Neues von den Oberlandesgerichten Düsseldorf und Frankfurt zur „Kundenanlage“ im EnWG

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Ob Elektrizitätsverteilanlagen als Kundenanlage (§ 3 Nr. 24a und 24b EnWG) einzuordnen sind oder nicht, ist vielerorts von Bedeutung. Insbesondere bei der sogenannten „allgemeinen Kundenanlage“ nach § 3 Nr. 24a EnWG ist die Abgrenzung komplex, da der Gesetzeswortlaut zu unbestimmt ist. Das sorgt zunehmend für Konflikten zwischen Netzbetreibern, Betreibern von Kundenanlagen und den zuständigen Regulierungsbehörden.

Zur rechtlichen Einordnung von Kundenanlagen haben nunmehr zwei Oberlandesgerichte wichtige Entscheidungen getroffen. In beiden Verfahren ging es um Immobilienprojekte mit 400 bis 500 angeschlossenen Haushalten. Die Einordnung als Kundenanlage wurde in beiden Fällen verneint. Die Entscheidungen sind für Netzbetreiber mit entsprechenden Quartiersversorgungen in ihren Netzgebieten, für Wohnungsunternehmen, aber auch für viele Klinik-, Universitäts-, Gewerbe- und Industriestandorte relevant.

Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13.6.2018

Eine Kundenanlage setzt laut Gesetz voraus, dass sie ein „räumlich zusammenhängendes Gebiet“ versorgt. Dies wird vom Gericht sehr eng ausgelegt. Wird das Gebiet von Straßen, Gleisen, Brücken und Ähnlichem gequert, die nicht hauptsächlich der Erschließung des Gebietes dienen, dann soll dadurch der räumliche Zusammenhang gefährdet sein. Architektonische oder bauliche Ähnlichkeiten stellen, so das Gericht, keine verbindenden Elemente dar.

Weiterhin kommt es darauf an, ob die Anlage wettbewerblich unbedeutend ist. Das hängt unter anderem von den Merkmalen „Anzahl der angeschlossenen Letztverbraucher“, „räumliche Ausdehnung“ und „Menge durchgeleiteter Energie“ ab. Das Gericht hält zwar grundsätzlich daran fest, dass hierbei im Rahmen einer Gesamtschau abgewogen werden muss und feste Grenzwerte grundsätzlich unzulässig sind. Da es sich jedoch um eine „Je-mehr-desto“-Abwägung handele, könne ab einem bestimmten festen Wert eine wettbewerbliche Unbedeutsamkeit nicht mehr angenommen werden. Der wettbewerbliche Einfluss einer Anlage bestimme sich zudem nicht relativ im Verhältnis zum jeweiligen Netzgebiet, sondern es gelte ein absoluter Maßstab.

Ab welcher Zahl von Letztverbrauchern, Energiemengen oder Grundstücksgrößen dieser (absolute) „Je-mehr-desto“-Wert erreicht ist, wird nicht näher ausgeführt. Jedenfalls kann nach Ansicht des Gerichts bei 457 Letztverbrauchern ein Einfluss auf den Wettbewerb im Regelfall nicht mehr verneint werden. Gleiches gelte für Grundstücke über einer Gesamtfläche von ca. 44.000 m² sowie jährlich durchgeleiteten Energiemengen über 1,40 GWh. Faktisch führt diese Argumentation dazu, dass es genau die an sich nicht gewollten festen Grenzwerte gibt – nur weiß niemand, wo genau die Grenzen liegen und nach welchen konkreten Kriterien sie zu bestimmen sind.

Sollten die im Urteil genannten absoluten Werte von knapp über 1,00 GWh und ca. 50.000 m² tatsächlich zukünftig für alle Energieverteilanlagen maßgeblich sein, wäre der Betrieb von Kundenanlagen an Industrie- und Gewerbestandorten nahezu ausgeschlossen. Die gilt jedenfalls dann, wenn die Voraussetzungen der betrieblichen Kundenanlage nach § 3 Nr. 24b EnWG nicht erfüllt sind, was aufgrund des hohen Eigenverbrauchsanteils von mindestens ca. 90 Prozent insbesondere in Industrie- und Gewerbeparks, an denen mehrere Unternehmen ansässig sind, nur selten möglich ist. Folgt man dem Urteil des Oberlandesgerichtes Düsseldorf, was aufgrund der nicht überzeugenden Begründung keineswegs ein „Muss“ ist, wäre beispielsweise die Einordnung vieler Klinik- oder Universitätsareale als Kundenanlage kaum mehr möglich.

Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 8.3.2018

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main begründet überraschend sein Ergebnis ausschließlich mit Zweifeln daran, ob die Energieverteilanlagen unentgeltlich im Sinne von § 3 Nr. 24a lit. d EnWG zur Verfügung gestellt werden. Nach Auffassung des Gerichts müssen Kundenanlagenbetreiber, die zugleich Letztverbraucher mit Strom beliefern, ihre Preiskalkulation vollständig offenlegen.

Nach Auffassung des Gerichts darf auch der Arbeitspreis des Stromliefervertrags keinerlei Energieanlagenkosten enthalten. Der Stromlieferant müsse deshalb nachweisen, dass sein Strompreis frei von Infrastrukturkosten ist. Gelingt ihm dieser Nachweis nicht, sei zu seinen Lasten von einem „versteckten“ Netzentgelt auszugehen und eine Einordnung als Kundenanlage unmöglich.

Sämtliche Betreiber von Kundenanlagen, die in ihren Kundenanlagen Strom an Letztverbraucher liefern, wären danach zukünftig verpflichtet, ihre Preiskalkulation und somit wesentliche Teile ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse offen zu legen. Eine Begründung, weshalb zur Gewährleistung einer diskriminierungsfreien und unentgeltlichen Stromdurchleitung ein solcher Eingriff in die unternehmerische Freiheit notwendig ist, bleibt das Gericht weitestgehend schuldig. Insgesamt kann auch diese Entscheidung nicht überzeugen.

Was nun?

Sollten die Entscheidungen in dieser Form Bestand haben, wäre eine große Zahl von Kundenanlagenbetreibern erheblichen rechtlichen Risiken ausgesetzt. In dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt wurden bereits Rechtsmittel eingelegt. Auch das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wird wohl in die zweite Instanz gehen. Beide Beschlüsse werden also höchstwahrscheinlich vom Bundesgerichtshof überprüft.

Potentiell betroffene Kundenanlagenbetreiber und Betreiber von Erzeugungsanlagen innerhalb von Kundenanlagen sollten daher die Entwicklungen aufmerksam beobachten und bereits im Vorfeld der in etwa ein bis zwei Jahren zu erwartenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestehende Risiken identifizieren und bewerten. Auch die Netzbetreiber müssen entscheiden, wie sie mit der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung im Hinblick auf ihre Netzgebiete und den dortigen Kundenanlagenbetrieb umgehen, bis eine höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vorliegt.

Ansprechpartner: Ulf Jacobshagen/Dr. Markus Kachel

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