Stationspreisentscheidung des BGH vom 12.11.2013: Stations- und Trassenpreissysteme der Bahn unter Beschuss

(c) BBH
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Die Deutsche Bahn hat seit 2005 den Verkehrsbetrieben zu viel Geld für die Nutzung ihrer Bahnhöfe abgenommen. Das hat am 12.11.2013 der Bundesgerichtshof (BGH) in letzter Instanz festgestellt und damit die seit mehr als fünf Jahren rollende Welle von Rechtsstreitigkeiten dazu beendet.

Für jeden Haltevorgang an einem Personenbahnhof der DB Station & Service AG ist ein so genanntes Stationsnutzungsentgelt zu bezahlen. Die DB Station & Service AG, eine 100 prozentige Tochter der Deutschen Bahn, betreibt nahezu alle Personenbahnhöfe in Deutschland – mehr als 5.400. Jedes Verkehrsunternehmen, innerhalb und außerhalb des DB-Konzerns, das Beförderungsleistungen mit der Eisenbahn anbieten möchte, ist somit auf einen Nutzungsvertrag mit der DB Station & Service angewiesen. Ohne Zugang zum Bahnhof kein Eisenbahnverkehr!

Entgelte für Zughalte in Personenbahnhöfen werden seit 1999 verlangt. Zum 1.1.2005 führte die Bahn jedoch ein grundlegend neues System zur Berechnung ihrer Bahnhofsnutzungsgebühren ein. Bis Ende 2004 waren die Kosten des konkret angefahrenen Bahnhofs maßgeblich. Im Stationspreissystem 2005 wurden dagegen sämtliche Bahnhöfe in sechs Kategorien eingeteilt und für jede dieser Kategorien Einheitspreise pro Zughalt festgelegt, die wiederum in jedem Bundesland unterschiedlich waren. Anbieter von Eisenbahnbeförderungsleistungen bezahlen seither also nicht mehr für die von ihnen tatsächlich angefahrenen Bahnhöfe, sondern anteilig die Kosten aller Bahnhöfe einer bestimmten Kategorie in ihrem jeweiligen Bundesland.

Schon die Zuordnung der Bahnhöfe zu diesen Kategorien ist in hohem Maße intransparent und hängt von einer Reihe mehr oder weniger willkürlich gewählter quantitativer Faktoren ab. Welche Kosten im Einzelnen den Bahnhöfen zugeordnet werden und ob tatsächlich alle öffentlichen Investitionszuschüsse davon abgezogen werden, hat die DB Station & Service nie offengelegt. Ferner blieb völlig unklar, warum es nur zwei Zuglängenklassen gab und ab einer Zuglänge von 181 Metern lediglich der doppelte Einheitspreis zu bezahlen war. Nahverkehrszüge kommen in aller Regel auf nicht mehr als 90 Meter Länge, halten aber wesentlich häufiger und verursachen bei weitem nicht die Infrastrukturkosten des Fernverkehrs. Den Verdacht, dass mit diesem neuen System der Fernverkehr zu Lasten des Nahverkehrs quersubventioniert werden sollte, konnte die Deutsche Bahn nie ausräumen.

Für die Nahverkehrsunternehmen führte die Einführung des Stationspreissystems 2005 jedenfalls zu einer drastischen Verteuerung. Für manche Anbieter in Baden-Württemberg haben sich die Preise mehr als verdreifacht. Allein das wäre schon unerfreulich genug – die eigentlich Leidtragenden dieser Verteuerung der Infrastrukturnutzung waren aber die Steuerzahler und die Bahnfahrer. Der Nahverkehr auf der Schiene wird von den Bundesländern bestellt und bezahlt. Nutzungsentgelte für Bahnhöfe und Eisenbahntrassen sind dabei durchlaufende Posten, d.h. in voller Höhe in der Gesamtvergütung für die Nahverkehrsleistung enthalten. Die Mehrerlöse der Bahn aufgrund ihrer Umstellung des Stationspreissystems stammen also aus den Kassen der Länder. Nachdem auch nach Einführung des Stationspreissystems 2005 die Einheitspreise pro Zughalt ebenso wie die Trassennutzungsgebühren jedes Jahr deutlich angehoben wurden, sind manche Länder und SPNV-Aufgabenträger inzwischen am Ende ihrer finanziellen Möglichkeiten angelangt. Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben deshalb bereits Nahverkehrsleistungen abbestellt; andere Bundesländer denken notgedrungen darüber nach. Die Folge wären weniger Zugverbindungen, somit ein schlechterer Schienenverkehr für alle.

Sechs Eisenbahnverkehrsunternehmen, die nicht zum DB-Konzern gehören und hauptsächlich im Nahverkehr tätig sind, ließen sich derart dramatische und logisch nicht nachvollziehbare Preissteigerungen von Anfang an nicht gefallen. Sie stellten im Jahr 2007 ihre Zahlungen entweder vollständig ein oder kürzten ihre Stationsnutzungsentgelte auf das konkret kostenorientierte Niveau des Jahres 2004. Damit konnte sich begreiflicherweise die DB Station & Service nicht abfinden und klagte im Jahr 2008 auf Zahlung der Differenzbeträge. Rückforderungsklagen weiterer Verkehrsunternehmen kamen später noch hinzu. Insgesamt waren vor der Entscheidung des BGH vom 12.11.2013 27 Klageverfahren wegen überhöhter Stationspreise anhängig. Dabei ging es in der Summe um 43,6 Millionen Euro.

An vorderster Front kämpften stets die Bodensee-Oberschwaben-Bahn GmbH & C. KG, ein rein kommunales Eisenbahnverkehrsunternehmen aus Baden-Württemberg und von Becker Büttner Held vertreten, und die metronom Eisenbahngesellschaft mbH aus Niedersachsen.

Anders als die erste Instanz hatte das Kammergericht (KG) in der Berufung den Verkehrsunternehmen Recht gegeben. Die Bahn hatte ihre Preise stets mit dem Argument zu rechtfertigen versucht, dass sie diese bereits bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) zur Kontrolle vorgelegt habe und die Zivilgerichte ihre Angemessenheit überhaupt nicht mehr zusätzlich prüfen dürften. Des weiteren, so die Bahn, sei es europarechtswidrig, Nutzungsentgelte für Infrastruktur an den tatsächlichen Kosten zu orientieren und dem Betreiber keinen eigenen „Gestaltungsspielraum“ mehr zu belassen, weshalb die Sache eigentlich beim Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden werden müsste.

Allen diesen Argumenten hatte schon das Kammergericht in der Berufungsentscheidung vom 29.10.2012 eine glatte Absage erteilt (wir berichteten). Mit ihrer Beschwerde zum BGH, um dort die Zulassung der Revision zu erzwingen, hatte die Bahn nicht mehr Erfolg. Der BGH hatte ja bereits am 18.10.2011 in seinem Urteil zu den Stornierungsentgelten im Trassenpreissystem 2008 grundsätzlich festgestellt, dass die Preisregulierung durch die BNetzA und die Angemessenheitskontrolle durch die Zivilgerichte völlig unterschiedliche Ziele verfolgen und deshalb durchaus nebeneinander stehen können. Davon ließ sich das höchstinstanzliche deutsche Zivilgericht auch diesmal nicht abbringen. Der Einwand der Bahn, dass Preise, die im Einzelfall von den Gerichten als angemessen angesehen werden, nicht „diskriminierungsfrei“ – d. h. flächendeckend – umzusetzen seien, überzeugte weder das Kammergericht noch die Revisionsrichter in Karlsruhe.

Folgerichtig hat der Kartellsenat des BGH am 12.11.2013 gleich in fünf von acht Verfahren, die ihm zur Revisionsannahme vorlagen, die Nichtzulassungsbeschwerden der DB Station & Service zurückgewiesen. Drei Verfahren sind in der letzten Instanz noch anhängig. Über diese wird wohl nicht vor Ablauf des ersten Quartals 2014 entschieden werden, weil sich mit dem Ausscheiden des derzeitigen Präsidenten Anfang 2014 auch die Besetzung des Kartellsenats ändern wird. Wir rechnen allerdings nicht damit, dass der BGH in den noch ausstehenden Verfahren von seiner bisherigen Rechtsprechungslinie in der Sache abweichen wird.

Dass der BGH fünf Nichtzulassungsbeschwerden ohne nähere Begründung mit dem schlichten Hinweis zurückgewiesen hat, dass die Rechtssachen weder grundsätzliche Bedeutung hätten noch eine revisionsgerichtliche Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre, ist als starkes Signal in Richtung der Beschwerdeführerin zu werten. Die Bahn wird sich endlich der Erkenntnis stellen müssen, dass sie gerade in ihren Monopolbereichen auch den Schranken des allgemeinen Zivilrechts unterliegt. Dazu gehören bei einem Monopolisten, der seine Preise einseitig festlegen kann, Transparenz, Nachvollziehbarkeit und sachliche Rechtfertigung der Preisbildung in jedem Einzelfall.

Die Beschlüsse vom 12.11.2013, so knapp sie auch gehalten sind, werden bundesweite Bedeutung entfalten. Für alle Bundesländer und SPNV-Anbieter sind Rückforderungen überhöhter Stationsnutzungsentgelte für das Jahr 2010 noch nicht verjährt, sofern rechtzeitig vor Jahresende noch verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen werden. Die parallele Konstellation, dass die Bahn einseitig die Preise festlegt, gibt es überdies in gleicher Weise bei den Trassenentgelten. Dort fordern die Länder jetzt schon  mehr als 160 Mio. Euro von der DB Netz AG zurück. Dem wird die Bahn jedenfalls nicht mehr mit dem oberflächlichen Argument entgegentreten können, die eisenbahnrechtliche Regulierung der BNetzA reiche aus und eine doppelte Kontrolle dürfe es nicht geben.

Für die Bahnfahrer ist das alles eine gute Nachricht. Die Mittel, welche die Länder für den Schienenpersonennahverkehr ausgeben können, sind durch das Regionalisierungsgesetz (RegG) begrenzt. Jeder Euro, der nicht in die Infrastrukturnutzungsentgelte fließen muss, steht für echte Verkehrsangebote zur Verfügung. In den letzten zwölf Jahren ist dieser Finanzierungsspielraum bereits um über 12 Prozent geschrumpft. 2012 konnten nurmehr 30,5 Prozent der Regionalisierungsmittel für Beförderungsleistungen investiert werden – bei weiter fallender Tendenz. Es bleibt zu hoffen, dass den Gerichten gelingt, was der Politik bisher nicht gelungen ist: eine echte Trendumkehr zum Nutzen des öffentlichen Personennahverkehrs und seiner Nutzer. Für die künftige Ordnungspolitik zeigt die Entwicklung der Stationspreisverfahren eindeutig: Eine Kontrolle allein durch eine Regulierungsbehörde reicht nicht aus. Daneben bedarf es strikter und effizienter Rechtsanwendung, und dazu sind nur unabhängige Gerichte in der Lage. Von daher war das Scheitern des geplanten Eisenbahnregulierungsgesetzes, das die Zuständigkeit der Zivilgerichte für die Überprüfung von Stations- und Trassenpreisen ausgeschlossen hätte, im Juli dieses Jahres ordnungspolitisch sogar ein Glücksfall.

Ansprechpartner: Dr. Christian Jung/Folkert Kiepe/Tillmann Specht

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