NR-gie-W-ende – Versöhnen statt Kernspalten …

Am 12.6.2012 veröffentlichten SPD und Grüne Nordrhein-Westfalens (NRW) ihren Koalitionsvertrag. Das 189-seitige Dokument legt einen Schwerpunkt auf das Thema Energiewende. Damit knüpft die Landesregierung an ihre Politik der abgelaufenen Legislaturperiode nahtlos an. NRW versteht sich selbstbewusst als Schrittmacher auf diesem Gebiet. So beklagt der Koalitionsvertrag, dass „Schwarz-Gelb“ keinen bundesweiten Masterplan für die Energiewende zu Wege bringe. Hier will sich NRW stark einbringen. Der Energieteil des Koalitionsvertrages weist somit weit über die Gesetzgebungskompetenz eines Bundeslandes hinaus, weil NRW auch eine Vielzahl von bundespolitischen Aktivitäten initiieren möchte.

Die zentralen Punkte im Koalitionsvertrag sind insoweit:

„Die Fortentwicklung des EEG, die Neukonzeption des Strommarktdesigns, der Netzausbau besonders auch im Hinblick auf die Optimierung der Verteilnetze, Energieeffizienzmaßnahmen, Förderung auch durch zur Verfügungstellung neuer Finanzmittel, Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, aber auch Entwicklung der KWK im Hinblick auf schwankende Energieeinspeisungen. Ein Klimaschutzgesetz auf Bundesebene, eine Erhöhung des EU-Reduktionsziels auf 30 % bis 2012.“

Der Koalitionsvertrag bekennt sich mit deutlichen programmatischen Sätzen zum Energiewirtschaftsstandort NRW im Sinne einer „Innovationsschmiede“.

Vor dem Hintergrund, dass mehr als ein Drittel in Deutschland entstehenden CO2 in NRW emittiert wird, betont die künftige Landesregierung die Notwendigkeit einer engagierten Klimaschutzpolitik. Das im Oktober 2011 auf den Weg gebrachte Klimaschutzgesetz soll im neuen Landtag neu eingebracht werden. Der CO2-Ausstoß in NRW soll um zumindest 25 Prozent bis 2020 und um mindestens 80 Prozent bis 2050 gegenüber 1990 reduziert werden. Als Teil des Klimaschutzgesetzes sieht die Landesregierung einen Klimaschutzplan für NRW vor, der die Kommunen finanziell in Hinblick auf Klimaschutzmaßnahmen stärkt.

Der Klimaschutz soll auch in der Landesplanung verankert werden, was mit konkreten Überlegungen im Koalitionsvertrag erläutert wird. Der schnellstmögliche Umstieg auf Erneuerbare Energien soll weiter gestärkt werden. Besondere Bedeutung kommt dabei der Windenergie zu, für die die Landesregierung die Bedingungen deutlich verbessern möchte. Weitere Stichworte sind Photovoltaik, Wasserkraft und Geothermie.

Ausführlich wird auf die Kraft-Wärme-Kopplung eingegangen. NRW möchte hier 25 Prozent Stromerzeugung mit KWK bis 2020 erreichen. Hierfür sei ein tiefgreifende technologischer und struktureller Wandel im Strom- und Wärmemarkt notwendig, der wiederum nur gelingen könne, wenn das vorhandene Instrumentarium zur Förderung der KWK massiv weiterentwickelt würde, wofür man sich einsetzen möchte.

Auch im Hinblick auf Netze und Speicher erklärt die Landesregierung, dass sie den notwendigen Ausbau voranbringen will. Die Landesregierung hält an dem Ende der Subventionierung der Steinkohleförderung 2018 fest, bekennt sich aber zu neuen Kraftwerken auch außerhalb von Erneuerbaren Energien, sofern es sich um hoch flexible und effiziente fossile Kraftwerke handelt. Der Kraft-Wärme-Kopplung Gas- bzw. Kraft-Wärme komme insoweit besondere Bedeutung zu. Der Koalitionsvertrag geht auf die verschiedenen konkreten Projekte ein. Die Landesregierung möchte eine „Plattform Kraftwerke“ errichten, um im Dialog mit den Unternehmen einen „wirtschaftlichen und versorgungstechnischen Konsens“ in NRW zu erreichen.

Im Hinblick auf die Kraftwerksprojekte in Datteln (wir berichteten) und Lünen hält die Landesregierung gleichsam fest, dass sie konstruktiv, aber neutral die rechtlichen Verfahren begleiten werde. Landesrecht soll nicht „zu Gunsten begonnener Projekte“ verbogen werden.

Die Elektromobilität ist ein weiterer Punkt, den die Landesregierung fördern möchte. Die Landesregierung betont, dass man Standort für energieintensive Industrien bleibe möchte und hält insoweit auch finanzielle Kompensationen neben fairen Wettbewerbsbedingungen für angebracht.

Auch der Verbraucherschutz und die Bekämpfung der Energiearmut: “Verschonung von Stromsperrungen“ sind weitere Stichworte. Gleichzeitig betont der Koalitionsvertrag, dass bei allen Maßnahmen die Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit, die Wettbewerbsfähigkeit und die Energiepreise mitbedacht werden sollen. Bei der Weiterentwicklung der Energiepolitik in NRW will die künftige Landesregierung viel Gewicht auf Partizipation legen und die Bevölkerung einbinden.

Ein neuer Gedanke wird im dem Kapitel „Fortschrittsmotor Klimaschutz-Expo“ entwickelt. Das Modellprojekt soll im Ruhrgebiet die ökologische und ökonomische Bedeutung des Klimaschutzes („Job-Motor“) deutlich machen.

Ein ganzes Kapitel ist dem Atomausstieg gewidmet, der als vollständiger und endgültiger Ausstieg aus der gesamten Nuklear- und Brennstoffkette definiert wird. Dementsprechend möchte das Land auch keinerlei „Atomforschung“ mehr finanzieren.

Wie sind die 27 Seiten der Energiepolitik zu bewerten?

Deutlich wird, dass NRW eine ganz selbstbewusste Führungsrolle für die Energiewende formuliert, die über konkrete Landespolitik weit hinaus geht. Man könnte dies als anmaßend kritisieren, würde sich nicht die Landesregierung berechtigterweise darauf berufen, dass sie grundsätzlich mit der energiepolitischen Zielsetzung auf Bundesebene übereinstimmt. Der Koalitionsvertrag hat in seinem energiepolitischen Teil durchaus den ein oder anderen populistischen Zug nach dem Motto „alle sollen glücklich werden“, gleichwohl stellt er doch ein bemerkenswertes Dokument dar, das in seiner ehrgeizigen Programmatik durchaus richtungweisend sein kann. Ein Koalitionsvertrag kann natürlich die konkrete Rechtssetzung nicht ersetzen, sondern nur einen Handlungsrahmen formulieren. So gesehen ist manche Unschärfe unschädlich. Mit ihrem starken energiepolitischen Akzent hat die künftige Landesregierung die Messlatte hoch gelegt. Wünschen wir ihr das politische Geschick und das Glück, dass sie bei der Erreichung ihrer Ziele vorankommt!

Ansprechpartner: Prof. Christian Held/Dr. Markus Kachel

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