises auf den Mechanismus des § 9 KWKG eine neue separate Umlage?
  • Wie können die zusätzlichen Belastungen, die durch die Umwälzung über die Netzebenen weitergereicht werden, im Rahmen laufender Verträge vom Netzbetreiber an die Netznutzer/Stromlieferanten (und von diesen an belieferte Kunden) weitergegeben werden?

Angesichts dieser – und weiterer – offenen Fragen wurde mit der Gesetzesänderung und dem neuen Leitfaden der BNetzA das letzte Wort für die Praxis noch nicht gesprochen. Betroffene Vertragsverhältnisse (Lieferantenrahmenverträge, Netznutzungsverträge und Lieferverträge) müssen allerdings schon jetzt dringend geprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

Ansprechpartner Regulierung: Prof. Dr. Ines Zenke/Stefan Missling/Stefan Wollschläger

Ansprechpartner Objektnetze: Ulf Jacobshagen/Dr. Markus Kachel

Ansprechpartner Verträge: Dr. Christian de Wyl/Dr. Jost Eder

Share
Weiterlesen

18 April

Missbrauchsverfahren nach den Energiepreisbremsengesetzen: Bundeskartellamt nimmt Energieversorger unter die Lupe

Die Energiepreisbremsengesetze sollten Letztverbraucher für das Jahr 2023 von den gestiegenen Strom-, Gas- und Wärmekosten entlasten. Um zu verhindern, dass Versorger aus der Krise auf Kosten des Staates Kapital schlagen, wurden in den dazu erlassenen Preisbremsengesetzen besondere Missbrauchsverbote implementiert, über...

15 April

Masterplan Geothermie für NRW: Startschuss für Förderprogramm zur Risikoabsicherung hydrothermaler Geothermie

Am 8.4.2024 hat das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie NRW den Masterplan Geothermie für NRW veröffentlicht. Als erste Maßnahme ging zeitgleich ein Förderinstrument zur Absicherung des Fündigkeitsrisiko als zentrales Hemmnis für Vorhaben mitteltiefer und tiefer geothermischer Systeme an...