Der Koalitionsvertrag: Politischer Fahrplan als Mitfahrgelegenheit

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Verträge sind doch etwas Tolles, oder? Zwei oder mehr Parteien einigen sich über einen bestimmten Sachverhalt, geben ihre Willenserklärungen ab, und heraus kommt ein verbindliches Rechtsgeschäft mit konkreten Rechten und Pflichten für alle Seiten. Hält sich ein Vertragspartner nicht an die Abmachung, stehen dem anderen Mittel und Wege zur Verfügung, das Vereinbarte gerichtlich einzuklagen. Verträge schließen wir jeden Tag. Vielleicht nicht unbedingt Grundstückskaufverträge, Netzanschlussverträge oder Energielieferverträge. Aber sobald Sie auf einer E-Commerce-Plattform „Kaufen“ klicken oder im Supermarkt Ihren Wochenendeinkauf bezahlen, kommt ein Vertrag zustande. Ein unterschriebenes Vertragsdokument ist nicht immer notwendig, manchmal genügt ein Mausklick, eine mündliche Vereinbarung oder eben eine entsprechende willensbekundende Handlung wie beim routinierten Szenario an der Supermarktkasse.

Andererseits gibt es aber auch Fälle, in denen– entgegen allem Anschein – kein echter Vertrag vorliegt. Das, obwohl die Parteien mehr oder weniger konkrete Inhalte ausgehandelt, ihre Willenserklärung abgegeben haben und das Resultat dann auch noch „Vertrag“ nennen. So wie den Koalitionsvertrag.

Sie haben schon richtig gelesen. Natürlich darf man froh, oder sagen wir mal, erleichtert sein, dass sich 4,5 Monate nach der Bundestagswahl endlich willige Koalitionäre zusammenfanden und sich auf einen „Vertrag“ verständigten (wir berichteten). Ein Vertrag, gar einer mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, ist der Koalitionsvertrag allerdings mitnichten.

Das liegt nicht daran, dass es an einer notwendigen Handlung oder der notwendigen Form fehlt. Nein, es geht um etwas ganz Substantielles: Die grundlegende Voraussetzung für einen vertraglichen Anspruch fehlt, da der Koalitionsvertrag rechtlich nicht bindend ist und sogar jederzeit abgeändert werden kann. Was man, je nach Urteil über dessen Inhalte, bedauern oder begrüßen kann.

Wozu dann überhaupt ein Koalitionsvertrag?

Der Koalitionsvertrag begründet sehr wohl Rechte und Pflichten. Er enthält alle Bedingungen, nach denen die Unterzeichner bereit sind, eine gemeinsame Koalition zu bilden. Dazu gehören sowohl politische Absichten und Vorhaben als auch die Besetzung von Ministerposten, Ressorts und Ministeriumsverteilung. Nur sind keine seiner Aussagen tatsächlich einklagbar: Es gibt schlicht kein Gericht und keine vergleichbare Instanz, die dafür zuständig wäre. Das gibt es schon mal – denken Sie an das Klimaschutzabkommen von Kyoto, das die US-Regierung zwar unterzeichnete, aber später davon nichts mehr wissen wollte.

Der Koalitionsvertrag hat zwar mit Verfassungsrecht zu tun, da er politische Ziele für die Bundesrepublik und ihre Umsetzung durch deren Staatsorgane festlegt. In die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts fällt ein Streitgegenstand „Koalitionsvertrag“ allerdings nicht. Zivilgerichte und Verwaltungsgerichte fallen wiederum wegen der verfassungsrechtlichen Konnotation raus. Eine strafrechtlich verfolgbare Tat „Bruch der Koalitionsabrede“ gibt es im Strafgesetzbuch auch nicht. Und auch Arbeitsgerichte, Finanzgerichte und Sozialgerichte wären völlig falsche Adressen.

Kurzum: Was sich die Parteien im Koalitionsvertrag gegenseitig versprechen, ist mangels zuständiger Stelle vor keinem Gericht einklagbar und damit auch nicht vollstreckbar.

Koalitionsvertrag als politischer Fahrplan

Dass der Koalitionsvertrag rechtlich kein richtiger Vertrag ist, ist aber kein Grund zur Desillusionierung. Im Gegenteil, bei genauerer Betrachtung unseres politischen Systems ist das nur folgerichtig.

Die Abgeordneten des deutschen Bundestages sind nach deutschem Grundgesetz „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“, Artikel 38 Absatz 1, Satz 2 Grundgesetz. Wäre ein Koalitionsvertrag einklagbar oder gar gegenüber dem Parlamentarier vollstreckbar, stünde dies dazu in krassem Widerspruch.

Das freie Mandat des Abgeordneten verbietet jegliche Garantie darüber, dass die Worte des Koalitionsvertrages umgesetzt werden. Somit kann der Koalitionsvertrag nur eine bloße Absichtserklärung sein, mit der die Unterzeichner versuchen, die Unterstützung der Mitglieder des deutschen Bundestages und ihrer Fraktion für ihren politischen Fahrplan zu bekommen. Wenn man so will: eine Mitfahrgelegenheit.

In der politischen Praxis hält man sich dennoch (in aller Regel) an den Koalitionsvertrag. Zum einen gibt es die bewährte Fraktionsdisziplin, die die Abgeordneten des Bundestages als durchaus hilfreich und sinnvoll empfinden. Zum anderen lässt sich keiner der Koalitionspartner gern Wortbruch oder politische Unzuverlässigkeit vorwerfen.

Auch wenn dem Koalitionsvertrag also die rechtliche Qualität eines Vertragswerkes fehlt, bleibt er im politischen Sinne verbindlich und wirksam. Abschließend ist er übrigens nicht. Wer also heute enttäuscht ist, dass seine Wünsche oder Vorschläge es nicht in das Vertragswerk für die 19. Legislaturperiode geschafft haben, darf hoffen. Der Koalitionsvertrag sperrt sich nicht für weitere Initiativen.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

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