Verstößt der Atomausstieg gegen internationale Investitionsschutzabkommen?

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Verletzt der deutsche Atomausstieg das Völkerrecht? Das behauptet der schwedische Energiekonzern Vattenfall: Der Energy Charter Treaty (ECT), auf Deutsch der Vertrag über die Energiecharta, ist ein internationales Abkommen, das unmittelbar geltende Schutzrechte für ausländische Unternehmen vor staatlichen Eingriffen vorsieht. Die Bundesrepublik Deutschland hat das Abkommen ratifiziert und muss sich an dessen Vorgaben halten. Der Vertrag verpflichtet die Mitgliedsstaaten dazu, das Eigentum dieser Unternehmen zu respektieren (Artikel 13 ECT) und ihnen faire und gerechte Behandlung zu gewähren (Artikel 10 Absatz 1 ECT).

Laut Aussagen der Bundesregierung bereitet Vattenfall eine Klage gegen Deutschland vor einem Schiedsgericht auf Grundlage der ICSID-Konvention (International Centre for Settlement of Investment Disputes) vor. Aktuell ist das Unternehmen nur noch mit einer Beteiligung von 20 Prozent an dem Kernkraftwerk Brokdorf beteiligt. Die ehemals von Vattenfall betriebenen Anlagen Krümmel und Brunsbüttel sind seit dem Inkrafttreten der 13. Atomgesetz-Novelle am 6. August 2011 außer Betrieb.

Atomausstieg als Enteignung?

Die Frage, ob der Atomausstieg eine entschädigungspflichtige Enteignung der Anlagenbetreiber ist, stellt sich auch im nationalen Verfassungsrecht (E.ON hat Mitte November 2011 Verfassungsbeschwerde eingereicht, während RWE dies bislang nur angekündigt hat). Entscheidend ist dabei, ob das Atomgesetz (AtG) das Eigentum der Energiekonzerne an ihren Kernkraftwerken in einer Weise konkretisiert bzw. einschränkt, die entschädigt werden muss.

Der Maßstab im internationalen Investitionsschutzrecht ist jedoch ein anderer: Im Grundsatz gilt klassisches Völkerrecht, wonach jeder Staat berechtigt ist, zu enteignen, dies aber

  • (i) im öffentlichen Interesse liegen muss,
  • (ii) nicht diskriminierend sein darf und
  • (iii) nach rechtsstaatlichen Grundsätzen erfolgen muss.

Wenn es sich nach diesen Kriterien um eine Enteignung handelt, dann muss der Staat sie nach der sog. Hull-Formel mit einer umgehenden, wertentsprechenden und tatsächlich verwertbaren Entschädigung verknüpfen. Maßgeblich ist also allein, ob eine Enteignung vorliegt – ist sie gegeben, besteht auch eine Entschädigungspflicht des Staates.

Zu einer Enteignung gehört aber, dass subjektive Rechtspositionen entzogen werden, und das ist beim Atomausstieg nicht der Fall. Die 13. Atomgesetznovelle stellt lediglich eine Modifizierung der durch das Kernenergie-Beendigungsgesetz eingeführten Reststrommengen dar. Die Reststrommengen sind aber als Beschränkung der Berechtigung der Anlagenbetreiber keine selbstständig wehrfähigen Eigentumsrechte. Der Atomausstieg ist folglich eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums und keine Enteignung, auch nicht im völkerrechtlichen Sinne.

Ist der Atomausstieg „fair und gerecht“?

Nach Artikel 10 Absatz 1 ECT muss den Investitionen Vattenfalls auf deutschem Gebiet zudem eine „faire und gerechte Behandlung“ gewährt werden. Dieser so genannte „f&et-standard“ (fair and equitable treatment) ist aus vielen Investitionsschutzabkommen bekannt, aber welche Konturen sein Schutzbereich genau hat, ist auch nach der bisherigen Spruchpraxis von ICSID-Schiedsgerichten nicht wirklich klar. Anerkannt ist jedoch, dass Erwartungen des Investors, mit deren Erfüllung er aufgrund des Verhaltens des Gaststaates rechnen darf („legitimate expectations“), nicht willkürlich enttäuscht werden dürfen (z.B. Saluka Investments BV vs. Tschechien). Dieses Konzept beruht auf dem verwaltungsrechtlichen Prinzip des Vertrauensschutzes: Wenn der Staat sein Verhalten ändern will, muss er das Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand seiner Maßnahme berücksichtigen. Vattenfall behauptet, nach dem Beschluss des Bundestags zur Laufzeitverlängerung habe man – in Erwartung erheblich längerer Laufzeiten – Beträge in dreistelliger Millionenhöhe für die Modernisierung der Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel investiert. Diese Erwartung sei durch den alsbaldigen Ausstieg enttäuscht worden und die getätigten Investitionen (sowie ggf. sogar Gewinnerwartungen) könnten als Schadensposition geltend gemacht werden.

Auch hier gelten im internationalen Investitionsschutzrecht andere Maßstäbe als im nationalen Recht. Dass politische Entscheidungen und formelle Gesetze grundsätzlich legitime Erwartungen eines Investors entstehen lassen können, haben zwar mehrere Schiedsgerichte anerkannt (z.B. CMS vs. Argentinien). Ein Vertrauensschutz kann jedoch dann nicht entstehen, wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes selbst Gegenstand anhängiger verfassungsgerichtlicher Verfahren ist. Da sowohl die oppositionellen Bundestagsfraktionen als auch mehrere Bundesländer nur wenige Wochen nach Inkrafttreten der 11. Atomgesetznovelle Normkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingeleitet haben, dürften legitime Erwartungen hier gar nicht erst entstanden sein.

Darüber hinaus ist nicht jedes Mal, wenn legitime Erwartungen enttäuscht werden, von der Verletzung des „f&et-standards“ auszugehen. Vielmehr muss zwischen den Erwartungen des Investors und den hoheitlichen Gestaltungsrechten eines souveränen Staates abgewogen werden. In der aktuellen ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit und der entsprechenden rechtswissenschaftlichen Literatur ist dabei eine Tendenz ersichtlich, solche staatlichen Maßnahmen, die unter Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Prozesse zustande gekommene sind, nicht als Verletzung des „f&et-standards“ zu bewerten (z.B. EDF vs. Rumänien).

Fazit: Die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aus dem ECT wegen des Atomausstiegs 2011 erscheint wenig erfolgsversprechend.

Ansprechpartner: Dr. Olaf Däuper

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