„Die Paradethemen der Kommunalwirtschaft sind die Zukunftsthemen schlechthin“: ein Interview mit Prof. Dr. Mario Stoffels

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(c) HNEE
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Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNEE) hat etwas, das es sonst nirgendwo gibt: Hier kann man „Kommunalwirtschaft“ studieren. Was man von dem weiterbildenden Master alles erwarten darf, das verrät uns der Studienleiter Prof. Dr. Mario Stoffels

BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Stoffels, seit 2010 gibt es den Master „Kommunalwirtschaft“ an der HNEE in Eberswalde. Wie kommt man auf die Idee, einen völlig neuen und deutschlandweit bisher einzigartigen Studiengang aus dem Boden zu stampfen?

Prof. Dr. Stoffels: Die regionale Daseinsvorsorge ist ein wichtiges Thema für die HNEE. Gerade die Kommunalwirtschaft leistet dabei einen wichtigen Beitrag, genau diese Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Sie schafft Strukturen, wo bisher keine sind oder sich Private seltener finden. Sie übt beispielsweise in der Energie- und Wohnungswirtschaft durch ihre Marktaktivitäten einen mäßigenden Einfluss auf das Preisgefüge aus und trägt so dazu bei, dass auch für die wirtschaftlich Schwächeren ein Angebot zu vertretbaren Preisen existiert.

Wissenschaftlich gesehen wurde sich bisher mit der Kommunalwirtschaft nur sehr stiefmütterlich auseinandergesetzt, und passende Ausbildungsangebote, die die kommunale Eigentümerschaft und die speziellen betriebswirtschaftlichen Besonderheiten berücksichtigen, gab es nicht. Ein mittlerweile von der Hochschule zum Honorarprofessor bestellter Kollege zeigte dieses Defizit auf, und unter Integration seiner und weiterer bestehender Netzwerke (zum Beispiel die Thüga, der VKU und die VNG) und vieler kleinerer kommunaler Unternehmen wurde das Experiment gewagt. Der Studiengang wurde in Rekordgeschwindigkeit von etwas mehr als einem Jahr konzipiert und gestaltet (inklusive ministerieller Genehmigung) – und nun steht das Angebot da und der Studiengang wird rege nachgefragt.

BBH-Blog: … haben ja schon einige geschafft, aber keiner erfolgreich?

Prof. Dr. Stoffels: Ja, das muss man wohl sagen. Es war zum einen eine glückliche Kombination, zum anderen aber auch eine Frage des Herzbluts und des Engagements, dass alle Beteiligten konzeptionell und vertrieblich in das Projekt investierten. Vergleichbare Angebote fokussieren stärker auf Verwaltungsmanagement, es gab ein vergleichbares Angebot an der Technischen Universität Berlin, das nicht an den Start gegangen ist und die Universität Leipzig hat ebenfalls ein preislich allerdings doppelt so teures Angebot, das noch nicht durchgeführt wurde. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist auch die Praxisorientierung, die an einer Fachhochschule (FH) unter Integration hochkarätiger Beiratsmitglieder aus der kommunalen Praxis deutlich einfacher zu erreichen ist als an einer Universität. Auch nutzen wir die Chancen, die das Brandenburgische Hochschulgesetz (BbgHG) für die Integration von Quereinsteigern bei Weiterbildungsstudiengängen bietet. Qualifizierte Fach- und Führungskräfte ohne vorheriges Hochschulstudium können durch erfolgreiches Absolvieren einer Eingangsprüfung am Master teilnehmen.

BBH-Blog: Was macht die Kommunalwirtschaft denn so besonders?

Prof. Dr. Stoffels: Die Kommunalwirtschaft zeichnet sich durch ihre Vielfältigkeit aus. Themen wie Energie, Netzbetrieb, Ver- und Entsorgung, Wasser-, Verkehrs- und Wohnungswirtschaft sind nur einige wichtige Aspekte der Kommunalwirtschaft. Auch andere Themen der regionalen Daseinsvorsorge wie zum Beispiel der Betrieb von Bädern, Krematorien, Freizeitparks, Theatern und Kinos sind spannende Aufgaben, die alle ein unterschiedliches Managementkonzept benötigen. Hinzu kommt die besondere Situation der verschiedenen Stakeholder und Eigentümer – hier im Besonderen die Kommunen und der politische Einfluss, den es zu managen gilt. Hier greifen politische und betriebswirtschaftliche Zielsetzungen ineinander und bedürfen des Ausgleichs.

BBH-Blog: Wer in die Kommunalwirtschaft investiert, investiert also in die Zukunft?

Prof. Dr. Stoffels: Absolut! Die Infrastrukturthemen sind im Umbruch, und eine Investition in die Kommunalwirtschaft erleichtert es, diese Umbrüche zu meistern. Themen wie Energie, Ver- und Entsorgung, die Wasserwirtschaft – die Paradethemen der Kommunalwirtschaft – sind die Zukunftsthemen schlechthin. Hier muss sich unsere Gesellschaft entscheiden, wie wir in Zukunft unsere Ressourcen nachhaltig nutzen wollen, was wir dafür investieren und bezahlen wollen und wie dies organisatorisch umzusetzen ist. Folglich gestaltet die Kommunalwirtschaft durch ihre intensive Befassung mit der Infrastruktur des Landes die Zukunft aktiv mit.

BBH-Blog: Der Studiengang richtet sich an Personen, die bereits Erfahrungen in kommunalen Unternehmen oder Kommunen sammeln konnten. Nun könnte man meinen, durch ein „training on the job“ wäre man hinreichend für die täglichen Aufgaben in der Kommunalwirtschaft gerüstet. Ist dem nicht so?

Prof. Dr. Stoffels: Das ist sicher ein guter Anfang mit dem „training on the job“. Neben der täglichen operativen Arbeit geht es darum, die großen Zusammenhänge zu verstehen, die strategische Ausrichtung der Kommunalwirtschaft zu gestalten und vor allem sinnvolle Methodiken zu erlernen und anzuwenden. Dazu ist es erforderlich, sich sowohl ein fundiertes Grundlagenwissen als auch die strategischen und operativen Spezifika der Kommunalwirtschaft anzueignen. Der Master Kommunalwirtschaft bietet hier eine gute Mischung aus Fachwissen, Praxisvorträgen, interaktiven Formaten, Planspielen und praktischen Arbeiten, die dabei helfen, genau dies zu erreichen. Als weitere Fundierung bietet er die Chance, sich beispielsweise in der Master-Arbeit intensiv mit einem konkreten Thema aus der Berufstätigkeit nach wissenschaftlichen Maßstäben auseinanderzusetzen.

BBH-Blog: Gibt es „den“ typischen Studierenden der Kommunalwirtschaft?

Prof. Dr. Stoffels: Nein, eigentlich nicht. Wir haben viele Studierende aus dem Umfeld der Stadtwerke und Kommunen, jedoch interessieren sich auch Berater und Anwälte im kommunalen Umfeld für diesen Studiengang. In Summe ist die Studierendenschaft somit sehr heterogen. Die Studierenden sind im Alter zwischen 25 und 55, es sind viele Führungskräfte im Studiengang. Es sind ferner alle Branchen der kommunalen Unternehmen vorhanden. Aus den kommunalen Bereichen sind insbesondere das Beteiligungsmanagement und die Kämmerei vertreten. Die Frauenquote beträgt etwa 33 bis 40 Prozent. Wir hatten aber auch schon Jahrgänge mit mehrheitlicher „Damenbesetzung“. Im Regelfall haben alle Studierenden aber eins gemeinsam – sie wollen mit den erworbenen Kompetenzen noch etwas erreichen und die Kommunalwirtschaft gestalten. Das gelingt nach dem Studium auch in sehr vielen Fällen. Man kann sogar von „Karriereturbo“ sprechen.

BBH-Blog: Wie muss man sich den Master Kommunalwirtschaft nun konkret vorstellen? Erzählen Sie uns doch ein bisschen mehr von dem Konzept und den Inhalten des Studiengangs.

Prof. Dr. Stoffels: Der Master Kommunalwirtschaft dauert drei Semester, also eineinhalb Jahre. Das sind in Summe sieben Präsenzwochen in Eberswalde. Ein Matrikel besteht aus ca. 20 Studierenden, was ein optimales Betreuungskonzept garantiert. Wir begleiten unsere Studierenden ganzheitlich, das heißt dass wir sowohl Fach- und Methodenwissen vermitteln als auch an der Persönlichkeitsentwicklung arbeiten und auch Coaching-Ansätze anbieten. Im ersten Semester werden die Grundlagen vermittelt: Einführung in die Kommunalwirtschaft, Kommunalfinanzen, Projektmanagement, Soft Skills. Im zweiten Semester folgen die Spezialisierungen wie Vergaberecht, Kommunale Branchen (Energie, Wasser – Abfall, Verkehrs- und Wohnungswirtschaft) und Marketing. Das dritte Semester besteht aus unserem selbstentwickelten Planspiel, welches die Marktsituation der Energiewirtschaft interaktiv abbildet. Im Anschluss verbleibt die restliche Zeit, die Masterthesis zu schreiben. Neben der reinen Ausbildung spielt aber auch der Netzwerkgedanke der Studierenden eine Rolle. Praktischer Austausch gelingt so mit den Alumni auch über das Studium hinaus, und die jährlichen Alumniparties führen regelmäßig zu einem Wiedersehen und intensiven Austausch.

BBH-Blog: Der Studiengang scheint sich ja gut etabliert zu haben. Gibt es denn konkrete Pläne an der HNEE, das Angebot noch weiter auszubauen?

Prof. Dr. Stoffels: Ja, wir wollen zum einen alle unsere Kurse auch als Zertifikatskurse und Inhouse-Schulungen anbieten, um bestimmte Themen direkt in den Unternehmen schulen zu können. Des Weiteren planen wir eine Variante des Masters für Sparkassen zu entwickeln.

Zusätzlich arbeiten wir an einem Zertifikatskurs Mediation in der Kommunalwirtschaft, der speziell die Soft Skills in diesem Bereich ausbauen soll. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass gerade in der Kommunalwirtschaft, sei es im Bereich der Umweltmediation (Bürgerinitiative klagt gegen Kommune) oder Arbeitsmediation, ein großer Bedarf besteht, sich außergerichtlich und konstruktiv bei Streitigkeiten zu einigen. Hier wollen wir mit diesem speziellen Angebot eine effektive Unterstützung schaffen.

BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Professor Stoffels, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben!

 

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