Will die BNetzA jetzt auch in Kraftwerke hineinregulieren?

Die Bundesnetzagentur (BNetzA) will die Rahmenbedingungen, zu denen Übertragungsnetzbetreiber in die Fahrweise von Kraftwerken eingreifen können, standardisieren. Ein entsprechendes Festlegungsverfahren wurde am 19. April 2011 eröffnet. Die Konsultationsfrist zu den veröffentlichten Eckpunkten lief am 20. Mai ab.

Das Ziel der BNetzA, für mehr Rechtssicherheit bei den Eingriffsmöglichkeiten der Übertragungsnetzbetreiber in die Fahrweise von Kraftwerken sorgen zu wollen, ist nachvollziehbar. Dennoch geben bereits die knapp gefassten Eckpunkte Anlass zur Diskussion. Betroffen sind alle Betreiber von größeren Erzeugungsanlagen, die an Höchst- oder Hochspannungsnetze angeschlossen sind, seien es konventionelle Großkraftwerke, Industriekraftwerke oder größere KWK-Anlagen zur Sicherstellung der kommunalen Wärmeversorgung.

Warum jetzt und warum überhaupt?

Zweifelhaft ist schon, ob der regulatorische Eingriff überhaupt erforderlich ist, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Die selbe Frage stellt sich vor dem Hintergrund der laufenden Novellierungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) und des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes (EEG), die ebenfalls Regelungen zu Eingriffen in die Kraftwerksfahrweise und zum Einspeisemanagement enthalten.

Weiter fragt man sich, ob hier vorhandenen marktbezogenen Maßnahmen ein ausreichender Vorrang vor weiteren regulativen Eingriffen eingeräumt bleibt. Die Frage stellt sich insbesondere, weil es hier um regulatorische Eingriffe in den Wettbewerbsbereich Erzeugung und nicht in das Netzmonopol geht. Die BNetzA muss im weiteren Festlegungsverfahren ausführlich begründen, weshalb sie nicht mehr auf „die Signalwirkung von Preisen auf den Erzeugerwillen“ setzt. Der Regelenergiemarkt darf nicht entwertet werden. Es ist abzuwarten, wie die im neuen EnWG geplanten Regelungen zu Vereinbarungen für freiwillige Ab- und Zuschaltungen von Lasten in der Praxis wirken, bevor diese durch regulatorische Maßnahmen ersetzt werden. Zumindest ist bei der Ausgestaltung der Festlegung besonders darauf zu achten, wie die verschiedenen Maßnahmen zusammenspielen.

Erlasskompetenz

Die geplanten Maßnahmen zielen auf eine Verpflichtung der Anlagenbetreiber ab. Darauf lässt sowohl der Eröffnungsbeschluss („beabsichtigt […], die Betreiber von Erzeugungsanlagen […] zur Mitwirkung zu verpflichten“) als auch die zugehörige Pressemitteilung schließen. Nach derzeitiger Rechtslage ist aber fraglich, ob die BNetzA dafür die erforderliche Festlegungskompetenz besitzt. Reguliert sind Netze. Die Eckpunkte beantworten dies damit, dass man die für die Anlagenbetreiber belastenden Regelungen nicht direkt festlegt, sondern den Umweg über die Anschlussnetzbetreiber geht (die über die Festlegung verpflichtet werden, mit neuen Netznutzungsverträgen ihrerseits die Anlagenbetreiber zu verpflichten).

Wen betrifft es genau?

Die veröffentlichten Eckpunkte nennen als Adressaten zunächst „sämtliche am Übertragungsnetz angeschlossene Erzeugungsanlagen sowie sämtliche Erzeugungsanlagen mit unmittelbarem Anschluss an 110 kV-Netze“.

Abzuwarten bleibt, wie die Festlegung hier sicherstellt, dass sie mit dem gesetzlichen Einspeisevorrang von Anlagen nach EEG und Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) vereinbar bleibt. Möglicherweise sind EEG- und KWK-Anlagen vollständig aus dem Anwendungsbereich auszunehmen. Gerade bei KWK-Anlagen treten sonst erhebliche Probleme auf. Vielfach geht es um Eingriffe in eine wärmegeführte Anlage für die Erzeugung von Wärme für ein kommunales Fernwärmenetz. Fraglich ist, ob eine stromnetzlastbedingte Einstellung der Wärmeerzeugung für eine Kommune, mit daraus folgender unmöglicher Erfüllung der Wärmelieferverpflichtungen, Gegenstand einer Festlegung der BNetzA sein kann. Im Industriebereich, wo Prozesswärme ausgekoppelt wird, stellen sich vergleichbare Probleme.

Problematisch ist die Frage nach dem Adressatenkreis auch bei industriellen Eigenerzeugungsanlagen in privaten Arealen. Sind diese vom Anwendungsbereich ausgenommen, auch wenn sie in private 110-kV-Leitungen einspeisen? Spielt es dafür eine Rolle, ob das private Areal selbst als (geschlossenes Verteiler-)Netz einzuordnen ist oder eine Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung darstellt?

Direkt durch die Festlegung verpflichtet werden sollen die „jeweiligen Netzbetreiber“. Hier wird zu klären sein, ob dies lediglich Netzbetreiber der allgemeinen Versorgung sind oder ob auch Netzbetreiber außerhalb derselben, insbesondere außerhalb von künftigen geschlossenen Verteilnetzen von der Festlegung erfasst werden. Die gleiche Frage stellt sich, wo betroffene Erzeugungsanlagen nicht unmittelbar an ein Netz angeschlossen sind, sondern in Kundenanlagen einspeisen, es jedoch auch zu Rückspeisungen in das vorgelagerte Netz kommen kann.

Was für Eingriffe in die Fahrweise wird es geben?

Die möglichen Eingriffe sind in den Eckpunkten benannt als „Reduzierung der Wirkleistungseinspeisung bis hin zur vollständigen Abschaltung, Erhöhung der Wirkleistungseinspeisung, inklusive des Aktivierens und Hochfahrens von Erzeugungsanlagen auch aus dem abgeschalteten Zustand, Änderung der Blindleistungseinspeisung, Verschiebung von geplanten Kraftwerksrevisionen auf Anforderung des Übertragungsnetzbetreibers“.

Bei den geplanten Vorgaben zur Änderung der Wirk- und Blindleistungseinspeisung muss die Festlegung detailliert auf die jeweiligen technischen Gegebenheiten der verschiedenen Anlagen Rücksicht nehmen. Ist beispielsweise eine Erzeugungsanlage auf Grundlast ausgelegt, ist eine Reduzierung der erzeugten Leistung nur in sehr engen Grenzen möglich. Sollte die Anlage heruntergefahren werden müssen, ist die Wiederinbetriebnahme mit einem sehr hohen Aufwand verbunden. Teilweise sind zwischenzeitlich Stillstände erforderlich, der entgangene Gewinn ist beträchtlich. Besonderes Augenmerk wird daher auf die in der Festlegung zu regelnde „Prioritätenliste“ der Anlagen zu richten sein: Wer muss zuerst vom Netz?

Weitere interessante Fragen wird die Verschiebung von Kraftwerksrevisionen auf Anforderung des Übertragungsnetzbetreibers aufwerfen. Revisionen werden regelmäßig langfristig geplant, insbesondere Fremdfirmen eingebunden und Materialien beschafft werden müssen. Eine Pflicht, die Revisionszeiten zu verlängern, würde somit erheblichen Schaden bewirken. Gleichzeitig werden Belange der Kraftwerkssicherheit berührt, wenn etwa Maßnahmen an Schutzeinrichtungen verschoben werden.

Kernpunkt Entschädigung

Hohe Anforderungen sind an die Ausgestaltung der Entschädigungsregel zu richten. Dieser in den Eckpunkten erst vage angekündigte Teilbereich, für den dann allerdings eine andere Beschlusskammer der Behörde zuständig sei, muss zeitgleich mit dem vorliegenden Festlegungsentwurf konsultiert werden. Eine rechtliche und wirtschaftliche Bewertung der Festlegung ist ohne Kenntnis der Entschädigungsregelung nicht sinnvoll.

Bei der Entschädigungsregelung wird aus Anlagenbetreibersicht spannend, ob wirklich alle unmittelbaren und mittelbaren wirtschaftlichen Nachteile, wie Schäden an der Anlage, längere Stillstandszeiten, zusätzlicher Instandhaltungsaufwand, verkürzte Lebensdauer, entgangene Gewinne aus fehlender Wärmeerzeugung, Zusatzkosten bei verschobenen Revisionszeiten, höhere Netzentgelte durch den Ersatzbezug etc. ausgeglichen oder nur die direkten Kosten des Herunterfahrens und der Wiederinbetriebnahme und ein entgangener Stromverkauf erstattet werden.

Aufgabe des Festlegungsverfahrens ist es zudem nicht allein, detaillierte Regelungen zu Entschädigungszahlungen aufzustellen. Gleichzeitig ist aus Netzbetreibersicht zwingend, auch für Klarheit zu sorgen, welche anfallenden Kosten der Netzbetreiber aus den Entschädigungszahlungen bei den Netzentgelten anerkennungsfähig sind.

Problem vertragliche Umsetzung

Die Absicht, Vertragsinhalten im Netznutzungsvertrag zwischen dem jeweiligen Anlagenbetreiber und dem betroffenen Anschlussnetzbetreiber festzulegen, ist schwierig umzusetzen, wenn letzterer nicht gleich dem Übertragungsnetzbetreiber ist. Mit dem Anschlussnetzbetreiber ist dann eine Partei einbezogen, die von den Festlegungsinhalten gar nicht betroffen ist. Ausweislich des Eckpunktepapiers geht es allein um eine Verpflichtung der Anlagenbetreiber zu Gunsten der Übertragungsnetzbetreiber.

Der Anschlussnetzbetreiber – eigentlich von der Festlegung als „Unbeteiligter“ verpflichtet – wird ein besonderes Interesse haben, dass bei ihm keinerlei Pflichten und Risiken verbleiben.

Ansprechpartner: Dr. Christian de Wyl/Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Thies Christian Hartmann

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