Das erste Urteil zum LKW-Kartell – vielversprechender Auftakt für die Kläger?

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Als erstes Gericht in Deutschland hat das Landgericht (LG) Hannover am 18.12.2017 über eine Schadensersatzklage in Sachen LKW-Kartell (wir berichteten) entschieden (Urt. v. 18.12.2017, Az. 18 O 8/17). Gegenüber standen sich die Stadt Göttingen als Geschädigte und MAN Truck & Bus Deutschland GmbH als Kartellbeteiligte. Die Kammer erkannte den Schadensersatzanspruch der Stadt für 6 von 13 LKW-Käufen dem Grunde nach an. Zumindest MAN wird wahrscheinlich Berufung einlegen, daher wird es darauf ankommen, ob die Entscheidung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Celle Bestand hat. Die entscheidende Frage ist, was dieses Urteil für die vielen anderen Schadensersatzansprüche in diesem Zusammenhang bedeutet.

Die wohl wichtigste Aussage des Gerichts: Es hat das Argument zurückgewiesen, dass sich durch das Kartell für die Kunden die Preise gar nicht erhöht haben, da die Abnehmer über (oft rabattierte) Nettopreise verhandeln und nur die Bruttolistenpreise Gegenstand der kartellwidrigen Absprachen waren. Jene würden von niemandem gezahlt, da viele andere Verhandlungsfaktoren hinzukämen. Das Gericht sieht dies jedoch anders. Auch wenn in der Realität kein LKW-Abnehmer den Bruttolistenpreis bezahle, sei der kartellbedingt erhöhte Listenpreis Basis der Verhandlungen und führe damit zu einem allgemein erhöhten Nettopreis. Preisabsprachen, so das Gericht, wirkten sich – auch wenn sie nur die Bruttolistenpreise betreffen – sogar noch stärker aus als Quotenabsprachen, bei denen die Rechtsprechung eine prima facie preiserhöhende Wirkung seit langem anerkennt.

Das Landgericht schmetterte außerdem den Einwand der LKW-Hersteller ab, die Mehrkosten würden auf die Endabnehmer weitergewälzt (Passing-on-Defense). Im konkreten Fall argumentierte MAN, dass die Stadt möglicherweise kartellbedingt erhöhte LKW-Preise über die Gebühren für die Stadtreinigung und die Entsorgungsentgelte vollständig an die Bürger weitergegeben habe. Dies sei sogar zwingend der Fall, da die Kommunen kostendeckend arbeiten müssen. Diese Argumentation ließ die Kammer jedoch nicht zu. Entscheidend für den Weiterwälzungseinwand sei, dass ein Anschlussmarkt bestehe, in dem auf Anbieter- oder auf Nachfragerseite Wettbewerb herrsche. Im Fall der kommunalen Stadtreinigung und der Müllentsorgung sei in der Stadt Göttingen ein solches Marktgeschehen aber nicht vorhanden. Zudem seien für die Gebühren und Entgelte auch noch andere Faktoren (z.B. Abfallvermeidung) maßgeblich.

Ein Anspruch wegen der anderen Beschaffungen wurde abgelehnt, da sie nicht in dem Zeitraum lagen, in dem die beklagte MAN-Gesellschaft am Kartell beteiligt war. Dies heißt allerdings nicht, dass nicht etwa andere Konzernunternehmen der MAN oder auch andere LKW-Hersteller insoweit in Anspruch genommen werden können, denn die Zeiträume ihrer Kartellbeteiligung waren unterschiedlich.

Auf die LKW-Kartellanten warten Schadensersatzklagen in Millionenhöhe, während es in diesem Fall nur um einen vergleichsweise kleinen Betrag ging (335.000 Euro). Dennoch wird das Urteil des LG Hannover, sollte es Bestand haben, eine hohe Tragweite haben. Zum einen, da es für die betroffenen Wirtschaftsbereiche Stadtreinigung und öffentliche Entsorgung die Passing-On-Defense ausgeschaltet hat. Zum anderen, und dies betrifft alle Geschädigten gleichermaßen, da die Kammer den Anscheinsbeweis für eine kartellbedingte Preisüberhöhung allgemein und in Bezug auf Beschaffungen im Kartellzeitraum generell anerkennt. Diesen Anscheinsbeweis zu widerlegen, wäre dann die schwere Aufgabe der beklagten LKW-Hersteller.

Aus diesen Gründen ist das Urteil vorteilhaft für alle LKW-Kunden. Das Urteil ist in erster Instanz bereits ausführlich und gut begründet. Positiv für die Klägerseite sind auch weitere wichtige Aussagen zur Reichweite des neuen kartellrechtlichen Auskunftsanspruchs und vor allem zu Streitfragen der Verjährung. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass die Verjährung eines ersten Teils der Ansprüche aus dem Kartellzeitraum erst mit der Jahreswende 2017/2018 oder sogar erst Ende Februar 2018 beginnt. Diese Rechtsauffassung wird durch die Weichenstellungen im Urteil bestätigt. Für den öffentlichen Bereich besonders wichtig sind daneben die Ausführungen zu den schadenspauschalisierenden Klauseln. Das Gericht stellt die Wirksamkeit der im Vergabeverfahren verwandten Klauseln, die sogar auf eine Schadenshöhe von 15 Prozent der Auftragssumme zielen, nicht außer Frage. Eine Anspruchsverfolgung wird hierdurch erheblich erleichtert.

Man darf jedoch nicht vergessen, dass es sich nur um ein Grundurteil handelt und die Stadt Göttingen, wie auch die weiteren Kläger, Schadensersatzzahlungen anstrebt. Bis sie jedoch dieses Geld bekommt, kann noch einige Zeit vergehen. Deshalb ist das Urteil zwar ein Gewinn für die Kläger. Jedoch bleibt abzuwarten, wann es zu einem Urteil hinsichtlich der Schadenshöhe kommt und wie es ausfällt. Nach wie vor wäre daher eine außergerichtliche Lösung am besten, die vor allem auch mittelständische Unternehmen sowie kleine und mittlere Kommunen erreicht.

Ansprechpartner: Dr. Olaf Däuper/Dr. Holger Hoch/Anna Lesinska-Adamson

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