Wenn der Festpreis weicher als gedacht ist …

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Seit mehreren Jahren versuchen Energieversorgungsunternehmen, ihre Preise in Energielieferverträgen rechtssicher zu gestalten. Doch das ist nicht so einfach. Gesetzliche Vorgaben und viele gerichtliche Entscheidungen sorgen regelmäßig für Schwierigkeiten.

Vor diesem Hintergrund bieten die Energieversorgungsunternehmen insbesondere im Industriekundenbereich vermehrt Festpreisverträge an. Dadurch wollen sie das Risiko vermeiden, dass ihre Preisanpassungsregeln unwirksam sind. Denn ein Festpreis muss nicht angepasst werden. Aber auch das funktioniert nicht immer, wie eine Entscheidung des OLG Hamm vom 16.12.2011 zeigt.

60 Millionen € Lehrgeld

In dem Verfahren des OLG hatte ein Industriekunde einen Erdgaslieferanten auf Rückzahlung von über 60 Mio. € verklagt. Dieser Klage wurde zwar zunächst vom LG Essen nicht stattgegeben. Das OLG änderte diese Entscheidung im Berufungsverfahren jedoch ab und sprach dem Industriekunden den Rückzahlungsanspruch auch in dieser Höhe zu.

Der Industriekunde und der Erdgaslieferant hatten einen Liefervertrag mit einer Laufzeit von drei Jahren und mit einem Festpreis von 35,00 €/MWh vereinbart. Nach Abschluss des Vertrages und infolge der Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 sank der Marktpreis für Erdgas erheblich ab (bis auf 21,15 €/MWh). Vor diesem Hintergrund begehrte der Industriekunde mehrfach Anpassungen des Preises und berief sich auf eine vertraglich vereinbarte Wirtschaftsklausel, die vorsah, dass der Vertrag modifiziert wird, wenn seine Fortsetzung aufgrund einer Änderung der Rahmenbedingungen für eine Seite unzumutbar wird.

Solche – regelmäßig vorformulierten – Klauseln, die oft auch als Loyalitäts- oder Härteklauseln bezeichnet werden, befinden sich vielfach in langfristigen Bezugsverträgen und dienen dem Zweck, eine Anpassung vertraglicher Bestimmungen bei außergewöhnlichen und nicht vorhersehbaren Änderungen der Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Stets muss sich die Änderung dieser Verhältnisse dahingehend auswirken, dass die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen – hier die Zahlungsverpflichtung – einem Vertragsteil nicht mehr zugemutet werden kann. Dadurch kann u.a. das Preisrisiko je nach Entwicklung des Marktes jeweils zu Gunsten einer Partei reduziert werden.

Darauf berief sich der Industriekunde: Der Erdgaslieferant wies die Anpassungsbegehren dennoch zurück und verwies darauf, dass der Industriekunde aufgrund der Festpreisvereinbarung das Risiko für die Entwicklung des Marktpreises vollständig übernommen habe. Die vertraglich vereinbarte Wirtschaftsklausel sei insoweit ohne Bedeutung.

Auch beim Festpreis zählt nur der Vertrag

Das OLG Hamm entschied dagegen, dass die Anpassungsbegehren gerechtfertigt waren und der Erdgaslieferant diesen Begehren hätte – trotz der Vereinbarung eines Festpreises – entsprechen müssen. Die Wirtschaftsklausel sei uneingeschränkt Teil des Vertragstexts geworden und müsse daher auch bei einer Festpreisvereinbarung gelten. Anderenfalls wäre die Aufnahme überflüssig und nicht zu erklären gewesen. Mit Aufnahme der Wirtschaftsklausel in den Vertragstext sei klargestellt worden, dass das Industrieunternehmen das Risiko einer abweichenden Marktpreisentwicklung nicht vollumfänglich, sondern nur in den Grenzen, die durch die Wirtschaftlichkeitsklausel gesetzt wurden, tragen wollte.

Bemerkenswert ist, dass die Schwelle der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit auch bei Erdgaslieferverträgen bereits dann überschritten sein soll, wenn sich der Marktpreis um mehr als 10 Prozent geändert hat. Als Referenz gibt das OLG insoweit eine Entscheidung des BGH (Urt. v. 4.7.1979, Az. VIII ZR 245/78, WM 1979, 1097) zu Wirtschaftsklauseln in langfristigen Pacht- und Mietverträgen an. Die Übertragung dieser Erwägungen ist jedoch fragwürdig. Während Pacht- oder Mietzinsen in der Regel konstant steigen und sprunghafte erhebliche Preisschwankungen kaum zu erwarten sind, sind gerade die Marktpreise für Erdgas äußerst volatil. Preisänderungen von 10 Prozent – und sogar weit mehr – in wenigen Monaten sind da keineswegs außergewöhnlich. An dieser Stelle wäre es wünschenswert gewesen, wenn sich das Gericht vertieft mit den Verhältnissen des relevanten Marktes auseinander gesetzt hätte.

Fazit

Festzuhalten ist, dass auch (und insbesondere) Festpreise immer eine rechtssichere Vertragsgestaltung voraussetzen. Risiken bestehen, wenn bei der Vertragsgestaltung nicht ausreichend darauf geachtet wird, vertragliche Klauseln, die die Preisvereinbarung aufweichen können, anzupassen oder aus dem Vertrag zu entfernen, wenn ein absoluter Festpreis gewollt ist. Das OLG Hamm hat zwar die Revision zum BGH zugelassen – auf eine sorgfältige Vertragsgestaltung sollte man trotzdem achten.

Ansprechpartner: Dr. Jost Eder/Dr. Olaf Däuper/Tillmann Specht

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