Wann zahlt der Netzbetreiber für „fehlerhafte Elektrizität“? BGH führt zum ProdHaftG aus.

(c) BBH
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Netzbetreiber können für Schäden, die durch Überspannung entstehen, nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) haften. Das wissen wir im Prinzip schon seit dem 25.2.2014, als der Bundesgerichtshof (BGH) sein Urteil (v. 28.8.2013, Az. XI R 4/11) dazu verkündet hat (wir berichteten). Jetzt liegen auch die Entscheidungsgründe vor.

Zur Erinnerung: Entsteht durch den Fehler eines Produktes ein Schaden, muss der Hersteller des Produktes diesen nach dem ProdHaftG ersetzen. Als Produkt im Sinne des ProdHaftG gilt auch Elektrizität. Die Haftung nach dem ProdHaftG ist dabei eine sog. Gefährdungshaftung. Der Hersteller haftet für „fehlerhafte Elektrizität“ unabhängig von einem Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit). Allerdings muss Schadensersatz hiernach nur für beschädigte Sachen geleistet werden, die für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt sind – also besteht im Regelfall keine Haftung gegenüber Gewerbe- und Industriekunden.

Worum ging es beim BGH-Verfahren?

In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte ein privater Letztverbraucher gegen einen Verteilernetzbetreiber (VNB) geklagt. Nach einem Stromausfall trat in dem Haus des Klägers eine Überspannung auf, durch die mehrere Elektrogeräte und die Heizung beschädigt wurden. Dafür verlangte der Kläger von dem VNB Schadensersatz in Höhe von 2.847,37 Euro. Die Ursache der Überspannung lag in der Unterbrechung von zwei PEN-Leitern, die vom VNB weder vorsätzlich noch fahrlässig verursacht wurde.

Der BGH sieht hier eine Haftung des VNB für „fehlerhafte Elektrizität“. Gemäß § 16 Abs. 3 NAV hat der Netzbetreiber Spannung und Frequenz möglichst gleichbleibend zu halten; allgemein übliche Verbrauchsgeräte und Stromerzeugungsanlagen müssen einwandfrei betrieben werden können. Wenn eine Überspannung übliche Verbrauchsgegenstände beschädigt, entspricht das nach dem BGH diesen Sicherheitserwartungen: Mit solchen Spannungsschwankungen müsse man nicht rechnen. Durch die Transformation der Elektrizität auf eine andere Spannungsebene wird der Netzbetreiber Hersteller des Produktes Elektrizität und ist dann dafür verantwortlich.

Der BGH hebt ausdrücklich hervor, dass für die verschuldensabhängige Haftung nach dem ProdHaftG allein ein Fehler des Produkts ausreicht. Der Umstand, dass die redundante Auslegung des Niederspannungsnetzes dem Stand der Technik bzw. geübter Praxis entspricht und die Anforderungen an eine ausreichende Versorgungsqualität erfüllt, steht der Haftung nach dem ProdHaftG nicht entgegen.

Was bedeutet das Urteil?

Der BGH weitet mit seinem Urteil die Haftung des VNB bei Schäden durch Überspannung erheblich aus, da die Haftung nach dem ProdHaftG unabhängig von einem Verschulden besteht.

Zu beachten ist allerdings, dass das Urteil nur durch Überspannung verursachte Schäden (und im Regelfall lediglich Privatkunden) betrifft. Sollte es zu Schäden (nur) durch eine Unterbrechung der Stromversorgung kommen, greift das ProdHaftG voraussichtlich nicht, da bei einem Stromausfall gerade kein Fehler des Produktes Elektrizität vorliegt. Auch die Frage, wie Fälle zu beurteilen sind, in denen Unregelmäßigkeiten bei der Spannung auf besondere Umstände, wie etwa Naturgewalten zurückzuführen sind, hat der BGH ausdrücklich offen gelassen. Das betrifft z. B. Blitzeinschläge, die zu einer Überspannung führen. Ob der VNB in diesem Fall noch als Hersteller des fehlerhaften Produktes Elektrizität angesehen werden kann, erscheint dabei zweifelhaft.

Läuft die Haftungsbeschränkung nach § 18 NAV leer?

Ob die Haftungsbeschränkung des § 18 Abs. 2 NAV bei Schadensersatzansprüchen nach dem ProdHaftG greift, war nicht ausdrücklich Gegenstand des Urteils, da die relevante Grenze von 5.000,00 Euro nicht erreicht war. Das Landgericht Wuppertal hat die Haftungsbeschränkung grundsätzlich für anwendbar gehalten. Der BGH hat in seinem Urteil allerdings auf die Begründung der NAV hingewiesen, nach der § 18 NAV die Haftung der Netzbetreiber nach dem ProdHaftG „unberührt“ lässt. Dieser Hinweis lässt sich so verstehen, dass sich auch § 18 Abs. 2 NAV nicht auf eine Haftung nach dem ProdHaftG auswirken kann, so dass der VNB bei einer Haftung nach dem ProdHaftG der Höhe nach weitgehend unbeschränkt haften würde. Das Urteil lässt erwarten, dass private Letztverbraucher – entgegen bisheriger Praxis – zukünftig Schadensersatzansprüche gegenüber Netzbetreibern bei Überspannungsschäden (auch) auf das ProdHaftG stützen werden.

Der Anschlussnutzer meldet einen Schaden – was nun?

Es ist für den einzelnen Schadensfall zu prüfen, ob ein Fehler des Produktes Elektrizität vorliegt, was in Fällen der (reinen) Unterbrechung der Stromversorgung voraussichtlich nicht der Fall wäre. Der Geschädigte hat zudem nach § 11 ProdHaftG im Falle einer Sachbeschädigung einen Schaden bis zu einer Höhe von 500,00 Euro selbst zu tragen. Sollte der Schaden 5.000,00 Euro übersteigen, könnte – wie gesagt mit ungewissen Erfolgsaussichten – unter Verweis auf das Urteil des Landgerichts Wuppertal eine Beschränkung der Haftung nach § 18 Abs. 2 NAV denkbar werden.

Netzbetreiber sollten jedenfalls den Deckungsumfang der Haftpflichtversicherung ihres Hauses kritisch prüfen. Die meisten Haftpflichtpolicen decken zwar die verschuldensunabhängige Haftung nach dem ProdHaftG ab. Allerdings ist die Deckung oftmals auf eine bestimmte Anzahl von Anwendungsfällen und/oder der Höhe nach begrenzt. Dies führt dazu, dass Massenschäden in diesem Bereich möglicherweise unterversichert sind.

Ansprechpartner: Dr. Christian de Wyl/Dr. Jost Eder/Jan-Hendrik vom Wege/Klaus Peter Schönrock

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