Wie Sachsen seine Kommunen zur Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen zwingen möchte

Markenstrategien sind Geschäftsgeheimnis. Das zu schützen, ist ein wichtiger Baustein der Marktwirtschaft, denn ohne das Überraschungsmoment ist jeder wirtschaftliche Wettbewerb ausgehöhlt. Schon deshalb ist es geboten, dass die Rechtsordnung Geschäftsgeheimnisse respektiert und den zur Verantwortung zieht, der sie verrät. In Sachsen sieht man das jetzt anders – soweit es kommunale Unternehmen betrifft.

Der Sächsische Landtag diskutiert gegenwärtig über eine Kommunalreform mit dem vollmundigen Titel „Gesetz zur Fortentwicklung des Kommunalrechts“ (LT-Drs. 5/11912). Darin ist ein neuer § 94 a SächsGemO (Wirtschaftliche Unternehmen) enthalten, der größtenteils dem bisherigen § 97 SächsGemO entspricht, in einem Punkt aber Sprengstoff enthält: Er sieht zwingend vor jeder wesentlichen unternehmerischen Entscheidung der Gemeinde vor, dass die betroffenen wirtschafts- und berufsständischen Kammern Stellung nehmen können müssen (neuer § 94 a Abs. 1 Satz 2 SächsGemO). Das gilt zum Beispiel für Entscheidungen des Gemeinderats über Unternehmensgründungen, -beteiligungen und wesentliche Änderungen (zum Beispiel Geschäftszweck).

Darüber, wie weit diese Pflicht genau reicht, lässt das Gesetz die Gemeinden aber im Unklaren. Erfordert bereits die bloße Ausübung des Tagesgeschäfts eines kommunalen Unternehmens eine Stellungnahme der Kammern? Nach dem Gesetz genügt es dafür, dass die Gemeinde ein wirtschaftliches Unternehmen „unterhält“. Ausgenommen sind lediglich Betätigungen, bei denen die Gemeinde ihren gesetzlichen Verpflichtungen zur Abfall- und Abwasserentsorgung oder Wasserversorgung nachkommt sowie Hilfsbetriebe, die für den Markt keine Bedeutung haben, da sie alleine den Bedarf der Gemeinde decken sollen (neuer § 94 a Abs. 3 SächsGemO). Für alle anderen Vorhaben muss die Gemeinde die Vertretungsorgane ihrer Konkurrenz dagegen amtlich in Kenntnis setzen und diesen Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Besonders sachgerecht scheint diese Regelung, die in keiner Weise nach der Art der wirtschaftlichen Betätigung oder ihrer marktwirtschaftlichen Tragweite differenziert, jedenfalls nicht. Und die gesetzliche Ausnahme hinsichtlich der Wasserver- und Abwasserentsorgung ist obsolet, da beide Bereiche in der Regel natürliche Monopole sind: hier würde es naturgemäß keine Einwendungen einer privaten Konkurrenz geben.

Was geht die Konkurrenz die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde denn überhaupt an?, mag man sich fragen. Gerichtlichen Schutz vor der Gemeinde können die Konkurrenten in Sachsen ohnehin nicht suchen, gemeindliches Tätigwerden nicht verhindern. Es scheint eher, dass der Freistaat Sachsen gedanklich in die 1990er Jahre zurückgefallen ist. Damals war es noch Credo, private Unternehmen vor der vermeintlich unfairen Konkurrenz kommunaler Unternehmen schützen zu wollen. Hierbei wurde schon immer übersehen, dass eine Gemeinde nicht einfach draufloswirtschaften darf, nur um Geld zu verdienen. Vielmehr muss sie mit ihrer Betätigung – anders als die Konkurrenten – stets konkrete öffentliche Interessen bedienen und den Bedürfnissen ihrer Einwohner Rechnung tragen. Ansonsten ist ihr die Betätigung vom Gesetz von vorneherein verboten.

Was also denkt sich Sachsen mit einer solchen Stellungnahmepflicht? Zugestanden: Hinter der Regelung steckt der an sich vernünftige, wenn auch im Grunde selbstverständliche Gedanke, dass sich der Gemeinderat eine wirtschaftliche Betätigung und damit verbundene Investitionen gut überlegen soll. Leider scheinen die sächsischen Koalitionsparteien CDU und FDP das den Gemeinden alleine nicht (nicht mehr?) zuzutrauen. Stattdessen muss man dort in Zukunft ausgerechnet die Konkurrenten um Rat fragen. Dabei hätte es vernünftige Alternativen gegeben – man denke an professionalisierte Wirtschaftlichkeitsanalysen oder Sachberichte, die dann alleine dem Gemeinderat vorgelegt werden. Zugegeben: Sachsens Stellungnahmepflicht ist kein Einzelfall, wie § 102 Abs. 2 GemO BW, § 92 Abs. 3 Satz 3 BbgKVerf, § 121 Abs. 6 HGO, § 107 Abs. 5 GO NRW, § 68 Abs. 7 KV M-V sowie, verbunden mit einer ausführlichen Marktanalyse, § 71 Abs. 1 Nr. 4 ThürKO zeigen.

Was passiert, wenn die Konkurrenz Einwände hat? Erstaunlich wenig, rechtlich gesehen. Möglicherweise wird sich die Kommunalaufsichtsbehörde die Stellungnahmen vorlegen lassen und einzelne Punkte mit der Gemeinde besprechen. Um Erlaubnis fragen muss die Gemeinde ihre Konkurrenz aber nicht, und auf sie hören letztlich auch nicht.

Ist eine solche Regelung überhaupt notwendig? Dies ist nach rechtsstaatlichen Prinzipien eigentlich zwingende Voraussetzung dafür, dass der Staat in bestehende Rechte eingreifen darf – auch in kommunale, die von Art. 28 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geschützt werden. Die Gesetzesbegründung zum vorliegenden Gesetz (LT-Drs. 5/11912, S. 65) bleibt den Nachweis für eine Notwendigkeit jedenfalls schuldig. Zuvor war Sachsen in Sachen Gemeindewirtschaftsrecht übrigens noch klüger gewesen und hatte seinen Gemeinden Spielräume gelassen. Auch zukünftig soll die Gemeinde eine wirtschaftliche Betätigung dann durchführen dürfen, wenn es ein Privater nicht besser oder wirtschaftlicher kann (Grundsatz der einfachen Subsidiarität). Die Gemeinde hat also ausdrücklich das Recht, im Rahmen ihrer Aufgaben nach Marktlücken zu suchen und diese auszufüllen. Nun höhlt die Anhörungspflicht eben dieses Recht aus, da es dem privaten Markt die Möglichkeit gibt, auf die gemeindliche Konkurrenz zu reagieren, ehe die Gemeinde ihr Unternehmen überhaupt gründen darf. In Zeiten, in denen die kommunale Energieversorgung immer bedeutender wird und immer mehr Wertschätzung genießt, einschließlich der damit verbundenen Nebentätigkeiten (zum Beispiel Energieeffizienzberatung), verbaut Sachsen seinen Gemeinden hier eine veritable Chance, die Erfüllung kommunaler Aufgaben sicherzustellen. Es ist dem Landtag dringend anzuraten, über diese „Reform“ noch einmal gründlich nachzudenken.

Wenn eine solche Anhörungspflicht tatsächlich Gesetz werden sollte, ist jede Gemeinde – auch außerhalb von Sachsen – gut beraten, sich genau zu überlegen, wie weit sie bei der Offenbarung ihrer Geschäftsgeheimnisse gehen möchte. Wie detailliert die Selbstverwaltungskörperschaften von Handwerk und Industrie informiert werden müssen, sagt das Gesetz (genau wie die anderen Kommunalordnungen in Deutschland) nämlich ebenfalls nicht. Letztlich gilt das, was Matthias Claudius schon vor 200 Jahren erkannt hat:

„Sage nicht alles, was Du weißt, aber wisse alles, was Du sagst.“

Ansprechpartner: Daniel Schiebold/Dr. Sascha Michaels

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