Netzagentur will Bilanzkreistreue stärken – Umsetzungsfrist und Einzelmaßnahmen in der Kritik

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Die Bundesnetzagentur (BNetzA) plant zurzeit ein Maßnahmenpaket, um die Bilanzkreistreue der Bilanzkreisverantwortlichen zu stärken. Das Ziel ist unumstritten. Ein dreiwöchiges Konsultationsverfahren hierzu ist in der letzten Woche zu Ende gegangen. Trotz der kurzen Frist bis 9.8.2019 in der Urlaubszeit haben viele betroffene Unternehmen und Verbände ihre Bedenken mit einer Stellungnahme vorgetragen. Es bestehen Zweifel, ob alle von der BNetzA geplanten Maßnahmen in dieser Form geeignet und verhältnismäßig sind, um das anvisierte Ziel der Systemsicherheit zu erreichen. Im Detail ist fraglich, ob die BNetzA gesetzlich ermächtigt ist. Dies gilt insbesondere für die Einbeziehung der Netz- und Messstellenbetreiber in das Maßnahmenpaket.

Die ersten beiden angekündigten Maßnahmen betreffen Bilanzkreisverantwortliche. Die grundsätzliche Pflicht, einen Bilanzkreis spätestens 15 Minuten vor dem Erfüllungsbeginn ausgeglichen zu halten (BK6-19-212), nimmt nur eine Neuregelung des Bilanzkreisvertrags vorweg, die ohnehin ab dem 1.5.2020 greift. Die neue Berechnungsmethode (BK6-19-217) für den Ausgleichsenergiepreis knüpft Zu- bzw. Abschläge auf den Preis an eine Abweichung des deutschen Regelverbundes von mehr als 80 Prozent der kontrahierten Regelleistung, unabhängig ob diese mit Regelenergie ausgeglichen oder im Rahmen von Geschäften mit Nachbarländern kompensiert wird.

Für Netz- und Messstellenbetreiber ist die dritte geplante Maßnahme kritisch. Diese Maßnahme steht im Fokus der Stellungnahmen. Sie sieht vor, dass Messwerte, die von RLM-Marktlokationen stammen, ab 1.10.2019 werktäglich an die Übertragungsnetzbetreiber übermittelt werden müssen –  zeitlich also noch vor dem Start der MaKo 2020 (1.12.2019) und unabhängig von der Aggregationsverantwortung der Übertragungsnetzbetreiber bei intelligenten Messsystemen. Gerechtfertigt wird dieser Vorstoß damit, dass die Übertragungsnetzbetreiber bislang erst 6 Wochen nach Ende des jeweiligen Liefermonats im Rahmen der Bilanzkreisabrechnung belastbare Informationen über die Ausgeglichenheit der Bilanzkreise in der jeweiligen Regelzone erhielten. Mit der werktäglichen Messwertübermittlung solle der Übertragungsnetzbetreiber in die Lage versetzt werden, die Prognosefahrpläne, die ihm vor dem Erfüllungszeitraum durch die jeweiligen Bilanzkreisverantwortlichen übermittelt wurden, zeitnah mit den tatsächlichen Einspeise- und Verbrauchswerten abzugleichen und Schiefstände schneller zu entdecken.

Zweifelhaft ist, ob die BNetzA dies festlegen darf. Weder die VO (EU) 2017/2195 (EB-VO) noch das Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) oder die Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV) enthalten eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage. Zusätzlich stellt die Tatsache, dass die Festlegung schon am 1.10.2019 in Kraft treten soll, die Netz- und Messstellenbetreiber vor erhebliche praktische Probleme. Eine Umsetzung bis zu diesem Zeitpunkt ist kaum möglich, zumindest aber sehr aufwändig, zumal die betroffenen Mitarbeiter mit der Umsetzung der MaKo 2020 ohnehin alle Hände voll zu tun haben.

Aber selbst wenn diese Hürden zu nehmen wären, bleibt fraglich, ob die Maßnahme geeignet ist, die damit verfolgten Zwecke zu erreichen: Die Messwertübermittlung am nächsten Werktag gäbe den Übertragungsnetzbetreiber zugegebenermaßen schneller als heute ein Bild über die Ausgeglichenheit der Bilanzkreise. Allerdings unterscheidet sich dieses Bild nicht von dem durch die monatliche Übermittlung von Summenlastgängen. Der Erfüllungszeitraum ist auch bei der Lieferung werktäglicher Daten für den Vortag bereits abgelaufen. Der Disziplinierungsgedanke kann gegenüber den BKV in jedem Fall erst im Nachhinein greifen.

Schließlich bleibt die Frage, weshalb die Netz- bzw. Messstellenbetreiber Messwerte RLM-marktlokationsscharf werktäglich den Übertragungsnetzbetreiber übersenden sollen. Zur Feststellung, ob und in welchem Umfang eine Abweichung zwischen Prognose und Ist-Werten besteht, ist eine bilanzkreisscharfe Übersendung von Zeitreihen sinnvoll und ausreichend. Die Möglichkeit zum Abgleich der angelieferten Prognosefahrpläne mit Hilfe aktueller Einspeise- und Verbrauchswerte ist ohnehin nur mit aggregierten Werten möglich. Eine Aufschlüsselung der Messwerte aller RLM-Marktlokationen würde den Übertragungsnetzbetreiber unmittelbar noch keine Verbesserung der Informationslage verschaffen. Vielmehr müssten die Übertragungsnetzbetreiber erst selbst die Aggregation durchführen, um den gewünschten Abgleich durchführen zu können. So bliebe es bei einer sehr großen Datenmenge ohne klaren zusätzlichen Erkenntniswert, die werktäglich zu verschicken wäre.

Ob die BNetzA die Bedenken  im weiteren Festlegungsverfahren berücksichtigt, bleibt abzuwarten.

Ansprechpartner: Dr. Christian de Wyl/Dr. Thies Christian Hartmann/Dr. Florian Wagner

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