Glück gehabt: EU-Kommission erleichtert staatliche ÖPNV-Finanzierung

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Die Zeit der Unsicherheit, ob und wie der Staat klammen Nahverkehrsverbünden unter die Arme greifen darf, hat ein Ende: Der jüngst veröffentlichte Beschluss der EU-Kommission (Az. C 58/06 vom 23.2.2011) im Fall Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR), der jetzt in einer amtlichen Fassung auf den Internetseiten der Europäischen Kommission abrufbar ist (Beschluss K(2011)632 endg.), weist einen Weg, staatliche ÖPNV-Zuwendungen beihilfenrechtlich sauber zu gestalten.

Das Ergebnis: Die Ausgleichsleistungen, die zwei kommunale Verkehrsunternehmen einerseits direkt aus öffentlichen Mitteln der beteiligten Aufgabenträger über das Umlagesystem des VRR, andererseits über den Verlustausgleich im steuerlichen Querverbund erhalten hatten, waren zwar nicht gemäß der „Altmark Trans“-Kriterien des EuGH (Urt. v. 24.7.2003, C 280/00 – „Altmark Trans“) vom Beihilfenverbot befreit, standen aber jedenfalls im überprüften Zeitraum (2006 – 2009) im Einklang mit den Vorgaben der VO (EG) Nr. 1370/2007 und sind damit rechtmäßig. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass diese Verordnung, die den Prüfungsmaßstab im Vergleich zu Altmark-Trans-Rechtsprechung deutlich vereinfacht, im genannten Zeitraum noch gar nicht in Kraft getreten war. Eine andere Legalisierungsmöglichkeit fand sich aber nicht, um die in vielerlei Hinsicht missglückte Betrauung im VRR zu retten. Insofern hatten die Unternehmen im VRR viel Glück, dass die Kommission sich auf diesen Ausweg einließ.

Ende einer langjährigen Zitterpartie

Mit dem Beschluss vom 23.2.2011 findet eine jahrelange Zitterpartie um die Rechtmäßigkeit des öffentlichen Fehlbedarfsausgleichs – nicht nur im VRR, sondern im gesamten deutschen ÖPNV – ein vorläufiges Ende. Die Prüfung des VRR-Finanzierungssystems hatte sich aufgrund der sehr komplex gestalteten Finanzierungsstruktur sowie einer von Anfang an fehlerhaften Definition der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, die für die beihilfenrechtliche Rechtfertigung erforderlich sind, über fast zehn Jahre hingezogen. Mit dem aktuellen Beschluss beschreibt die Kommission nun einen rechtlich gangbaren Weg für eine beihilfenrechtskonforme öffentliche Finanzierung des ÖPNV, dessen Voraussetzungen auf jede öffentliche Co-Finanzierung in Deutschland übertragbar sind.

Liniengenehmigungen als Grundlage

Kern einer jeden beihilfenrechskonformen ÖPNV-Finanzierung ist nicht etwa die beliebige Festlegung, welche potentiell defizitären Aufgaben ein Verkehrsunternehmen übernimmt, sondern ausschließlich eine rechtsverbindliche und hoheitliche Betrauung eines Unternehmens mit gemeinwohlorientierten Verpflichtungen im Sinne von Art. 106 II AEUV. Nach Ansicht der Kommission liegt diese Betrauung unter den Bedingungen des deutschen Personenbeförderungsrechts in erster Linie in den Linienverkehrsgenehmigungen des jeweiligen Verkehrsunternehmens. Der beihilfenrechtlich zulässige Ausgleichsbetrag darf daher anhand des erforderlichen Aufwands abzüglich aller Erträge bestimmt werden – unabhängig der kommerziellen Tragfähigkeit einzelner Linien oder Fahrten. Eine künstliche Aufteilung der genehmigten Linienverkehrsleistung in defizitäre und kommerziell tragfähige Leistungsbestandteile, wie sie die VRR-Betrauung vorsah, ist ausdrücklich nicht erforderlich.

Gleichwohl bedarf es für eine beihilfenrechtskonforme Finanzierung weiterhin zusätzlicher Absicherungsmaßnahmen. Diese bestehen in rechtlich verbindlich vorgegebenen Transparenzakten, wie einer nachvollziehbaren Trennungsrechnung, effektiven Rückforderungsmechanismen für den Fall einer Überkompensation, einem Anreizelement und der Ergänzung obligatorischer Pflichtangaben, wie zum Beispiel Art und Umfang der über Liniengenehmigungen gewährten ausschließlichen Rechte sowie einer gegebenenfalls zulässigen Subunternehmerquote für den Fall der Unterauftragsvergabe. Insofern reicht die personenbeförderungsrechtliche Liniengenehmigung für die beihilfenrechtliche Absicherung allein nicht aus.

Multipolare Betrauungsakte

Die Betrauung bzw. der „öffentliche Dienstleistungsauftrag“ darf nach der VO (EG) Nr. 1370/2007 ausdrücklich aus mehreren eigenständigen Rechtsakten des nationalen Rechts bestehen, die die Verpflichtungen des Verkehrsunternehmens komplettieren. Liniengenehmigungen dürfen somit auf Seiten des Aufgabenträgers im Rahmen einer mehrfachen Betrauung auch durch einen kommunalen Nahverkehrsplan und kommunale Finanzierungsrechtsakte flankiert werden, um allen obligatorischen Inhalten einer beihilfenrechtskonformen Betrauung zu genügen. Entscheidend ist dabei, dass dem Unternehmen sowohl die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen als auch die Voraussetzungen und Grenzen für die Ausgleichsleistung stets rechtsverbindlich und mit den Mitteln des öffentlichen Rechts auferlegt werden. Der „öffentliche Dienstleistungsauftrag“ muss demnach als die Summe aller verbindlichen Rechtsakte zuständiger Behörden des nationalen Rechts – also auch der Kommunen – verstanden werden, die den gemeinwirtschaftlichen Pflichtenkanon eines Unternehmens hoheitlich festlegen und die dafür gewährten Vorteile im Wettbewerb beschreiben.

Altmark Trans im Praxistest

Das Altmark-Trans-Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2003 stellt Kriterien auf, wie eine beihilfenrechtlich korrekte Finanzierung im ÖPNV auszusehen hat. Dazu zählt die Anforderung, dass die Ausgleichszahlungen nicht die Kosten übersteigen, die bei einem „durchschnittlichen, gut geführten“ Unternehmen angefallen wären. Wie in allen vorhergehenden Beihilfenprüfverfahren den ÖPNV betreffend wird im VRR-Beschluss erneut deutlich, dass ein analytischer Nachweis dieses sog. vierten Altmark-Trans-Kriteriums in der Praxis nicht umsetzbar ist. Ein solcher Kostenvergleich müsste sich nämlich an den Kostenniveaus kommerzieller Wettbewerber orientieren, also von Unternehmen, die gewinnorientiert arbeiten und dabei erfolgreich sind. Diesen Kostenmaßstab erreichen die allermeisten kommunalen Unternehmen i.d.R. schon aufgrund ihrer marktunüblichen Personalkosten nicht. Die Tariflöhne des öffentlichen Dienstes lagen eben immer schon um mindestens 20 % höher als die des privaten Omnibusgewerbes. Wenn dann sogar, wie in der VRR-Fördersatzung geschehen, ausdrücklich eine eigene Kostenkategorie für „politisch induziert überhöhte“ Personaltarife ausgewiesen ist, so zeigt das laut Kommission, dass die Unternehmen im VRR eindeutig nicht zu Kosten produzieren können, die dem Lohnniveau von Verkehrsunternehmen entsprechen, die sich im Wettbewerb behaupten müssen.

Damit scheidet eine beihilfenrechtliche Absicherung nach dem „Altmark-Trans“-Standard in der kommunalen Verkehrswirtschaft in den allermeisten Fällen aus.

Ausweg in der Not

Für die kommunalen Unternehmen bedeutet ein Beihilfenverstoß aber nicht nur, dass zuviel gezahlte Ausgleichsleistungen zurückgezahlt werden müssen. Wirtschaftlich schwerwiegender ist, dass der Beihilfenrechtsverstoß die Ergebnisabführungsverträge im Querverbund rückwirkend unwirksam macht. Damit fiele augenblicklich eine der tragenden ÖPNV-Finanzierungssäule für defizitäre kommunale Verkehrsunternehmen, nämlich der Steuervorteil im kommunalen Querverbund, aus.

Mangels anderer Rechtfertigungsmöglichkeiten rettete die Kommission das VRR-Finanzierungssystem mit einer juristisch großzügigen Ausdehnung des Anwendungszeitraums der VO (EG) Nr. 1370/2007, die einen vereinfachten Prüfungsstandard ohne Anwendung des problematischen vierten Altmark-Trans-Kriteriums kennt. Die Verordnung soll jetzt auch auf alle Altfälle vor ihrem Inkrafttreten anwendbar sein, so dass bei einer im Übrigen vollständigen Betrauung gemäß der ersten drei „Altmarkt-Trans“-Kriterien sowohl für die Vergangenheit als auch in der Gegenwart regelmäßig keine Rechtsnachteile drohen.

Linienverkehrsgenehmigungen enthalten ausschließliche Bedienungsrechte im Sinne der VO (EG) Nr. 1370/2007

Schließlich stellt die Kommission in ihrem Beschluss ausdrücklich fest, dass die deutsche Linienverkehrsgenehmigung nach Personenbeförderungsgesetz (PBefG) ein ausschließliches Bedienungsrecht im Sinne der VO (EG) Nr. 1370/2007 darstellt. Diese Auffassung hatte die Kommission zuvor schon in ihrem Beschluss zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens in Sachen „VRR“ vom 20.12.2006 (Entsch. v. 20.12.2006, C 58/06 – Bahnen der Stadt Mohnheim und Rheinische Bahngesellschaft im VRR, Rdnr. 11 u. 12)  sowie in der Begründung zur ersten Entwurfsfassung der VO (EG) Nr. 1370/2007 aus dem Jahre 2000 (KOM(2000) 7 endgültig vom 26.7.2000, dort im Anhang, S. 16) vorgetragen. Die Auslegung der EU-Kommission wird zudem seit vielen Jahren durch die EuGH-Rechsprechung (EuGH, Urteil vom 25. 10. 2001, C-475/99 – „Ambulanz Glöckner“) zur Definition ausschließlicher oder besonderer Rechte flankiert, wonach jede staatlich verliehene Rechtsposition, die den Marktzugang Dritter im selben Gebiet zu ähnlichen Bedingungen erschwert, als ein solches exklusives Bedienungsrecht gilt.

Für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens hatte die Feststellung ausschließlicher Rechte allerdings keine Bedeutung. Damit kann diese ohne Not geäußerte, jedoch sehr deutliche Auslegungshilfe wohl nur als Fingerzeig der Kommission an den deutschen Gesetzgeber verstanden werden, das PBefG nunmehr endlich vollständig an die Vorgaben der VO (EG) Nr. 1370/2007 anzupassen.

Wichtig ist dieser Hinweis aber auch für die Rechtsanwender: Denn eine Beschreibung von Art und Umfang der durch Liniengenehmigungen gewährten Ausschließlichkeitsrechte gehört unbedingt zu den obligatorischen Inhalten eines jeden öffentlichen Dienstleistungsauftrags gemäß der VO (EG) Nr. 1370/2007. Daher sollte spätestens jetzt, nach der Kommissionsentscheidung vom 23.2.2011, in den kommunalen Teil jedes öffentlichen Dienstleistungsauftrags eine deklaratorische und transparente Beschreibung von Art und Umfang des über § 13 Abs. 2 Nr. 2 PBefG gewährten Ausschließlichkeitsschutzes aufgenommen werden.

Akuter Handlungsbedarf

Für Unternehmen und Aufgabenträger, die neben den Liniengenehmigungen noch keine weiteren Absicherungsmaßnahmen im Sinne des aktuellen Beihilfenbeschlusses ergriffen haben oder deren bestehendes Betrauungsregime nicht den besagten Voraussetzungen entspricht, besteht jetzt akuter Handlungsbedarf. Die aus der Spruchpraxis von Kommission und EuGH bekannten Voraussetzungen für eine beihilfenrechtskonforme Finanzierung öffentlicher Verkehrsleistungen sind für den deutschen ÖPNV-Sektor am 23.2.2011 noch einmal ausdrücklich bekräftigt worden und stehen damit eindeutiger fest als je zuvor. Die allermeisten „Bestands-“ bzw. „Alt-Betrauungen“ in Deutschland auf Grundlage der Almark-Trans-Kriterien werden diesen Voraussetzungen nicht gerecht. Insofern sollten diese Betrauungen jetzt einer Revision unterzogen werden.

Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen sollten sich bewusst werden, dass nicht das Steuerrrecht die Grundlage ihrer Finanzierung darstellt, sondern in allererster Linie das Beihilfenrecht – also reines Europarecht. Der schönste Steuervorteil nützt nichts, wenn die darunter liegenden Rechtsbeziehungen wegen Beihilfenrechtswidrigkeit nichtig sind.

Unser ÖPNV-Beratungs-Team am Standort Köln steht Ihnen mit seiner langjährigen verkehrswirtschaftlichen und europarechtlichen Expertise bei der Erarbeitung von beihilfenrechtskonformen Betrauungsakten gerne mit Rat und Tat zur Verfügung.

Ansprechpartner: Dr. Christian Jung

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