Weiter Anlagenbegriff des BGH: Urteilsgründe liegen jetzt vor

(c) BBH
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Bereits seit der Verkündung seines Urteils (Az. VIII ZR 262/12) zum – weiten – Anlagenbegriff vom 23.10.2013 war die Marschrichtung klar: Der enge, streng Generator-bezogene Anlagenbegriff etwa der Clearingstelle EEG hatte sich nicht durchgesetzt (wir berichteten). Jetzt hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Urteilsgründe veröffentlicht, und diese zeigen ein differenzierteres Bild.

Schon aus den Leitsätzen wird deutlich: Anlage im Sinne des § 3 Nr. 1 Satz 1 EEG 2009 ist nach dem BGH die Gesamtheit aller funktional zusammengehörenden, technisch und baulich notwendigen Einrichtungen. In unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander errichtete Blockheizkraftwerke (BHKW) bilden in der Regel eine einheitliche Biogasanlage im Sinne des § 3 Nr. 1 Satz 1 EEG 2009, wenn sie an denselben Fermenter angeschlossen und damit technisch-baulich miteinander verbunden sind. Eine „Verklammerung“ mehrerer Anlagen nach § 3 Nr. 1 EEG 2009 komme zudem unter räumlich-zeitlichen Aspekten nach § 19 Abs. 1 EEG 2009 in Betracht. Dem im EEG 2009 neu eingeführten § 19 Abs. 1 komme damit – so der BGH weiter – vor allem eine Auffangfunktion zu: Er greift, wenn Anlagen in räumlicher Nähe und in einem zeitlichen Zusammenhang (12 Monate) modular errichtet werden.

Sind damit aber nun alle Fragen beantwortet? Was bleibt offen, welche neuen Fragen stellen sich?

Zumindest im Kern geklärt ist der Anlagenbegriff bei der Vor-Ort-Verstromung von Biogas: Mehrere BHKW sind – unabhängig davon, wann sie erstmals Strom erzeugten – eine Anlage im Sinne des § 3 Nr. 1 Satz 1 EEG 2009, wenn sie technisch oder baulich für die Stromerzeugung erforderliche Einrichtungen gemeinsam nutzen. Wird eine bestehende Anlage um ein oder mehrere BHKW erweitert und dabei etwa ein gemeinsamer Fermenter genutzt, bilden diese mit der vorhandenen Anlage eine „Gesamtanlage“ im Sinne von § 3 Nr. 1 Satz 1 EEG 2009. Diese eine Anlage hat dann wohl auch einen Inbetriebnahmezeitpunkt, nach dem sich das anwendbare Rechtsregime (etwa EEG 2009/2012) bemisst. Offenbar arbeitet der BGH aber mit einem zweiten – auf den Generator bezogenen – Inbetriebnahmezeitpunkt. Denn für den hinzutretendenden Generator scheint der BGH sowohl eine „neue“ 20jährige Förderdauer als auch degressierte Vergütungssätze anzunehmen. Dabei wird wohl ein 2010 zu einem BHKW von 2006 hinzukommendes BHKW auf Basis des EEG 2004, aber mit einer Absenkung bis 2010 angewendet. Nicht ganz das gleiche Ergebnis würde sich ergeben, wenn man die EEG-Vergütungssätze des EEG 2009 für 2010 anwenden würde. So ganz genau lässt sich das den Urteilsgründen aber leider nicht entnehmen. Es ist zu erwarten, dass sich eine gewisse Deutungsbreite in Bezug auf das Urteil einstellen wird.

Anders sieht es bei der Frage aus, ob es unter dem EEG 2009 eine abweichende Behandlung von Satelliten-BHKW gab. Nach Auffassung des BGH ist das der Fall: Ein BHKW, das sich nicht in unmittelbarer Nähe zu vorhandenen BHKW befindet, gehört danach nicht zur Anlage im Sinne des § 3 Nr. 1 Satz 1 EEG 2009. Offen bleibt aber – der Sachverhalt gab keinen Anlass, dazu etwas zu sagen –, ab welcher Entfernung die unmittelbare räumliche Nähe nicht mehr besteht. Offen ist weiter, ob die Entscheidung auch auf Biomethan-BHKW zu übertragen ist. Hier stellt sich regelmäßig die Frage, ob mehrere Biomethan-BHKW eine Anlage darstellen, wenn sie eine Gasleitung nutzen.

Was bleibt? Beim Zubau von BHKW am Standort einer Vor-Ort-Anlage teilen „altes“ und „neues“ BHKW der Gesamtanlage nach dem BGH nun also nicht – wie vielleicht zu erwarten war – immer das gleiche Schicksal: Zwar fällt nach Ansicht des BGH wohl auch das „neue“ BHKW unter das „alte“ Rechtsregime, etwa oben im Beispiel das EEG 2004. Jedoch soll für das „neue“ BHKW mit dessen Inbetriebsetzung der Vergütungszeitraum neu zu laufen beginnen – allerdings bei einer Degression der Vergütungssätze. Wird aber deshalb für das „neue“ BHKW der 20jährige Vergütungszeitraum neu in Gang gesetzt? Fraglich ist auch, ob die Überlegungen des BGH 1:1 auf das EEG 2012 anzuwenden sind.

Mit seinem Urteil hat der BGH also nicht alle Fragen zur Anwendung des Anlagenbegriffs im EEG beantworten können (wollen). Es bleibt spannend.

Ansprechpartner: Dr. Martin Altrock/Jens Vollprecht

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