Kernkraftwerke: Laufzeitverlängerung zementiert die Macht der „großen Vier“

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Jetzt haben die Roten Roben in Karlsruhe das Wort: Heute ist die Verfassungsklage von fünf Bundesländern gegen die Verlängerung der Laufzeit für Kernkraftwerke beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingegangen. Die Sozietät Becker Büttner Held hat sie gemeinsam mit den Staatsrechtsprofessoren Georg Hermes und Joachim Wieland für die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verfasst.

Warum die Länder hätten zustimmen müssen

Der Anlass, an der Verfassungsmäßigkeit der Atomgesetznovelle zu zweifeln, sieht auf den ersten Blick wie eine Formalie aus: Es fehlt an der nötigen Zustimmung des Bundesrats. Dahinter verbirgt sich aber weit mehr als ein nur formaler Verstoß gegen die gesetzgeberischen Verfahrensvorschriften.

Der Bundesrat ist dazu da, dass die Länder dort, wo sie von einem Bundesgesetz selbst betroffen sind, das Gesetz mitgestalten können. Dass eine so weitreichende Gesetzesänderung wie die Laufzeitverlängerung nicht ohne die Zustimmung der Länderkammer beschlossen werden kann, hatte Becker Büttner Held bereits im vergangenen Jahr in einem Gutachten für das Bundesland Rheinland-Pfalz festgestellt. Zum gleichen Ergebnis kamen insbesondere auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Staatsrechtsprofessor Hans-Jürgen Papier sowie Professor Joachim Wieland, jeweils in Gutachten für das Bundesumweltministerium.

Die Länder kommen im konkreten Fall ins Spiel, weil ihre Behörden dem Gesetz zufolge, die Kernkraftwerksbetreiber beaufsichtigen. Sie tun dies im Auftrag des Bundes und sind dabei den Weisungen des Bundesumweltministeriums unterworfen, egal was die Landesregierung dazu denkt.

Wenn der Bund sich auf diese Weise der Behörden der Länder bedient, dann braucht er laut Grundgesetz die Zustimmung der Länderkammer dazu. Die hat er zwar bei Erlass des Atomgesetzes bekommen. Aber 2002 war dieser Eingriff in die Länderrechte zeitlich begrenzt worden. Damit gibt es für eine Auftragsverwaltung, über den damals festgelegten Zeitpunkt hinaus, keine Zustimmung der Länder.

Ohnehin hat das BVerfG bereits mehrfach entschieden, dass ein Gesetz auch dann zustimmungsbedürftig ist, wenn die im Auftrag des Bundes auszuführende Verwaltungsaufgabe eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite erhält. Auch diese Voraussetzung erfüllt die Laufzeitverlängerung: Die Betriebsaufsicht im Verlängerungszeitraum ist grundverschieden von der nach alter Gesetzeslage anzuwendenden Stilllegungsaufsicht, weil insbesondere Störfälle sich nur beim Betrieb der Anlage ereignen können. Deswegen ergibt sich auch aus dem Stilllegungsleitfaden des Bundesumweltministeriums, dass nicht weniger als 90 Regelwerke zur Überwachung von Kernkraftwerken während der Stilllegungsaufsicht nicht mehr anwendbar sind.

Außerdem entsteht im Hinblick auf die nun deutlich längere Gesamtlaufzeit der Kernkraftwerke ein Erneuerungsdefizit, das bei den zuständigen Landesbehörden einen sofortigen und weitreichenden Handlungsbedarf auslöst. Ermüdungsanalysen, Störfallnachweise und die Folgen des Lastwechselbetriebs bedürfen ebenso einer vollständig neuen Bewertung wie die Verhältnismäßigkeit von Nachrüstungen.

Das verfassungsrechtliche Problem, dass das entsprechende Gesetz ohne die nötige Zustimmung der Länder in Kraft gesetzt wurde, ist aber nicht der einzige Grund zur Kritik. Auch für den Wettbewerb auf dem Strommarkt verheißt die Laufzeitverlängerung nichts Gutes:

Marktbeherrschende Stellung

Erst vergangenen Monat hat das Bundeskartellamt in seiner Sektorenuntersuchung Stromerzeugung, Stromgroßhandel ausführlich dargelegt, dass E.ON, RWE, Vattenfall und ggf. auch EnBW, die allesamt Kernkraftwerke betreiben, über eine jeweils individuell marktbeherrschende Stellung verfügen. Jedes dieser Unternehmen war in einer signifikanten Anzahl von Stunden im untersuchten Zeitraum für die Deckung der Stromnachfrage in Deutschland unverzichtbar. Das Bundeskartellamt hat deswegen gefordert, dass es eine Laufzeitverlängerung nur dann geben dürfe, wenn die vier großen Stromerzeuger andere Kraftwerkskapazitäten an Wettbewerber abgeben.

Die Bundesregierung ist diesem Vorschlag mit ihrer Mehrheit im Bundestag jedoch nicht gefolgt. Wie eine Untersuchung von Becker Büttner Held aus dem Herbst vergangenen Jahres zeigt, zementiert sie stattdessen die vermachteten Strukturen auf dem Stromerzeugungsmarkt.

Die Marktanteile der vier KKW-Betreiber, die sich aktuell um die 80 % bewegen, werden auf Jahre hinaus festgeschrieben. Anstatt neue Kraftwerke zu bauen, was den Markt in Bewegung bringen würde, bleiben die alten Kernkraftwerke am Netz – und spülen einen gewaltige Menge Geld in die Kassen der „großen Vier“: Trotz der angekündigten „Gewinnabschöpfung“ durch die (befristete) Kernbrennstoffsteuer und Förderbeiträge zu einem Sondervermögen des Bundes können sie mit Zusatzgewinnen in insgesamt hoher zweistelliger Milliardenhöhe rechnen. Das stärkt ihre Finanzkraft auf Kosten des Wettbewerbs.

Die Laufzeitverlängerung wird sich auch mitnichten, wie gelegentlich angenommen wird, automatisch dämpfend auf die Preise am Stromgroßhandelsmarkt auswirken. Zum einen haben es die vier EVU aufgrund ihres Kraftwerksparks in der Hand, die Strommarktpreise im Großhandel zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Zum anderen gibt es keinen strikt kausalen Zusammenhang zwischen der Entwicklung von Großhandels- und Endverbraucherpreisen.

Somit sprechen nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch ökonomisch die besseren Gründe dafür, aus dem „Ausstieg aus dem Ausstieg“ wieder auszusteigen – und sei es auf Geheiß des Bundesverfassungsgerichts.

Ansprechpartner: Prof. Christian Held/Dr. Olaf Däuper/Dr. Roman Ringwald

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