Unbundling ohne „Kuschelkurs“: Sogar die Anordnung einer vollständigen eigentumsrechtlichen Entflechtung kann rechtens sein

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EU-Mitgliedsstaaten dürfen verbieten, dass Verteilernetzbetreiber und Vertriebsgesellschaft zum gleichen Konzern gehören. Belange des Verbraucherschutzes und des unverfälschten Wettbewerbs können einen solchen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigen. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) unlängst im Fall der Niederlande entschieden. Das echte „Ownership-Unbundling“ ist damit vom EuGH als rechtlich möglich bestätigt worden!

Zur Erinnerung: Die Pflicht zum rechtlichen Unbundling stammt aus der europäischen Strom– bzw. Gasbinnenmarktrichtlinie (StromRL/GasRL) und ist in Deutschland unter dem Begriff „rechtliche Entflechtung“ in § 7 EnWG normiert. Danach müssen Verteilnetzbetreiber, die Teil eines vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens (EVU) sind, an deren Verteilernetz wenigstens 100.000 Kunden angeschlossen sind (sog. De-Minimis-Grenze), so organisiert sein, dass sie eine eigene, von den Gesellschaften der Wettbewerbsbereiche (Vertrieb, Erzeugung) verschiedene Rechtspersönlichkeit besitzen.

In den Niederlanden ist die Rechtslage im Vergleich noch strenger: Dort gilt nicht nur ein umfassendes Privatisierungsverbot, das Privaten untersagt, Anteile an Verteilernetzbetreibern zu erwerben oder zu halten. Zugleich ist es dort unzulässig, Verteilernetzbetreiber und Vertriebsgesellschaften im gleichen Konzern anzusiedeln (sog. Konzernverbot). Schließlich haben sich Verteilernetzbetreiber in den Niederlanden „sachfremden Tätigkeiten“ zu enthalten; die unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an Tätigkeiten, die keinen Bezug zum Netzbetrieb aufweisen, ist ihnen untersagt.

Hiergegen wehrten sich Essent, Eneco und Delta, drei in den Niederlanden ansässige vertikal integrierte EVU. Sie rügten insbesondere, die genannten Verbote verstießen gegen die in Art. 63 AEUV normierte Kapitalverkehrsfreiheit. Die Niederlande führten hiergegen Art. 345 AEUV ins Feld, wonach die Eigentumsordnung in den Mitgliedsstaaten von den europäischen Vertragswerken unberührt ist. Aufgrund dieser europarechtlichen Berührungspunkte legte der als letztinstanzliches niederländisches Gericht mit der Sache befasste Hoge Raad der Nederlanden die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

Der EuGH hat nun entschieden, dass die Mitgliedsstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Eigentumsordnung trotz des Art. 345 AEUV zwar die Grundprinzipien der Verträge der Europäischen Union beachten müssen – insbesondere die Grundfreiheiten, zu denen auch die Kapitalverkehrsfreiheit zählt. Einschränkungen sind aber aus zwingenden Gründen des Gemeininteresses möglich. Die niederländischen Verbote dienen nach dem Verständnis des EuGH insbesondere dem Schutz eines unverfälschten Wettbewerbs im Energiebereich und somit dem Verbraucherschutz. Weiterhin sollen sie Quersubventionen verhindern und die Sicherheit der Energieversorgung fördern. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die niederländischen Regelungen das von der StromRL bzw. GasRL geforderte Schutzniveau übertreffen. Denn die europäische Richtlinie gibt nur einen Mindeststandard vor, den die Mitgliedstaaten – im Rahmen des Angemessenen – auch überschreiten können. Da der EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nur eine (für die nationalstaatlichen Gerichte indes verbindliche) Auslegung europäischer Vorschriften vorgeben kann, muss nun der Hoge Raad entscheiden, ob der mit den angegriffenen Verboten verfolgte Zweck die damit verbundenen Eingriffe rechtfertigt. In dieser Hinsicht hat der EuGH dem niederländischen Gericht keine Marschroute vorgegeben.

Eigentumsrechtliche Entflechtung auch in Deutschland?

Unabhängig vom Ausgang des konkreten Rechtsstreits dürfte das niederländische Beispiel in Deutschland keine Schule machen. Deutschland verfügt gegenüber den Niederlanden über eine weit höhere Anzahl an Verteilernetzbetreibern (häufig bereits in kommunaler Hand) und eine erheblich größere geografische Ausdehnung. In Deutschland gelten entsprechende Vorgaben aus gutem Grund daher bisher nur für Transportnetzbetreiber. Dennoch sollten auch Verteilernetzbetreiber die für sie bestehenden Vorgaben zur Entflechtung ernst nehmen und bei der Aufstellung ihres Geschäftsbetriebs darauf achten, sich konform zu den gesetzlichen und regulierungsbehördlichen Vorgaben zu verhalten. Verschärfungen durch die Nationalstaaten sind jedenfalls möglich, wie das aktuelle Beispiel zeigt.

Markenentflechtung und Aufsichtsverfahren

Dass die Beachtung der entflechtungsrechtlichen Vorgaben für Verteilernetzbetreiber nach wie vor große Bedeutung hat, zeigen nicht zuletzt die von der Bundesnetzagentur (BNetzA) im vergangenen Jahr eingeleiteten Aufsichtsverfahren wegen (angeblicher) Verstöße gegen die Vorgabe des § 7a Abs. 6 EnWG. Diese Vorschrift richtet sich an Verteilernetzbetreiber und verpflichtet diese, durch ihr Kommunikationsverhalten und ihre Markenpolitik eine Verwechslung mit assoziierten Vertriebsunternehmen auszuschließen. Ein deutliches Medienecho hatte schon das Aufsichtsverfahren gegen die Stromnetz Hamburg GmbH (vormals: Vattenfall Stromnetz Hamburg GmbH) u.a. wegen Zeitungsannoncen, die denen der Vertriebsgesellschaft allzu ähnlich waren. In einer weiteren, jüngst flächendeckend eingeleiteten Serie von Aufsichtsverfahren gegen Verteilernetzbetreiber in ganz Deutschland bemängelt die Regulierungsbehörde insbesondere angeblich verwechslungsträchtige Unternehmensbezeichnungen (etwa „Stadtwerke GmbH“ bzw. „Stadtwerke Netz GmbH“) sowie Logos von Netz- und Vertriebsgesellschaft. Auch wenn die BNetzA die betroffenen Verteilernetzbetreiber bislang lediglich zur Stellungnahme aufgefordert hat, ist dies nur der erste Schritt im regulierungsbehördlichen Aufsichtsverfahren. Die Adressaten eines Aufsichtsverfahrens sollten schnell handeln (und gegebenenfalls eine Umfirmierung in Betracht ziehen), um Aufsichtsmaßnahmen und Bußgelder zu vermeiden.

Ansprechpartner: Dr. Christian de Wyl/Jan-Hendrik vom Wege/Dr. Jost Eder

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