An der schönen blauen Donau oder Akteneinsicht für Kartellgeschädigte in Österreich

(c) BBH
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Was in anderen Ländern, vor allem in den USA und Großbritannien, seit langem ein kartellrechtlicher Dauerbrenner ist, wird nun auch in Deutschland zunehmend populär: die private Durchsetzung des Kartellrechts im Wege zivilrechtlicher Schadensersatzklagen. Nicht nur die Behörden kämpfen immer erfolgreicher gegen Kartelle – die EU-Kommission ebenso wie das Bundeskartellamt (BKartA), das vor kurzem sogar den Haribo für schuldig befunden und mit 2,4 Mio Euro bebußt hat. Auch kartellgeschädigte Unternehmen versuchen immer öfter, Schadensersatz geltend zu machen. Bereits die Fürsorge- und Treupflicht für das eigene Unternehmen gebietet, Schadensersatzansprüche zu prüfen und durchzusetzen, wenn man z.B. Abnehmer der kartellierten Waren gewesen ist.

Doch wie gehe ich als Unternehmen vor, wenn mir erst die Pressemitteilung des BKartA vor Augen führt, dass ich möglicherweise jahre- und jahrzehntelang zu viel bezahlt habe? In diesem Fall gilt es neben der Prüfung einer möglichen Verjährung vor allem darum, so viele Informationen wie möglich zu erhalten. Denn schließlich muss das Unternehmen herausfinden und vor Gericht auch belegen, ob und in welcher Höhe es geschädigt worden ist.

An dieser Stelle hilft das grundsätzliche Recht auf Akteneinsicht in die Verfahrensakten der Behörden bzw. der Gerichte. Schließlich sind dort Informationen enthalten, die über Art, Dauer und Umfang der Schädigung durch die Kartellanten Auskunft geben können. Insbesondere bei solchen Informationen, die so genannte Kronzeugen im Kartellverfahren gemacht haben, werden Geschädigte durch die Kartellbehörden in der Regel im Stich gelassen. Sprich: die Akteneinsicht wird abgelehnt, weil die Behörde ihr Kronzeugenprogramm schützen möchte. Wer befürchten muss, dass die freiwillig der Kartellbehörde gegenüber gemachten Angaben zum Bumerang werden, d. h. Grundlage für spätere Schadensersatzklagen Dritter werden, überlegt sich die Selbstanzeige zweimal.

Mit der wichtigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Fall Pfleiderer (Az. C-360/09) und der daraufhin ergehenden Instanzenrechtsprechung des Amtsgerichtes Bonn in der Sache Pfleiderer (Az. 51 GS 53/09) und des Oberlandesgerichtes Düsseldorf im Kaffeeröster- Fall (Az. V-4 Kart 5+6/11 OWi) schienen die Voraussetzungen in Deutschland klar. Der EuGH hatte die Einsicht in die Kronzeugenakten zwar nicht per se ausgeschlossen, die Entscheidung über das „Ob“ der Gewährung jedoch dem nationalen Richter zur Abwägung überlassen. Ein Schutz des Kronzeugen davor, von den Geschädigten in Anspruch genommen zu werden, vermitteln die Privilegien aber nicht.

Aktuellen Anlass, sich das „Ob“ und „Wie“ der Akteneinsicht noch einmal näher anzuschauen, bieten die am 7.2.2013 vom Generalanwalt Jääskinen veröffentlichten Schlussanträge im Fall Donau Chemie (Rs. C-536/11). Dabei ging es um eine Regelung aus Österreich (§ 39 Abs. 2 KartG). Kartellgeschädigte können im Verfahren vor dem Kartellgericht, das in Österreich für die Sanktionierung auf Antrag der österreichischen Kartellbehörde (Bundeswettbewerbsbehörde) oder des so genannten Bundeskartellanwaltes (§ 36 Abs. 2 KartG) zuständig ist, Akteneinsicht nur bei Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten erhalten.

Hintergrund des Vorabentscheidungsverfahrens war ein beim Kartellgericht gestellter Akteneinsichtsantrag des Verbandes Druck & Metalltechnik, einem Interessenverband von Unternehmen aus der Druckerindustrie, der zur Vorbereitung von Schadensersatzansprüchen gegen die am Druckchemikalienkartell beteiligten Unternehmen zunächst weitere Informationen, insbesondere zur Höhe des entstandenen Schadens gewinnen wollte. Der Antrag wurde, da – wenig überraschend – außer der Bundeswettbewerbsbehörde kein weiterer der Beteiligten zustimmte, abgelehnt. Da das Kartellgericht jedoch Zweifel hegte, ob die Regelung des § 39 Abs. 2 KartG im Einklang mit EU-Recht steht, rief es den EuGH an und bat um Prüfung.

Der Ausgang dieses Verfahrens ist aus zwei Gründen auch für deutsche Follow-on-Klagen interessant. Zum einen geht es um die Frage, ob man die Akteneinsicht der Kartellgeschädigten, wie in Österreich, auch vollständig ausschließen könnte. Enthalten ist aber auch erneut die Frage, ob es ein „Kronzeugenprivileg“ bei der Akteneinsicht gibt, d. h. ob die Einsicht in die Kronzeugenanträge von den Wettbewerbsbehörden stets versagt werden kann mit der Begründung, dass diese niemals Gegenstand der Akteneinsicht sein können.

Positiv für die Kartellgeschädigten sind die Schlussanträge in der Rechtssache Donau Chemie vor allem deswegen, weil sie besagen, dass es einen vollständigen Ausschluss der Akteneinsicht oder eine vergleichbare Regelung nicht geben kann. Wird die Akteneinsicht absolut ausgeschlossen, verstößt das gegen den so genannten unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz im Sinne des Art. 19 Abs. 1 EUV. Dem Grundsatz zufolge müssen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechtsbehelfe schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.

Effektiver Rechtsschutz erforderlich

Von einem wirksamen Rechtsschutz kann allerdings keine Rede sein, wenn man zwar theoretisch einen Schadenersatzanspruch hat, diesen jedoch nicht begründen kann. Das war nicht das, was sich der EuGH gedacht hat, als er darauf abgestellt hat, dass jedermann Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch ein verbotenes Kartell oder Verhalten entstanden ist, das den Wettbewerb beschränkt oder verfälscht (Rs. C-453/99- Courage & Crehan; Rs. C-295/04 bis C-298/04 Manfredi). Wie die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass auch in ihrem Land ein wirksamer (effektiver) Rechtsschutz besteht, bleibt grundsätzlich den Mitgliedstaaten belassen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie die Verwirklichung des Unionsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Das tun sie aber, wenn man im Ergebnis gar keine Akteneinsicht erhält. Der vollständige Ausschluss des Akteneinsichtsrechts stellt ein erhebliches Hindernis für die Geltendmachung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts dar (Rs. C-536/11, Rn. 51: Donau Chemie). So hat der EuGH auch kürzlich im Fall EnBW (wir berichteten) für den Zugang zu Dokumenten der Kommission nach der Transparenz-Verordnung entschieden.

Allerdings hat der Generalanwalt diese klare Aussage eingeschränkt. Ein vollständiger Ausschluss des Akteneinsichtsrechtes soll nämlich doch möglich sein, wenn das nationale Recht andere Möglichkeiten vorsieht, Beweise für den Kartellverstoß zu beschaffen und den Schaden zu ermitteln. Dann sei der Geschädigte anderweitig geschützt. Denkbar wäre in Deutschland zum Beispiel eine erweiterte Auslegung des § 421 ZPO. Dieser regelt, wann der Gegner Urkunden im Prozess vorzulegen hat. Wendet das Gericht diese Regelung zugunsten des Geschädigten erweitert an, könnte er auch hierdurch geschützt werden.

Einzelfallabwägung á la Pfleiderer bleibt maßgeblich

Der Generalanwalt bekräftigt zudem, dass weiterhin eine Einzelfallabwägung durchgeführt werden müsse, die insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Der nationale Richter, der über einen Antrag auf Akteneinsicht eines Dritten zu entscheiden habe, müsse im Einzelfall zwischen den betroffenen Interessen abwägen, zum Beispiel dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen mit dem Interesse an der Offenlegung der Informationen. Offen lässt der Generalanwalt allerdings, ob diese Entscheidung nur durch den Richter oder auch durch den Gesetzgeber getroffen werden kann. Möglich soll es für den Gesetzgeber aber sein, die bei der Abwägung zugrunde zulegenden Kriterien abstrakt festzulegen.

Kronzeugenakten bleiben weiterhin verschlossen

Wie es bereits Generalanwalt Mazak in den Schlussanträgen im Fall Pfleiderer versucht hat, so unternimmt auch Generalanwalt Jässkinen den Versuch zu begründen, warum keiner einen Blick in den Kronzeugenantrag werfen darf. Damit liegt er zwar auf der Linie der deutschen Instanzenrechtsprechung, bleibt aber eine überzeugende Begründung schuldig. Einerseits stellt er fest, dass zwischen dem Interesse des Kronzeugen, die Informationen nicht preiszugeben und dem des Unternehmens, das Akteneinsicht begehrt, immer abzuwägen sei (Rs. C-536/11, Rn. 63: Donau Chemie). Andererseits stellt er fest, dass ein vollständiger Ausschluss des Akteneinsichtsrechts aber dann möglich sein soll, wenn es um die vom Kronzeugen bereitgestellten Informationen geht (Rs. C-536/11, Rn. 66: Donau Chemie). Für den Schutz der Kronzeugenanträge sprechen nach Ansicht des Generalanwaltes insbesondere ordnungspolitische Gründe und das Gebot der Fairness gegenüber demjenigen, der freiwillig belastende Erklärungen abgegeben habe.

Dran bleiben lohnt sich

Es bleibt also abzuwarten, ob und inwieweit der Gerichtshof den Schlussanträgen des Generalanwalts folgt, vor allem was die Versagung des Akteneinsichtsrechts in die Kronzeugenanträge betrifft. Sollte der EuGH, wie auch bereits im Fall Pfleiderer, insoweit von den Schlussanträgen des Generalanwalts abweichen, könnte dies unter Umständen noch einmal erheblich helfen, vor dem BKartA in entsprechender Richtung zu argumentieren. Dabei lohnt sich – vor allem auch wegen der Verjährung – genau zu prüfen, ob das eigene Haus in den vom BKartA festgestellten Kartellverstößen, zum Beispiel in den Fällen Leistungstransformatoren (B10-101/11), Schienen (B12-11/11) oder Automatische Türsysteme (B10-102/11) Ansprüche gegen die dort bebußten Unternehmen geltend machen kann.

Ansprechpartner: Dr. Christian Jung/Dr. Olaf Däuper

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