Was die MiFID wirklich bringt: Konsequenzen für den Energiehandel

W
Download PDF

Seit Anfang September 2011 machen Berichte über die kommende, runderneuerte MiFID (Markets in Financial Instrument Directive – Finanzmarktrichtlinie) die Runde. Das Handelsblatt berichtete, andere zogen nach. Es wurde die Finanzkrise erwähnt, die G20-Beschlüsse, die Gefährdungen durch und für die Finanzmärkte. Der Energiehandel aber wurde nicht genannt. Er mag im Kontext von Finanz- und Schuldenkrise als bloße Fußnote erscheinen. In einem Lehrbuch über die Finanzmarktregulierung würde er vielleicht ein eigenes Kapitel bekommen. Aber die jetztige MiFID-Novelle wird erweisen, wie dick das Kapitel künftig wird.

Was als eine Überprüfung der MiFID wegen einzelner befristeter Sonderregelungen begann, ist in eine handfeste Novelle gemündet. Die MiFID wird daher nicht nur geändert, sondern komplett neu gefasst. Außerdem bekommt sie eine Schwester: die MiFIR, also die Markets in Financial Instruments Regulation, die Finanzmarktverordnung. Damit werden ein Teil der Regeln der bisherigen MiFID (insbesondere solche, die sich mit Transparenz beschäftigen) unionsweit gleich verbindlich gemacht. Denn Verordnungen sind im Gegensatz zu Richtlinien unmittelbar und ohne Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber anzuwenden.

Alles dreht sich um Finanzinstrumente

Die Finanzmarktaufsicht dreht sich um Finanzinstrumente. Wer mit ihnen umgeht, der ist sowohl gefährdet als auch gefährlich, daher rückt er in den Fokus der Aufsicht. Die Schlüsselfrage ist daher also zunächst: Was ist eigentlich ein Finanzinstrument? Da die MiFID das nicht abstrakt beantworten kann, behilft sie sich mit einer Auflistung in einem Anhang, genau in Annex I Section C.

Neben Aktien, Schuldverschreibungen oder Commodity-Futures finden sich dort künftig auch Emissionszertifikate. Zwar spricht Vieles gegen diesen Ansatz, aber dennoch hat sich die Kommission offensichtlich entschieden, den einfachsten Weg zu gehen. Denn indem man aus Emissionszertifikaten Finanzinstrumente macht, kann man einfach alle etablierten Instrumente für Transparenz und Marktaufsicht, wie sie für die Finanzmärkte existieren, „zweitverwerten“. Aber dabei ist es wie meist: Der zweite Anzug sitzt schlechter als der erste. Denn faktisch unterwirft man damit viele Marktteilnehmer nicht nur einer Missbrauchsaufsicht, sondern auch einer Eigenkapitalunterlegungspflicht – und die ist kaum zu stemmen, insbesondere für kleine Händler.

Die zweite Änderung ist versteckter und diffiziler zu greifen. Ein Termingeschäft (zum Beispiel Strom für das nächste Kalenderjahr) ist u. a. dann als Finanzinstrument zu qualifizieren, wenn das Geschäft über eine Börse oder eine sog. multilaterale Handelsplattform (englisch: Multilateral Trading Facility – MTF) läuft. Das ist der Grund, warum ein aufsichtsfreier physischer Strom-Forward zu einem grundsätzlich aufsichtspflichtigen Strom-Future wird, wenn er über die EEX gehandelt wird. Doch neben Börsen und MTFs soll es künftig eine weitere Kategorie von beaufsichtigten Märkten geben: OTFs, also Organized Trading Facilities, organisierte Handelsplätze. Im Ergebnis will die Kommission damit die Brokerplattformen in das MiFID-Regime ziehen. Es bedeutet aber auch, dass künftig alle Termingeschäfte, die über ein OTF gehandelt werden, nicht mehr OTC-Geschäfte sind, sondern zu Finanzinstrumenten werden.

Ein bisschen was geht doch immer …

Schon bislang war es so, dass Unternehmen Dinge tun, die eigentlich Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen darstellen, aber trotzdem keine Erlaubnis dafür einholen mussten. Der Normgeber wusste: Nicht jedes Geschäft ist so wichtig, dass es auch erlaubnispflichtig sein muss. Wenn weder der Finanzmarkt noch die Anleger gefährdet sind, ließ die MiFID die Unternehmen (richtigerweise) über eine Reihe von definierten Ausnahmen „spielen“. Von diesen Ausnahmen profitierten (und profitieren auch künftig) die Energieunternehmen. Dennoch wird es hier Einschnitte geben, der „Spielraum“ wird kleiner werden.

Bislang waren Unternehmen, die als Haupttätigkeit mit Waren und Warenderivaten auf eigene Rechnung handelten („Eigenhandel“), ausgenommen. Diese Ausnahme (Art. 2 Abs. 1 lit. (k) MiFID) soll ersatzlos gestrichen werden.

Die generelle Ausnahme für den Eigenhandel wird eingeschränkt. Gem. Art. 2 Abs.1 lit. (d) MiFIDneu dürfen Unternehmen Eigenhandel betreiben, es sei denn, dass sie

(a) Market Maker,
(b) Mitglied oder Teilnehmer an einer Börse oder MTF sind oder
(c) Eigenhandel durch das Ausführen von Kundenaufträgen betreiben.

Letzteres ist aber der Standard: Ein Unternehmen kauft im Auftrag eines Kunden ein Wertpapier und verkauft es ihm dann mit einem kleinen Aufschlag weiter. Das war in Deutschland schon immer eine Finanzdienstleistung, insofern handelt es sich – je nach Lesart – um eine Klarstellung oder eine Anpassung an die deutsche Interpretation.

Die Ausnahme wird zur Ausnahme

Damit bleibt dann nur noch die sog. Nebentätigkeitsausnahme, die bis heute die allermeisten Aktivitäten von EVUs aus der Aufsicht heraushält. Danach dürfen Unternehmen erlaubnisfrei Eigenhandel betreiben und Finanzdienstleistungen in Bezug auf Commodity-Derivate (und künftig Emissionszertifikate) erbringen, wenn dies eine Nebentätigkeit zu ihrer Haupttätigkeit darstellt (= ancillary activity) und sie nicht zu einem Bankkonzern gehören. Vereinfacht gesagt: Ein EVU, das einen Kunden mit physischer Energie beliefert, darf auch mal einen EEX-Future mit reinmixen. Diese Ausnahme (Art. 2 Abs. 1 lit. (i) MiFID) wird erhalten bleiben, allerdings soll sie eingeschränkt werden.

War bislang der Eigenhandel im Rahmen dieser Ausnahme komplett ausgenommen, soll künftig nur der Eigenhandel befreit sein, der nicht die Ausführung von Kundenorders betrifft. Das könnte zu der erstaunlichen Konsequenz führen, dass ein Unternehmen zwar ein Geschäft mit einem Finanzinstrument als offener oder verdeckter Stellvertreter für einen Kunden abschließen, diesem Kunden das gleiche Finanzinstrument aber nicht im Wege des Eigenhandels erwerben darf. Ist das wirklich der Plan?

Einiges wird die Kommission noch zu klären haben: Im Wege eines delegierten Rechtsaktes soll sie festlegen, wann eine Nebentätigkeit vorliegt. Hier wird schon spekuliert, dass vielleicht Prozentwerte vom Umsatz oder Gewinn als Grenzen bestimmt werden sollen. Schön wäre es, wenn auch die Kommission – wie der deutsche Gesetzgeber – zu dem Ergebnis käme, dass bei einem EVU immer die Erzeugung, der Transport und die Versorgung der Bevölkerung mit Energie die Haupttätigkeit darstellen.

Nur ein Ausschnitt

Andere Punkte in der MiFID/MiFIR können ebenfalls Relevanz für Energieunternehmen bekommen wie z. B. Regeln zur bestmöglichen Ausführung und zu Pre- und Post-Trade-Transparenz. Interessant ist, dass man – im Rahmen der Kundenklassifikation – Kommunen und kommunalen Unternehmen erst mal abspricht, professionelle Kunden zu sein: Hier scheinen sich schlechte Geschäfte der letzten Jahre negativ auf das Gesamtimage ausgewirkt zu haben.

Daneben finden sich andere „Leckerbissen“: So sieht die MiFIR im Zusammenwirken mit der EMIR (der europäischen Marktinfrastrukturverordnung) vor, dass die europäische Bankenaufsicht bei Derivaten bestimmen darf, dass sie eigentlich nicht mehr OTC, sondern nur noch über Börsen, MTFs und OTFs gehandelt werden dürfen. Die Konsequenzen sind – neben der organisierten Wahl des Handelsortes – vielfältig: Die Derivate werden zu Finanzinstrumenten, die Händler zu Finanzdienstleistern (wenn sie keine Ausnahmen nutzen können), Gebühren und Marginzahlungen für das Clearing werden fällig, …, der Handel nennenswert teurer.

Wenn sich der Rauch verzogen hat …

Vieles ist weiterhin unklar: Die MiFID sieht mehr nachfolgende Rechtsakte durch die Kommission vor als je zuvor. Parallel zur MiFID wird auch die Marktmissbrauchsrichtlinie überarbeitet. Die EMIR ist weiterhin nicht verabschiedet, was bedeutet, dass zentrale, vielleicht sogar vitale Entscheidungen auf später verschoben werden. Gleichzeitig wird die Eigenkapitalrichtlinie überarbeitet, die festlegt, wie viel Eigenkapital eine Bank bzw. Finanzdienstleister vorhalten muss. Wenn Energiehändler zu Finanzdienstleistern werden müssten, erwartet sie eine düstere Erkenntnis: So viel Geld kann man kaum verdienen, um eine akzeptable Eigenkapitalrendite zu erwirtschaften.

Der erste Schritt kommt am 19. Oktober 2011. An diesem Tag soll der Entwurf erstmals offiziell vorgestellt werden. Dann werden sich offizielle und inoffizielle Gespräche, Konsultationen und Treffen anschließen. Bis der Rat, das Parlament und die Kommission den Normgebungsprozess durchlaufen haben, vergehen bei solchen Projekten im Regelfall eineinhalb bis zwei Jahre. Danach wird es eine Umsetzungsfrist geben (wahrscheinlich in vergleichbarer Größenordnung). Und spätestens dann wird man erkennen, wie viel es sich noch lohnt, über den Energiehandel zu schreiben …

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

Folgen Sie uns auf Twitter

Kategorien

Archive

BBH Almanach

Materialien für Praktiker im
Energie-, Infrastruktur- und öffentlichem Sektor aus Wirtschaft, Recht und Steuern

Veranstaltungskalender