Sackgasse Infrastrukturabgabe

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Mit der geplanten Infrastrukturabgabe – landläufig auch als PKW-Maut bekannt – sollte die Finanzierung der Verkehrswege in Deutschland grundlegend umstrukturiert werden. Das BMVI hatte sich durch den Fokus auf die Nutzerfinanzierung eine bessere Planungssicherheit für Infrastrukturprojekte versprochen: Die Maut-Einnahmen sollten zweckgebunden in die Verkehrsinfrastruktur fließen. Nun erteilte der EuGH dem Vorzeigeprojekt gleich zweier Bundesverkehrsminister eine Absage.

Dabei war die Idee einer Infrastrukturabgabe von vornherein nicht unumstritten; sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat gab es kritische Stimmen, einige europäische Nachbarländer – insbesondere Österreich – waren alles andere als begeistert von dem Vorhaben und die EU-Kommission forderte Nachbesserungen an der ursprünglichen, bereits im März 2015 im Bundestag beschlossenen PKW-Maut. Nachdem der damalige Verkehrsminister Alexander Dobrindt einige Details am Maut-Konzept entsprechend angepasst hatte, beschloss der Bundestag im März 2017 die überarbeitete Infrastrukturabgabe.

Diese sah vor, dass für in Deutschland zugelassene Pkw und Wohnmobile eine jährliche Infrastrukturabgabe zu zahlen ist, wodurch eine individuelle elektronische Vignette freigeschaltet wird. Die Höhe der Abgabe sollte sich nach dem Pkw-Hubraum bemessen und eine maximale Höhe von 130 Euro nicht überschreiten. Allerdings sollte es für die Pkw-Halter in Deutschland keine Mehrbelastung geben; deshalb sah das Konzept vor, die Infrastrukturabgabe durch eine Entlastung der Kfz-Steuer vollständig zu kompensieren.

Halter von nicht in Deutschland zugelassenen Pkw und Wohnmobilen sollten nur dann zur Kasse gebeten werden, wenn sie Bundesautobahnen nutzen. Deshalb waren hier auch verschiedene Kurzzeittarife vorgesehen.

Eine ökologische Lenkungswirkung sah man im BMVI dadurch gegeben, dass emissionsarme Fahrzeuge der Emissionsklasse Euro 6 von einem besonders günstigen Tarif profitieren und die Vignettenpreise grundsätzlich nach Schadstoffintensität und Größe der Fahrzeuge differenziert werden.

Österreich war der Ansicht, dass Deutschland mit der Festlegung der Infrastrukturabgabe gegen mehrere Bestimmungen des Unionsrechts verstoßen habe. Die Infrastrukturabgabe sowie die Steuerentlastung für Halter inländischer Fahrzeuge hätten in dieser Verbindung zur Folge, dass allein die Fahrer von Fahrzeugen, die in anderen Mitgliedstaaten zugelassen seien, dieser Infrastrukturabgabe unterlägen, was für Österreich in Folge eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellte.

Die Quintessenz: Pkw-Halter aus dem Auslandsind sind danach zahlungspflichtig, während die Abgabe für deutsche Autofahrer durch die Verringerung der Kfz-Steuer ein Nullsummenspiel bedeutet. Mit dieser Argumentation erhob Österreich eine Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland.

Noch im Februar dieses Jahres hatte der EuGH-Generalanwalt Nils Wahl dem Gerichtshof empfohlen, die Klage Österreichs abzuweisen. Österreich habe den Begriff „Diskriminierung“ grundlegend missverstanden, inländische und ausländische Pkw-Halter seien zwar in Hinblick auf die Benutzung der deutschen Autobahnen vergleichbar, nicht aber in Hinblick auf ihre Rolle als (deutscher) Steuerzahler. Die Kosten des deutschen Autobahnnetzes, die bisher hauptsächlich von den hier ansässigen Steuerzahlern getragen würden, würden auf alle Nutzer, einschließlich der Fahrer ausländischer Fahrzeuge, umgelegt werden. Ohne die Erleichterung  über das Steuerrecht würden die inländischen Fahrzeughalter umgekehrt unverhältnismäßig hoher Besteuerung unterworfen, sollten sie neben der Infrastrukturabgabe auch kraftfahrzeugsteuerpflichtig sein.

Vor dem EuGH bekam nun schließlich Österreich Recht: Die Infrastrukturabgabe in dieser Form widerspricht dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und verstößt gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs. Denn die wirtschaftliche Last der Infrastrukturabgabe werde allein von Haltern aus anderen Mitgliedstaaten getragen, so der EuGH. Das vom BMVI propagierte Verursacherprinzip werde nicht konsequent zu Ende gedacht, da für Pkw-Halter in Deutschland durch die Kompensation der Kfz-Steuer und die fehlende Option, entsprechend ihrer Fahrgewohnheiten auch Kurzzeitvignetten zu erwerben, weiterhin das Steuerfinanzierungsprinzip gelte.

Für das BMVI und den amtierenden Verkehrsminister Andreas Scheuer kommt das Urteil nach der Freigabe des Konzepts durch die Kommission und dem Signal des Generalanwalts überraschend. Es stellt sich nun nicht nur die Frage, ob das Projekt Infrastrukturabgabe einen grundlegenden Relaunch erfährt, in dem der Knackpunkt, wer die Kosten trägt (und wer nicht) völlig neu verhandelt werden müsste. Es könnten außerdem finanzielle Ansprüche auf den Bund von den Dienstleistern zukommen, die das Verkehrsministerium bereits für die praktische Umsetzung und den Betrieb der Infrastrukturabgabe beauftragt hatte.

Schließlich gilt in Vergabeverfahren die Pflicht zur Beachtung der Vergabereife. Das Gebot der Vergabereife ist zwar nur in § 2 Abs. 8 VOB/A-EU explizit normiert, durchzieht aber als allgemeine Voraussetzung das gesamte Vergaberecht. Das OLG Düsseldorf hat am Beispiel eines Vergabeverfahrens nach der SektVO in einem Urteil vom 27.11.2013 (Verg 30/13) die Pflichten eines Auftraggebers in Bezug auf Vergabereife wie folgt beschrieben:

„Der Auftraggeber soll erst ausschreiben, wenn alle Vergabeunterlagen fertiggestellt sind und wenn innerhalb der angegebenen Fristen mit der Ausführung begonnen werden kann. Dabei handelt es sich um eine vom Auftraggeber einzuhaltende Schutzvorschrift zu Gunsten der am Auftrag interessierten Unternehmen. (…)

Zweite Voraussetzung einer Ausschreibungsreife ist, dass die rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen an den Beginn der Leistungsausführung gegeben sind. Dazu gehört zum Beispiel eine gesicherte Finanzierung, aber nicht nur diese. Der Auftraggeber (die Vergabestelle) muss vor der Ausschreibung vielmehr alle rechtlichen – gleichviel ob privat- oder öffentlich-rechtlichen – Voraussetzungen dafür schaffen, dass mit den ausgeschriebenen Leistungen innerhalb der in den Vergabeunterlagen angegebenen Fristen begonnen werden kann (…). Bieter dürfen darauf vertrauen, dass der Auftraggeber das Vergabeverfahren zulässigerweise mit einem Zuschlag beenden kann und wird.“

Bei einem schwebenden EuGH-Verfahren, das mit einem Vertragsverletzungsverdikt gegen den ausschreibenden Auftraggeber enden kann, ist es fraglich, ob alle rechtlichen Voraussetzung für eine erfolgreiche Zuschlagserteilung geschaffen sind. Die Folge sind mögliche Schadensersatzansprüche, und zwar der erfolgreichen wie der erfolglosen Bieter. Die Pflicht zur Herstellung von Vergabereife ist nämlich klassisch drittschützend. Bezahlt werden würden diese Schadensersatzforderungen aus dem Haushalt des Bundesverkehrsministeriums.

Ansprechpartner: Dr. Dörte Fouquet/Dr. Christian Jung/Dr. Roman Ringwald/Dr. Sascha Michaels

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