BGH-Beschluss könnte kommunale Verkehrsbetriebe bedrohen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat letzte Woche einen Beschluss (Az. X ZB 4/10) bekannt gegeben, der für kommunale Verkehrsbetriebe brandgefährlich werden könnte – wenn nicht sogar existenzbedrohend.

Der BGH hat entschieden, dass der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) den Betrieb einer S-Bahn-Linie nicht ohne Ausschreibung der DB Regio übergeben durfte. Das hat zwar auf den ersten Blick mit kommunalen Verkehrsbetrieben nichts zu tun – auf den zweiten aber sehr wohl. Zumindest die Pressemitteilung des Vergabesenats des BGH (schriftliche Urteilsgründe liegen nun vor) lässt für die Kommunen und ihre Verkehrsbetriebe das Schlimmste befürchten.

Konzession oder Auftrag

Einer der Punkte, auf die es in dem BGH-Fall ankam, war die Unterscheidung von Dienstleistungskonzession und Dienstleistungsauftrag. Diese Unterscheidung ist für Kommunen von entscheidender Bedeutung: Nur eine Dienstleistungskonzession eröffnet die neuen, vorteilhaften Direktvergabeoptionen der VO (EG) Nr. 1370/2007 für den kommunalen ÖPNV. Und auch nur Dienstleistungskonzessionen eröffnen nach dem Wortlaut der Verordnung das vereinfachte Rechtsregime zur Legalisierung von potentiell verbotenen öffentlichen Ausgleichsleistungen. Dienstleistungsaufträge sind dagegen grundsätzlich voll ausschreibepflichtig.

Für diese Unterscheidung, so der BGH, komme es darauf an, welches Marktrisiko das beauftragte Unternehmen tragen soll. Wenn dem beauftragten Unternehmen das Marktrisiko abgenommen werde, dann könne von einer Konzession keine Rede sein. So im entschiedenen Fall: Der S-Bahn-Betrieb werde im Wesentlichen durch öffentliche Zuzahlungen rentabel.

Der BGH beruft sich dabei auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Warum er den Fall nicht dem EuGH vorgelegt hat, bleibt nach der Pressemitteilung rätselhaft. Immerhin hatte der EuGH in der Rechtssache „WAZV Gotha“ (Rs. C 206/08) der Idee einer künstlichen Verschärfung unternehmerischer Risiken für Konzessionäre eine deutliche Absage erteilt.

Europaweite Ausschreibungspflicht

Das heißt für kommunale Verkehrsbetriebe: Da sie maßgeblich aus dem steuerlichen Querverbund finanziert werden, wäre die standardmäßige Betrauung mit dem Betrieb der Busse, Straßen- und U-Bahnen ein echter öffentlicher Dienstleistungsauftrag, der europaweit nach dem allgemeinen Vergaberecht ausgeschrieben werden müsste. Für das kommunale Unternehmen, das sich seine Aufträge nach Verlust seines Heimartmarkts nicht einfach anderswo suchen kann, wäre das womöglich das Aus.

Dazu kommt, dass damit die beihilferechtliche Privilegierung im Rahmen des Anhangs zur VO (EG) Nr. 1370/2007 in Frage stünde.

Für Nordrhein-Westfalen besteht eventuell sogar noch eine gefährliche Sondersituation: Aufgrund der Einschränkung in § 2 Ziffer 10 ÖPNVG könnten Direktvergabe sowohl im Rahmen von Dienstleistungsaufträge wie auch Konzessionen – wenn überhaupt – nur noch in sehr engem Grenzen möglich sein. Nur in Bundesländern, in denen sich eine entsprechende Regelung nicht findet, wäre ein absoluter Zwang zur Ausschreibung im Wettbewerb für solche ÖPNV Aufträge entzogen, die rechtmäßig im Rahmen der VO (EG) Nr. 1370/2007 erteilt werden. Für solche Aufträge gilt das Privileg der Direktbeauftragung interner Betreiber nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 .

Das Urteil wird sich sehr wahrscheinlich schon bald ganz konkret auswirken – im anhängigen Verfahren vor dem OLG Düsseldorf nämlich, wo es um die Direktvergabe des ÖPNV im Münsterland geht (Az. VK 6/10). Das Urteil wird für Anfang März erwartet. Eigentlich müsste die Frage nach den Voraussetzungen einer Dienstleistungskonzession dem EuGH vorgelegt werden. Ob das OLG Düsseldorf sich aber dazu entschließt, erscheint vor dem Hintergrund der aktuellen Entscheidung des BGH unsicher.

Was tun?

Um so wichtiger ist es jetzt, im konkreten Betrauungsverhältnis nach Kräften alles zu vermeiden, was für eine Qualifizierung als vergaberelevanter Dienstleistungsauftrag spricht. Der Betrauungsakt muss exakt nach den Kriterien des Europarechts für Dienstleistungskonzessionen ausgestaltet werden.

Nur Aufträge in Form von Dienstleistungskonzessionen stehen unter dem Schutz der VO (EG) Nr. 1370/2007. Entscheidend dafür ist, dass dem Verkehrsunternehmen Freiraum für eigene unternehmerische Betätigung eingeräumt wird. Kontraproduktiv ist es, Austauschverträge mit dem Aufgabenträger abzuschließen oder Fahrleistungen gegen Bezahlung zu bestellen.

Vorhandene Betrauungen und öffentliche Dienstleistungsaufträge sollte man jetzt unbedingt daraufhin analysieren. Fehlt es an einer der wesentlichen Voraussetzungen einer Dienstleistungskonzession, sind rasche Anpassungen in jedem Fall zu empfehlen.

Zeit für politisches Handeln

Damit wird deutlich: Die Gefahren für den kommunalen ÖPNV kommen nicht aus Europa. Das Problem sind die Justiz mit ihrer restriktiven Interpretation von Dienstleistungskonzessionen und die eher wettbewerbsfreundlichen bzw. direktvergabefeindlichen Gesetzgebung in Deutschland.

Jetzt ist die Zeit gekommen, politisch das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen: Die Kommunalwirtschaft muss jetzt zusammen mit den Verbänden ihre Interessen politisch durchsetzen. Die nationalen Vorschriften müssen mit Blick auf die Direktvergabeoptionen der VO (EG) Nr. 1370/2007 überprüft werden.

Ansprechpartner: Dr. Christian Jung/Dr. Sascha Michaels

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