Einheimischenmodelle auf dem Prüfstand des Europarechts

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Städte und Gemeinden leben von einer ausgewogenen Bevölkerungsstruktur. Hat eine Stadt nur reiche oder arme, alte oder junge Einwohner, so leidet darunter das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Stadt. Ihr fehlen bestimmte Arbeitskräfte, und Angebote für verschiedene Bevölkerungsgruppen fallen ganz oder teilweise weg. Wachsende Grundstückspreise führen dazu, dass sich viele Einwohner – und ganz besonders Familien mit Kindern – in der eigenen Stadt oder Gemeinde kein Eigenheim mehr leisten können. Sie geraten unter Druck, wegzuziehen. Gewachsene Sozialbeziehungen werden so zerstört.

Um auch den finanziell schlechter gestellten Ortsansässigen eine Gelegenheit zu geben, Bauland zu erwerben, regeln viele Gemeinden den Erwerb von Bauland durch so genannte Einheimischenmodelle. Damit reservieren sie bestimmte Grundstücke für Bürger, die in der Gemeinde seit einiger Zeit leben oder arbeiten. Dies kann entweder dadurch geschehen, dass die Gemeinde Grundstücke aufkauft und nach sozialen und „einheimischen“ Kriterien vergibt, oder dadurch, dass die Gemeinde beim Ausweisen von Bauland Verträge mit den Grundstückseigentümern schließt, nach denen diese einen Teil der Grundstücke nur zu den Einheimischenkriterien und zu einem geringeren Kaufpreis veräußern dürfen.

Diese deutschen Einheimischenmodelle könnten aber europarechtlich unter Druck geraten. Im Moment läuft ein exemplarisches Vertragsverletzungsverfahren  der Europäischen Kommission, das sich auf die Gemeinden Selfkant in Nordrhein-Westfalen sowie Bernried, Seeshaupt, Weilheim und Vohburg an der Donau in Bayern bezieht (Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2006/4271). Eine Entscheidung in diesem Verfahren – und auch Gerichtsurteil aus Luxemburg dazu – ist im Laufe dieses Jahres zu erwarten.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu belgischem „Einheimischengesetz“

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat am 8.5.2013 über ein  belgisches „Einheimischendekret“ entschieden, das den deutschen Einheimischenmodellen ähnelt (Rs. C- 197/11 und C-203/11).

Das Einheimischendekret der flämischen Regierung besagte, dass Grundstücke in den ausgewählten Gebieten nur erwerben konnte, wer über eine „ausreichende Bindung“ mit der Gemeinde verfügte. Diese „ausreichende Bindung“ konnte auf drei verschiedenen Wegen nachgewiesen werden: wenn der Erwerber sechs Jahre in der Gemeinde gewohnt hatte, wenn er zum Zeitpunkt der Übertragung durchschnittlich mindestens auf einer halben Stelle in der Gemeinde arbeitete oder wenn er eine berufliche, familiäre, soziale oder wirtschaftliche Bindung zu der Gemeinde hatte.

Der EuGH hat entschieden, dass die Regelungen des Dekrets gegen europäisches Recht verstoßen. Sie würden die Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit der Unionsbürger gem. Art. 21, 45, 49 AEUV, die Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 AEUV und die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV einschränken. Ausreichende Rechtfertigungen dafür konnte der EuGH nicht erkennen.

Zwar kann das Ziel, auch einkommensschwächeren einheimischen Bevölkerungsteilen den Erwerb von Immobilien und Grundstücken zu ermöglichen, die Beschränkungen der Grundfreiheiten rechtfertigen, da es sich um ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel handelt. Die Bedingungen, die das flämische Einheimischendekret aufstellte, waren aber nach Meinung des EuGH nicht erforderlich, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Denn nach den Kriterien, die für eine Erwerbsberechtigung erfüllt werden müssen, würden auch finanzstarke Einheimische begünstigt. Außerdem gebe es andere, weniger einschränkende Maßnahmen als ein faktisches Verkaufsverbot, mit denen das Ziel der Förderung der einkommensschwachen Bevölkerung erreicht werden könne, beispielsweise Kaufprämien oder sonstige Beihilfen.

Das dritte Kriterium einer „beruflichen, familiären, sozialen oder wirtschaftlichen Bindung“ war nach Meinung des EuGH darüber hinaus nicht bestimmt genug formuliert, um eine Einschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen zu können.

Und was geschieht mit den deutschen Einheimischenmodellen?

Für die deutschen Einheimischenmodelle lassen sich aus dem Urteil des EuGH folgende Schlüsse ziehen:

Die Kriterien für die Einheimischenbindung der Erwerber müssen möglichst bestimmt formuliert werden. Dies geschieht ohnehin meist, um der Gemeinde bei der Ausübung ihres Ermessens zu helfen. Außerdem müssen die Kriterien gezielt darauf ausgerichtet sein, die einkommensschwache Bevölkerung zu fördern. Da die meisten deutschen Einheimischenmodelle Verdienstgrenzen enthalten, sollte auch hier die Beurteilung an Hand des europäischen Rechts für die Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland günstiger ausfallen. Jedoch könnte der Europäische Gerichtshof auch in Bezug auf Modelle, die die Einheimischeneigenschaft nur als ein Kriterium unter mehreren festlegen, ähnlich argumentieren und die Mindestdauer des Hauptwohnsitzes in der jeweiligen Gemeinde als Voraussetzung für die Erwerbsberechtigung für nicht erforderlich halten, um einkommensschwächere Bevölkerungskreise zu begünstigen.

Die aktuelle Entscheidung des EuGH lässt sich somit nur eingeschränkt auf die Einheimischenmodelle in der Bundesrepublik Deutschland übertragen. Der Gerichtshof hat in der Entscheidung sehr deutlich mit der faktischen Beeinträchtigung von Bewerbern, die die Einheimischenkriterien nicht erfüllten, argumentiert. Daher sind Gemeinden gut beraten, in ihre Richtlinien zur Vergabe von Bauplätzen soziale Komponenten einzubeziehen und diese entsprechend stark zu gewichten. Zudem sollte in den städtebaulichen Verträgen vorsorglich die Möglichkeit vorgesehen werden, auf andere Fördermodelle, wie zum Beispiel ein Familien- oder Ehrenamtsmodell umzustellen.

Ansprechpartner: Wolfram von Blumenthal

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