Staat oder Markt – wer entscheidet über den Kapazitätsbedarf in Deutschland?

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Wie viel Kraftwerkskapazität ist nötig, um die Versorgungssicherheit der Deutschen sicher zu stellen? Bisher hat die Antwort auf diese Frage (zumindest in der Theorie) der Markt gegeben und nicht der Staat. Doch das könnte sich bald ändern.

Anhand der börslichen Merit-Order bestimmt sich der Strompreis nach dem Kraftwerk mit dem höchsten Grenzkosten, das gerade noch im Markt ist. Verkauft (und bepreist) wird die Kilowattstunde Strom – auf neudeutsch sind das „Energy-only-Markets“. Wer ausgehend von einer Preisprognose und einer erwarteten Einsatzzeit des Kraftwerks (Vollbenutzungsstunden) keine ausreichenden Deckungsbeiträge erwirtschaftet, um neben den Grenzkosten auch die Fixkosten und eine attraktive Rendite zu erwirtschaften, lässt den Betrieb von Kraftwerken besser sein. Dachte man zumindest bisher.

Fehlende Anreize für den Bau neuer Kraftwerke

Doch die Zeiten ändern sich: Atomkraftwerke werden eingemottet und der Ausbau der vorrangig einspeisenden Erneuerbaren wird mit ungeahnter Geschwindigkeit voran getrieben. Das wirkt sich erheblich auf den Erzeugungsmix in Deutschland aus: Die Grundlast sinkt und die Residuallast wird immer volatiler. Deutschland braucht zwar trotzdem noch konventionelle Kraftwerke, denn die geringen Vollbenutzungsstunden von Wind- und PV-Anlagen sowie fehlende Stromspeicher lassen den Bedarf an Konventionellen nur geringfügig sinken Aber das sind andere als bisher: nämlich effizientere und vor allem flexiblere Kraftwerke.

Was dafür fehlt, ist das Geld. Mit Gaskraftwerken lassen sich bereits heute kaum noch Deckungsbeiträge erwirtschaften. Alte Kraftwerke werden reihenweise stillgelegt und neue Kraftwerksprojekte abgesagt (wie beispielsweise bei Statkraft in Emden oder Repower in Brunsbüttel). Bei sich weiter verringernden Vollbenutzungsstunden von konventionellen Kraftwerken kann über den Stromverkauf allein der Betrieb nicht mehr sicher gestellt werden.

Kapazitätsmechanismen als Lösung?

Die Politik hat das Problem des partiellen Marktversagens mittlerweile erkannt. Vor einigen  Tagen, am 2. Mai 2012, gab es hierzu ein Spitzengespräch im Kanzleramt und dabei ließ (so einige  Teilnehmer) die Regierung erkennen, dass sie das Thema zügig voran bringen wolle. Bereits am 20. April 2012 anlässlich des 2. Kraftwerksforums veröffentlichte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) ein Gutachten des EWI Köln zur Frage der Notwendigkeit von Kapazitätsmechanismen. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der bestehende „Energy-only Markt“ auf Dauer kaum geeignet ist, ein ausreichendes Niveau von Back-up-Kapazitäten zu gewährleisten. Daher werden zwei Arten von Kapazitätsmechanismen untersucht: Strategische Reserve und Versorgungssicherheitsverträge. Von der Einführung einer strategischen Reserve wird abgeraten. Diese führe zu Ineffizienzen im Dispatch und zu einer Reduzierung von Investitionsanreizen.

Das Modell der Versorgungssicherheitsverträge sei hingegen kompatibel mit dem deutschen und europäischen Strommarktdesign.

Dieses Modell besteht im Wesentlichen aus folgenden Eckpunkten:

  • Es wird ein neuer Markt geschaffen, auf dem Versorgungssicherheitsverträge mit den Stromerzeugern abgeschlossen werden.
  • Eine zentrale Instanz (im Gutachten Koordinator des Versorgungssicherheitsmarktes, KVM, genannt) schätzt die maximale Stromnachfrage im jeweiligen Zeitpunkt und schließt auf dieser Basis Versorgungssicherheitsverträge im Rahmen eines Auktionsverfahrens ab.
  • An der Kapazitätsauktion müssen Bestandsanlagen und geplante Projekte teilnehmen.
  • Die Kapazitätszahlung, zu der die nachgefragte Zielmenge geboten wird, wird an neue Kraftwerksprojekte über einen längeren Zeitraum (z. B. 15 Jahre) ausgezahlt.
  • Jeder Stromerzeuger, der sich über die Auktion zur Bereitstellung von Kapazität verpflichtet hat, schließt mit dem KVM einen entsprechenden Vertrag ab (Kapazitätsverpflichtung).
  • Die Kosten für die Kapazitätszahlungen werden analog zu Netzentgelten oder auf Basis der Laststruktur der Endkunden auf diese umgelegt.

Es bleibt also weiter spannend bei der Frage „Staat oder Markt“: Auch auf der 1. Kraftwerkskonferenz des IK Stromerzeugung am 19./20. Juni 2012 in Berlin wird das Thema mit hochkarätigen Referenten diskutiert. PD Dr. Christian Growitsch, (ehem.) Leiter des EWI, und Felix Matthes vom Öko-Institut werden über die aktuellen Fragen zum Marktdesign berichten und diskutieren. Auch andere wichtige Themen des Kraftwerks- und Stromerzeugungsmarktes 2012 wie die Rolle der Bundesnetzagentur (BNetzA) auf dem Erzeugungsmarkt, die aktuellen Pläne des BMWi oder die Integration der Erneuerbaren werden erörtert. Die BNetzA wird genauso vertreten sein wie das BMWi.

Ansprechpartner: Dr. Olaf Däuper

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