BGH-Urteile zu Preisänderungen in der Grundversorgung: Was wird aus den Altfällen?

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Die Preisanpassungs-Saga im Gas- und Strombereich ist um ein weiteres Kapitel reicher. Nach dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), der vor gut einem Jahr das deutsche Preisanpassungsrecht in der Grundversorgung (§ 4 Abs. 2 AVBGasV/AVBEltV, § 5 Abs. 2 aF GasGVV/StromGVV) als europarechtswidrig gekippt hatte (wir berichteten), hat der Bundesgerichtshof (BGH) vor wenigen Tagen (wir berichteten) die Konsequenzen aus den Luxemburger Vorgaben gezogen (Az. VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12). Zu klären war, ob den Versorgern gegenüber ihren Tarif- bzw. Grundversorgungskunden überhaupt ein Preisanpassungsrecht im Zeitraum vor dem 30.10.2014 zustand. Um es kurz zu machen: Das Preisanpassungsrecht bestand, wenn auch mit leicht veränderten Kriterien.

Die Urteile des BGH haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie es in den Klageverfahren (auch bekannt als „§ 315-BGB-Verfahren“) für den Belieferungszeitraum vor dem 30.10.2014 weiter geht. Seit dem 30.10.2014 greifen die Neuregelungen der Gasgrundversorungsverordnung (GasGVV) und Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV). Der BGH hat klargestellt, dass den Grundversorgern im Gasbereich bis zum 30.10.2014 zwar kein Preisanpassungsrecht aus den gesetzlichen Regelungen zustand, wohl aber ein solches aus einer sog. ergänzenden Vertragsauslegung. Der wesentliche Grund: in diesen Vertragsverhältnissen besteht ein Kontrahierungszwang, und die Versorger können die Verträge nur in seltenen Ausnahmefällen kündigen. Die Urteilsgründe lassen sich auch auf den Strombereich übertragen. Im Ergebnis dürften damit nun auch alle Instanzgerichte von einem wirksamen Preisanpassungsrecht zugunsten der Grundversorger ausgehen.

Bestpreisabrechnung führt nicht zu Sondervertrag

In vielen Fällen war bislang auch streitig, ob allein eine Bestpreisabrechnung einen Tarif- oder Grundversorgungsvertrag zum Sondervertrag macht. Auch diesen Streitpunkt hat der BGH nunmehr in aller Deutlichkeit zugunsten der Energieversorger entschieden. Er stellt klar, dass es den Energieversorgungsunternehmen auch im Rahmen der Grundversorgung freisteht, verschiedene Tarife anzubieten, und zwar auch solche, bei denen die Tarifeinstufung automatisch nach dem Prinzip der Bestpreisabrechnung erfolgt.

Für Preisänderungen vor dem 30.10.2014: Änderung des Prüfungsmaßstabs

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH zu Preisanpassungen in der Grundversorgung stellte sich in Widerspruchsfällen die Frage, ob die Preisanpassungen billigem Ermessen nach § 315 BGB entsprachen. Im Rahmen „billigen Ermessens“ war es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, mit einer Preisanpassung den Gewinn des Versorgers vorübergehend zu steigern, beispielsweise weil der Versorger bereits zuvor erhebliche Gewinneinbußen hatte hinnehmen müssen. Dieser Prüfungsmaßstab hat sich durch die Entscheidungen vom 28.10.2015 für den Belieferungszeitraum vor dem 30.10.2014 geändert!

Bei einer ergänzenden Vertragsauslegung kommt es darauf an, wie sich die Vertragspartner bei Kenntnis der Sachlage redlicherweise verhalten hätten. Nach Ansicht des BGH hätten sich redliche Vertragspartner in der vorliegenden Situation unzweifelhaft darauf verständigt, dass dem Grundversorger ein einseitiges Preisanpassungsrecht zusteht, um sich verändernde Kosten über Preisanpassungen an die Kunden weitergeben zu können. Denn nur so ist es möglich, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung über die gesamte Vertragsdauer im Gleichgewicht zu halten. Zusätzliche Gewinne dürfen dabei nicht erzielt werden. Das gilt auch für nur vorübergehende und nur geringfügige Erhöhungen des Gewinns.

Jede Gewinnerhöhung kann der Kunde rechtlich angreifen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Kunde die Preiserhöhung spätestens innerhalb von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresrechnung, in der die geänderten Preise erstmals abgerechnet worden sind, beanstandet hat. Ohne rechtzeitige Beanstandung gilt der Preis aus dieser Erhöhung als sog. „vereinbarter Preis“. Auch ein erhöhter Gewinn kann auf diese Weise wirksam vereinbart werden.

Jahresbetrachtung im Rahmen des Kostennachweises

In vielen Klageverfahren war zwischen den Parteien weiterhin streitig, wie der Nachweis rechtmäßiger Preisanpassungen in zeitlicher Hinsicht zu führen ist. Die Gerichte hatten sich insoweit unterschiedlich positioniert. Manche verlangten, dass der (Billigkeits-)Nachweis gesondert für jede einzelne Preisanpassung (Einzelbetrachtung) zu führen ist. Andere Gerichte ließen es genügen, dass die Kostensituation über einen längeren Zeitraum (mehrere Jahre) betrachtet und bewertet wird (Gesamtbetrachtung). Dabei wurden vorübergehende Gewinnerhöhungen und -senkungen nivelliert. Eine vermittelnde Ansicht suchte die Lösung dieser Streitfrage in einer Jahresbetrachtung.

Der BGH hat nun entschieden, dass die Annahme des Berufungsgerichts, für die Beurteilung der Preiserhöhungen sei auf das Gaswirtschaftsjahr abzustellen, im Ergebnis rechtsfehlerfrei ist. In den meisten Fällen werde dies ein geeigneter Prüfungsmaßstab sein. Der BGH weist in diesem Zusammenhang jedoch auch darauf hin, dass die Länge des Betrachtungszeitraums nicht allgemein vorgegeben werden kann. Vielmehr hat der Tatrichter die Preisänderungen in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.

Belieferungszeitraum nach dem 30.10.2014

Die besagten Urteile des BGH gelten nur für Tarifkunden-/Grundversorgungsverhältnisse und nur für den Belieferungszeitraum vor dem 30.10.2014. Für den Zeitraum danach (nach Novellierung von §§ 5, 5a GasGVV/StromGVV) dürfte die bisherige Rechtsprechung zu § 315 BGB fortgelten. Denn hier bleibt es bei einem gesetzlichen Preisanpassungsrecht des Grundversorgers, welches nach billigem Ermessen umzusetzen ist.

Ansprechpartner: Stefan Wollschläger

 

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