Uferlose Haftung für Netzbetreiber?

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Müssen Stromnetzbetreiber jetzt für alle erdenklichen Schäden bei Anschlussnutzern aufkommen? Schraubt das die Energiepreise hoch, weil immense Versicherungskosten jetzt auf alle Endkunden umgelegt werden müssen?

Solche Fragen stellt man sich, wenn man die Pressemitteilung zu dem am 25.2.2014 verkündeten Urteil (Az. VI ZR 144/13) des Bundesgerichtshofs (BGH) liest. Darin hat der BGH erstmalig entschieden, dass Stromnetzbetreiber nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) haften können. Dieses Gesetz soll privaten Endkunden ermöglichen, Schäden vom Produkthersteller ersetzt zu bekommen, die ihnen durch ein fehlerhaftes Produkt an Körper, Gesundheit oder an privaten Sachen entstehen. Dieser Grundgedanke passt auf Netzbetreiber schon deshalb nicht, weil diese von anderen erzeugte Energie transportieren. Hinzu kommt, dass die Haftung von Netzbetreibern grundsätzlich nach § 18 NAV begrenzt ist, um Energie nicht übermäßig zu verteuern.

In dem entschiedenen Fall ging es um Schäden in Höhe von 2.800 Euro an Haushaltsgeräten durch eine Überspannung, für die dem Stromnetzbetreiber nachweislich keinerlei Verschulden vorgeworfen werden konnte. Der Endkunde machte deshalb Ansprüche aufgrund einer verschuldensunabhängigen Haftung nach dem ProdHaftG geltend.

Strom ist ein Produkt nach § 2 ProdHaftG. Dass dieser bei einer Überspannung als fehlerhaft eingestuft wurde, war zu erwarten. Erstaunlich, aber noch nachvollziehbar ist, den Netzbetreiber als „Hersteller“ von Strom nach § 4 ProdHaftG zu begreifen. Der BGH begründet dies damit, dass der Netzbetreiber den Strom von Hoch- oder Mittelspannung auf Niederspannung transformiert und damit an der „Herstellung“ des Produktes Strom beteiligt ist. Kernfrage bei der mündlichen Verhandlung vor dem BGH war, ob der Netzbetreiber nur wegen dieses Herstellungsbeitrages verschuldensunabhängig haftet, auch wenn er bei der Umspannung alles richtig gemacht hat und der Strom nach der Umspannung nur noch transportiert wird. Ein Hersteller haftet nämlich nicht, wenn das Produkt in dem Moment noch fehlerfrei ist, in dem er es in den Verkehr bringt bzw. seinem Spediteur übergibt. Der BGH hat jedoch zugunsten der Verbraucher entschieden, dass der Netzbetreiber den Strom nicht schon nach der Umspannung, sondern erst bei der Übergabe an den Anschlussnutzer am Hausanschluss in den Verkehr bringt. Zu diesem Zeitpunkt war der Strom (unverschuldet) fehlerhaft.

Welche Grenzen der Haftung bestehen dann überhaupt noch?

Kommt es zu einem Stromausfall (Blackout), wird gar kein Strom geliefert. Für diesen Fall gilt das ProdHaftG nicht, weil es nur fehlerhaft gelieferten Strom erfasst.

Das ProdHaftG regelt nur eine Ersatzpflicht für Sachen, die im privaten Gebrauch verwendet werden, gilt also nicht für Schäden an gewerblichen Maschinen bei Stromschwankungen.

Überdies trägt der private Anschlussnutzer beim ProdHaftG die Beweislast dafür, dass überhaupt ein Fehler vorlag, dass die von ihm geltend gemachte Schadenshöhe wirklich berechtigt ist und dass der konkrete Schaden wirklich durch den fehlerhaften Strom verursacht wurde (§ 1 Abs. 4 ProdHaftG). Auf Zuruf muss also ein Netzbetreiber nicht jedem Anschlussnutzer nun jeglichen Schaden ersetzen. Außerdem hat der Endkunde nach § 11 ProdHaftG bei Sachschäden immer eine Selbstbeteiligung von 500,00 Euro zu tragen.

Das Landgericht (LG) Wuppertal (Urteil vom 5.3.2013, Az. 16 S 15/12) hatte in der Vorentscheidung zudem erwähnt, dass die Haftung für Netzbetreiber schon deshalb nicht uferlos werden könne, weil sie nach § 18 Abs. 2 NAV auf 5.000,00 Euro pro Anschlussnutzer begrenzt sei. Ob sich der BGH zur Anwendbarkeit dieser Obergrenze äußern wird, ist ungewiss, weil in diesem Fall die Schadenshöhe geringer war. Jedenfalls ist durchaus zweifelhaft, ob die NAV als Rechtsverordnung ein noch dazu auf einer europäischen Richtlinie beruhendes Bundesgesetz und eine dort geregelte verschuldensunabhängige Haftung der Höhe nach begrenzen könnte.

Wie geht es weiter?

Zunächst sind die Entscheidungsgründe abzuwarten. Die Diskussionen mit privaten Endkunden und Versicherern werden aber zunehmen. Letztlich könnte das Urteil ein Pyrrhus-Sieg für die Verbraucher werden, wenn die gestiegenen Versicherungsprämien auf die Preise umgelegt und damit für steigende Netzentgelte und am Ende für steigende Strompreise sorgt. Der Gesetzgeber sollte diese BGH-Entscheidung zum Anlass nehmen, das Grundprinzip der Haftungsbegrenzung aus § 18 NAV wirksam und eindeutig auch in Bezug auf eine verschuldensunabhängige Haftung nach dem ProdHaftG zu regeln, weil andernfalls die Haftungsbegrenzung nach § 18 NAV und auch der Haftungsausschluss im Haftpflichtgesetz (HaftPflG) weitgehend leerlaufen könnten.

Ansprechpartner: Dr. Jost Eder/Jan-Hendrik vom Wege/Klaus-Peter Schönrock

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