Verfassungsklagen gegen Versteigerungskürzung: Schützenhilfe aus Luxemburg

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Sind auch Sie in Gedanken schon ganz weit in der Zukunft? Die 4. Emissionshandelsperiode ist schon am Horizont erschienen und beschäftigt unsere Fantasie mit Fragen nach den künftigen Zuteilungsregeln (wir berichteten) – erinnert sich da noch jemand an die vor drei Jahren ausgelaufene 2. Handelsperiode (2008-2012)? Doch jetzt ruft sich diese Periode mit Nachdruck in Erinnerung. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in Sachen Versteigerungskürzung entschieden – und das sind gute Nachrichten.

Was bisher geschah

Sie erinnern sich: Für die 2. Handelsperiode sah Art. 10 EmissH-RL (Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG) vor, dass die Mitgliedstaaten mindestens 90 Prozent der ausgegebenen Emissionsberechtigungen kostenlos zuteilen. Der deutsche Gesetzgeber kürzte aber in §§ 19, 20 ZuG 2012 die Zuteilung für die Stromerzeugung um rund 15,6 Prozent.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 10.10.2012, Az. 7 C 10.10) war dies in Ordnung. Die 10-Prozent-Klausel aus Art. 10 EmissH-RL sei auf das Gesamtbudget bezogen, so die Begründung. Wir – wie viele auf der Betreiberseite – hatten dagegen argumentiert, dass die Versteigerungsverkürzung gegen die Grundrechte und die Finanzverfassung verstoße und auch nicht europarechtskonform sei.

Das Urteil des EuGH vom 26.2.2015

Der EuGH hat sich nun in einem anderen Verfahren (Urt. v. 26.2.2015, Az. C-43/14) auf die Seite der Anlagenbetreiber geschlagen. Das Oberste Verwaltungsgericht der Tschechischen Republik hatte ihm die Frage vorgelegt, ob ein tschechisches Steuergesetz, das die kostenlose Zuteilung für die Stromerzeugung mit einem Schenkungssteuersatz in Höhe von 32 Prozent belastete, mit der 10-Prozent-Vorgabe vereinbar ist. Mit den vereinnahmten Steuern sollten tschechische Solarenergieanlagenbetreiber  unterstützt werden.

Dies hat der EuGH nun verneint. Der Gerichtshof erklärt, Art. 10 EmissH-RL stehe auch der Erhebung einer Steuer auf die Zuteilung entgegen, die dann aus wirtschaftlicher Sicht ja gerade nicht mehr kostenlos sei. Darüber kommt der EuGH zu der – auch im Hinblick auf die Versteigerungskürzung nach §§ 19, 20 ZuG 2012 bedeutsamen – Einschätzung, dass sich auch das einzelne emissionshandelspflichtige Unternehmen auf die 10-Prozent-Deckelung berufen kann. Konkret sei aus Art. 10 EmissH-RL abzuleiten,

„dass die Beschränkung der Zahl von Zertifikaten, die entgeltlich zugeteilt werden können, auf 10 % aus dem Blickwinkel der Wirtschaftsteilnehmer jedes der betroffenen Sektoren beurteilt wird und nicht im Verhältnis zur Gesamtzahl der von dem Mitgliedstaat ausgegebenen Zertifikate, unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes.“ 

Es genügt also nicht, dass insgesamt weniger als 10 Prozent  der von der Tschechischen Republik zugeteilten Emissionsberechtigungen mit der Steuer belastet wurden.

Die Steuer sei auch nicht als verstärkte Schutzmaßnahme im Sinne von Art. 193 AEUV gerechtfertigt, der den Mitgliedstaaten im Umweltbereich grundsätzlich über die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts hinausgehende Maßnahmen erlaubt. Mit den Einnahmen aus der Steuer Betreiber von Solarenergieanlagen zu unterstützen, gehöre nicht zu den Zielen der EmissH-RL.

Schlussfolgerungen für §§ 19, 20 ZuG 2012

Das Urteil des EuGH wirft auch ein neues Licht auf die deutsche Versteigerungskürzung gem. §§ 19, 20 ZuG 2012. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist auch eine Kürzung der Zuteilung für die Stromerzeugung um rund 15,6 Prozent nicht mit Art. 10 EmissH-RL vereinbar.

Wegen des Vorrangs des europäischen Unionsrechts muss das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das über Verfassungsbeschwerden gegen die Versteigerungskürzung zu entscheiden hat, die Entscheidung des EuGH berücksichtigen. Denn die Verfassungsbeschwerden können auch darauf gestützt werden, dass die Versteigerungskürzung ganz oder teilweise unionsrechtswidrig ist. Dass sich die Mehrbelastung rechtfertigen lässt, dürfte nach der Entscheidung des EuGH eher unwahrscheinlich sein. Denn wenn schon die – ja immerhin dem Klimaschutz dienende – Förderung der Solarenergie als Rechtfertigung nicht ausreicht, dürfte das Gleiche für die Versteigerungserlöse in Deutschland gelten, von denen ein Teil ja sogar schlicht in den allgemeinen Haushalt geflossen ist.

Die EuGH-Entscheidung unterstützt auch diejenigen Verfassungsbeschwerdeführer, bei denen nur die Zuteilung für die Stromerzeugung um mehr als 10 Prozent gekürzt wurde, ohne dass bei der Zuteilung insgesamt die Versteigerungskürzung 10 Prozent überstieg. Denn verstoßen §§ 19, 20 ZuG 2012 in der angewandten Form gegen höherrangiges Recht, sind sie insgesamt unanwendbar, ohne dass das BVerfG eine so genannte geltungserhaltenden Reduktion vornehmen müsste, wonach die Versteigerungskürzung zulässig bliebe, soweit sie  im Einzelfall mit Art. 10 EmissH-RL gerade noch vereinbar ist.

Das Urteil der EuGH enthält übrigens auch gute Neuigkeiten zur leidigen Banking-Frage. Wenn das BVerfG die Auffassung vertreten sollte, dass die am 30.4.2013 noch offenen Zuteilungsansprüche aus der 2. Handelsperiode mit diesem Datum erloschen sind, können sich die Kläger zumindest darauf berufen, dass ihre Klage bis zu diesem Zeitpunkt begründet war. Wird dann in diesen Verfahren die Erledigung erklärt, können die Kläger zumindest beantragen, der Bundesrepublik Deutschland die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Cars­ten Telschow

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